# taz.de -- Biolandwirtschaft in Serbien: Die neue Saat ging auf | |
> Das serbische Dorf Jalovik und der biodynamische Anbau: Neues Leben in | |
> verlassenen Dörfern nach der Industrialisierung der Landwirtschaft. | |
Bild: Die frei grasenden Ziegen von Jalovik. | |
JALOVIK taz | Seit heute früh um sechs haben Viv aus Luckenwalde, Bou aus | |
Amsterdam, Mathieu aus Portiers, Sneza und Danilo aus Belgrad und Oguz, der | |
Türke aus Amsterdam, in der sengenden Sonne auf den Feldern gearbeitet. Nun | |
ist endlich Mittag, endlich Schatten und es gibt was zu futtern. | |
Kakofonische Sprachfetzen mischen sich mit klapperndem Geschirr. | |
Sneza erzählt auf Serbisch, dass das Gemüse und die Kräuter für ihre | |
Minestrone erst vor einer halben Stunde gepflückt und gezupft wurden. Bou | |
übersetzt ins Holländische, damit der Amsterdamer Türke auch etwas | |
versteht, Viv ins Englische – für Mathieu aus Portier. Mit Danilo, dem | |
Serben, redet die Deutsche Serbisch. | |
Das Dorf Jalovik, in dem Vivien Scheidler und Boudewijn Kegels ihren Traum | |
von biodynamischer Landwirtschaft leben, liegt etwa 70 Kilometer südlich | |
von Belgrad und mitten im Nirgendwo. Die Gegend hier heißt „Waldgebiet“, | |
die hügelige Landschaft ist voller Haine, Bächen, Obstgärten und Felder. In | |
den Tälern liegen versprenkelt Weiler, einsame und verfallene Gehöfte. | |
Viele von ihnen sind verlassen, die Landflucht hat Serbien schon lange | |
erreicht. Während der Tito-Zeit war das erste Gebot der Partei die | |
Industrialisierung des Landes, statt Mais und Korn wuchsen Fabriken auf den | |
Feldern, die Bauern wurden zum neuen Proletariat erklärt. | |
„Hat Tommy dich gekratzt?“, fragt Viv und beugt sich zum blonden | |
Lockenkopf, der im Gras mit der Katze spielt. Der Lockenkopf antwortet in | |
einem Mischmasch aus Serbisch und Deutsch. Karla, barfuß im Gras, und | |
Tommy, die schwarz-weiß-gescheckte Katze, sind beide zwei Jahre alt. Beide | |
sind hier geboren. Viv, drahtig, schlaksig, groß, klassisches Gesicht, | |
lachende blaue Augen, erinnert sich: „Sie ist hier im Haus geboren, meine | |
wunderbare Hebamme aus Belgrad hat die Schwangerschaft begleitet, ist oft | |
zu uns rausgefahren.“ | |
## Jetzt blüht und gedeiht es überall | |
Hausgeburt in Jalovik? Das haben die Bauern in den letzten 50 Jahren hier | |
nicht gesehen. Als Karla geboren wurde, haben sie heftig den Kopf über die | |
„komischen Ausländer“ geschüttelt. „Sie waren sehr misstrauisch“, eri… | |
sich Viv. „Als wir kamen ist hier gar nichts gewachsen. Wir haben gesät und | |
gesät – und es kam nichts. Und jetzt blüht und gedeiht es überall. Jetzt | |
sind wir die größten Gemüseanbauer in der ganzen Gegend. Nachbarn kommen | |
und gucken und können es nicht glauben.“ | |
Viv und ihr Mann Bou haben vor sechs Jahren den einsamen Bauernhof im | |
serbischen Dorf Jalovik zu ihrer neuen Heimat auserkoren. Beide sind gerade | |
31 Jahre alt, als sie sich entschließen, den Hof zu kaufen. Die treibende | |
Kraft ist Viv, sie will unbedingt einen Bauernhof, in dem Felder an das | |
Haus anschließen: „Ich bin in Luckenwalde aufgewachsen. Unser Haus hatte | |
einen großen Garten und direkt hinter dem Haus kamen die Felder und der | |
Wald. Ich war mehr im Wald und auf dem Feld, als im Haus.“ | |
Viv, die Sprachbegabte, geht zuerst nach Berlin, studiert dort Indische | |
Philologie, Kunstgeschichte und Religionswissenschaften. Doch sie möchte in | |
der Natur leben, sie möchte die Erde spüren und riechen und so absolviert | |
sie eine vierjährige Ausbildung in biologisch-dynamischer Landwirtschaft | |
nach Rudolf Steiner. Viv arbeitet auf diversen Biohöfen in Deutschland, | |
bildet sich ständig weiter, besucht 2002 ein Seminar in der Nähe von | |
Belgrad. Auf einer serbischen Biofarm gibt sie ihr Wissen weiter. Hier | |
beeindruckt sie die milde, hügelige Landschaft – die verlassenen Dörfer und | |
Felder stimmen sie traurig. Gleichzeitig ist sie entsetzt, wie Serben mit | |
ihrer Umwelt umgehen, die unberührte Landschaft verschandeln . | |
Zuerst beginnen Viv und Bou die ausgelaugte Erde von Jalovik nach strengen | |
Regeln der Biodynamik zu bearbeiten. Sie wollen aus ihrer Farm eine | |
Einheit, einen Organismus entstehen lassen, zu dem auch wild wachsende | |
Pflanzen und frei lebende Tiere gehören. Selbstversorgung und Verzicht auf | |
Chemikalien. | |
Nach ein paar Jahren blühen die Felder: Tomaten, Mangold und anderes | |
regionales Gemüse wachsen in den Himmel, Roggen, Kräuter und Erdbeeren | |
kommen dazu. Tiere laufen frei herum, es sind alte serbische | |
Nutztierrassen: kleine Buscha-Kühe, Sjenica-Ziegen aus dem Hochgebirge und | |
Mangulitza-Wollschweine, deren Fleisch cholesterinarm ist. Heute | |
bewirtschaften Viv und Bou zwölf Hektar Land, teils gekauft, teils | |
gepachtet. Ihren Hof haben die beiden „Iva-Farm“ genannt, es ist der Name | |
einer Heilpflanze, es ist eine Weidenart, die auf Deutsch Salweide heißt. | |
## Schweinebraten als Gottesgeschenk | |
Aber nicht nur die Farm hat sich weiter entwickelt. „Wir haben eine Schule | |
für biologisch-dynamischen Anbau“, erzählt Viv stolz. „Die Seminare fangen | |
jedes Jahr im März an, aber wir nehmen nur serbische Auszubildende.“ Denn: | |
„In einem Land, in dem der Schweinebraten als Gottesgeschenk angesehen | |
wird, wäre es doch gut, wenn die Menschen erfahren würden, wie toll auch | |
das Gemüse schmeckt, das in einer sauberen Erde wächst …“ | |
So werden jedes Jahr in Jalovik bis zu 15 serbische Studenten der | |
Landwirtschaftlichen Fakultät aus Belgrad in Seminaren ausgebildet, und | |
zwar im dörflichen „Dom Kullture“ – im Kulturhaus und auf der Iva-Farm. | |
Außerdem leben und arbeiten jedes Jahr zwei Studenten bei Viv und Bou, um | |
ganz praktisch zu lernen, wie man einen biodynamischen Hof führt. | |
Mittlerweile haben mehrere Studenten eigene Farmen gegründet. | |
Willkommene Hilfe auf der Farm sind vor allem Freiwillige. Jährlich kommen | |
etwa 70 freiwillige Helfer aus der ganzen Welt. Das Internet macht es | |
möglich: die kleine Iva-Farm steht auf mehreren Webportalen, die neugierige | |
Helfer nach Jalovik lotsen. | |
Doch, das Leben hier hat nichts mit Landlust zu tun. Nein, hier lebt man | |
auf engem Raum. Immerhin: Strom, Internet und Telefon haben die serbische | |
Provinz erreicht. Und es gibt viel zu tun: Es sind nicht nur Felder, die | |
bestellt werden müssen. Die Tiere müssen versorgt, Brot gebacken, Obst und | |
Gemüse verarbeitet, Käse und Jogurt, Schinken und Wurst gemacht werden. 80 | |
Stunden wöchentlich zu arbeiten, das ist – vor allem im Sommer – keine | |
Seltenheit. | |
3 May 2014 | |
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