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# taz.de -- Werkschau: Die Abgründe im Blick
> Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Portraits aus allen Schaffensphasen des
> Malers Oskar Kokoschka. Er machte keine Kompromisse.
Bild: Werke aus den Jahren 1905 bis 1977: Die Wolfsburger Ausstellung repräsen…
WOLFSBURG taz | Dem Maler Oskar Kokoschka ist die opulente Ausstellung
gewidmet, die das Kunstmuseum Wolfsburg zu seinem 20-jährigen Jubiläum
zeigt. Es ist die erste große Rückschau seit Jahrzehnten auf das Werk
Kokoschkas, der 1886 in Niederösterreich geboren wurde und 1980 starb –
nach einem Leben, das die Verwerfungen seines Jahrhunderts widerspiegelt.
Rund 175 Werke Kokoschkas versammelt die Wolfsburger Ausstellung, allesamt
Porträts oder allegorische Bildnisse. Sie datieren von 1905 bis 1977,
repräsentieren somit sein ganzes künstlerisches Schaffen.
Bereits während des Studiums an der Wiener Kunstgewerbeschule entfaltete
Kokoschka sein produktives Multitalent. Er rasierte sich den Schädel kahl
und verfasste ein erstes expressionistisches Bühnenstück, samt provokantem
Plakat: eine leichenblasse Frau, in den Armen ein feuerroter, lebloser
Jüngling – die Kluft der Geschlechter wird unüberbrückbar aufgerissen.
Das Stück „Mörder, Hoffnung der Frauen“ war binnen Kurzem ausverkauft, die
Uraufführung verlief mit halbnackten, lediglich bemalten und wimmernden
Schauspielern eher wie ein Happening der späteren Kunstgeschichte. Und
Kokoschka entdeckte das Porträt, aber nicht als schönes Abbild des
Menschen. Er griff auch hier zu expressionistischen Stilmitteln und einer
gestischen Malweise, wollte so die Seelenlage des Dargestellten erfassen.
Dass die Resultate häufig nicht schmeichelhaft ausfielen, zeigt bereits das
frühe, düstere Porträt „Vater Hirsch“ von 1909. Das Gesicht des väterli…
Freundes ist grotesk zerfurcht, Gebiss und Hände werden überzeichnet.
Gleichwohl gelang Kokoschka, anfänglich vermittelt durch den rigiden
Architekten und notorischen Spötter Adolf Loos, der Durchbruch als
Porträtist der Wiener Gesellschaft, ab den 1930er-Jahren dann der
europäischen Prominenz. Musiker, später auch Politiker wie Adenauer und
Heuss, 1970 gar der kleine Sohn von Sophia Loren waren seine Opfer, wie er
es bezeichnete. Wie Naturphänomene erforschte er sie während langer
Sitzungen in all ihrer Tief- oder lieber Abgründigkeit.
Dass Kokoschkas eigenes Leben voll dramatischer Wechselfälle war,
überrascht da nicht. Eine leidenschaftliche wie schöpferisch ergiebige
Beziehung zur sieben Jahre älteren Künstlerwitwe Alma Mahler endete
traumatisch mit einem Schwangerschaftsabbruch. Kokoschka stürzte sich als
Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg, verließ ihn 1915 schwer verwundet.
Die Rekonvaleszenz gelang ab 1916 auf einer Professur in Dresden.
Kokoschkas intensiver werdendes Kolorit schien von der Lebensfreude der
dortigen Brücke-Maler zu profitieren.
Ab 1923 unternahm er ausgedehnte Reisen, auf denen zahlreiche Tierporträts
entstanden, die er als Spiegelbilder des Menschen sah – einen Mandrill gar
als Selbstporträt: frei und unbezähmbar. Das expressionistische Werk
Kokoschkas widersprach der aufkommenden NS-Kunstdoktrin, er zog über Prag
mit seiner tschechischen Ehefrau nach London. Seine Kunst wurde
politischer. 1937 entwarf er ein Plakat als Hilfsaufruf für die Kinder im
bombardierten Guernica.
Einige schwer dechiffrierbare Allegorien entstanden: Der britische Premier
Chamberlain wird als riesige Krabbe dargestellt, der die Tschechoslowakei –
ein kleines Selbstporträt – im Meer ertrinken lässt. So sah Kokoschka das
britische Appeasement gegenüber NS-Deutschland. Das Engagement des
charismatischen Künstlers schlug aber auch Kapriolen: Der Erlös aus dem
Porträt des russischen Botschafters in London sollte 1942 einem gemeinsamen
Lazarett für sowjetische und deutsche Soldaten zugute kommen.
Kokoschka, der während der NS-Zeit als entartet verfemt wurde, verwehrte
sich nach Kriegsende der vereinnahmenden Rehabilitierung durch Österreich
und begründete stattdessen 1953 die Salzburger Sommerakademie als seine
Schule des Sehens. Er wurde englischer Staatsbürger, zog in die Schweiz,
wurde auf Drängen Bruno Kreiskys 1975 dann doch wieder Österreicher. Ein
letztes Selbstporträt von 1971 zeigt einen Menschen, der furchtlos vom
bunten, vollen, bewegten Leben in den nur unwesentlich dunkleren Tod
hinübertritt.
## ■ Sa, 26. 4. bis So, 17. 8., Kunstmuseum Wolfsburg
27 Apr 2014
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Kunst
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