# taz.de -- Regisseur Heisenberg über Komödie: „Wir haben an Grass gedacht�… | |
> Benjamin Heisenberg hat eine Buddy-Komödie gedreht: „Über-Ich und Du“. | |
> Ein Gespräch über Humorvorbilder, Therapiespuren und mangelnde | |
> Berechenbarkeit. | |
Bild: Unkonventionelle Therapie: André Wilms als Curt Ledig (rechts) und Georg… | |
taz: Herr Heisenberg, Ihre Komödie „Über-Ich und Du“ ist voll von schräg… | |
Ideen. Gibt es einen Ausgangspunkt dafür? | |
Benjamin Heisenberg: Den gibt es natürlich. Mein Koautor Josef Lechner ist, | |
bis auf die kriminellen Elemente, das Vorbild für die Figur des Nick | |
Gutlicht. Josef hat tatsächlich eine Weile vom Bücherhandel gelebt, später | |
lebte er eine Weile mit einem alten Herren zusammen, und da gab es | |
verschiedene Erlebnisse und Begebenheiten, auf deren Grundlage er ein sehr | |
nettes, kleines Buch über diese Erfahrungen geschrieben hat. Das war der | |
Anfang des Drehbuchs. | |
Wie schreibt man so etwas zu zweit? | |
Wir kennen einander seit langer Zeit. Es gibt unterschiedliche Anteile: | |
Situationskomik, Wortwitze, Slapstick, mannigfaltige Formen des Witzes. Ich | |
glaube, wir waren uns einig, dass wir nicht so eine klassische deutsche | |
Schenkelklopferkomödie machen wollten. Wir lieben beide französische | |
Komödien, Tati eben. Und auch Woody Allen. Englischer Humor der 60er und | |
70er Jahre ist für Josef sehr wichtig, zum Beispiel „Magic Christian“. | |
Diese Art anarchischer Humor ging in das Arbeiten ein. Es war ein | |
assoziatives Vorwärtsdenken zwischen Josef und mir. | |
Der Rest war Situationskomik? | |
Absolut. Wir wollten eine Beziehung schaffen, in der diese zwei Männer | |
einander wie Satelliten umschwirren und sich aneinander reiben, dabei aber | |
ihre Eigenständigkeit behalten. Josef hat mit seinem Kohabitanten die | |
Erfahrung gemacht, dass gerade alte Leute gern jemand bei sich haben, der | |
eigentlich kein Interesse daran hat, sie zu korrigieren oder zu umsorgen | |
oder sie sozial zu bearbeiten. Sondern jemand, der sie einfach für voll | |
nimmt im besten Sinne dessen, was mit einer Wohngemeinschaft gemeint sein | |
könnte. Dass Curt Ledig ein Psychologe ist, der unwillkürlich zu | |
therapieren beginnt, das haben wir verstärkt, während Nick wiederum bei ihm | |
teure Bücher findet, was ihm hilft, seine Schulden zu begleichen. | |
Man weiß nie genau, ob Curt Ledig gerade der Schalk im Nacken sitzt oder ob | |
er vielleicht doch einfach zerstreut ist. | |
Dieses Changieren war uns wichtig, auch in der Hinsicht, dass ja auch die | |
Figuren im Film nie genau wissen können, wo er seine Gebrechlichkeit | |
benutzt, weil sie ihm dienlich ist, und wo er tatsächlich vergesslich und | |
nicht ganz beisammen ist. Im Zusammenhang mit seinem Schuldproblem, das ihm | |
mit zunehmendem Alter wichtiger wird, nun spielt ihm das Gedächtnis dann | |
tatsächlich einen Streich. | |
Es gibt vergleichbare Schuldkonstellationen auch im richtigen Leben. Ich | |
musste an Heidegger denken. Vermutlich gibt es Zusammenhänge, die Ihnen | |
persönlich näher sind. | |
Heidegger liegt tatsächlich nahe, weil er ja Professor in Freiburg war. Wir | |
haben auch an Günter Grass gedacht. Aus meiner Familie kenne ich diese | |
Diskussionen natürlich auch. Das wurde bei uns intensiv besprochen: Wie | |
geht man mit der Geschichte der Vorväter im Dritten Reich um? Da gibt es ja | |
tausend Aspekte, die auch mein Leben geprägt haben, und die finden sich in | |
dem Film wieder. Curt Ledig, der sich als Wissenschaftler mit den Nazis | |
eingelassen hat, sagt am Ende: Es tut mir leid, und das wird ein Anteil | |
meiner Person bleiben. Das haben herzlich wenige getan, bei denen es diese | |
Verstrickung gab. | |
Zugleich deutet der Titel einen anderen Aspekt an. Wir assoziieren Alter | |
häufig mit Autorität. Das wird hier ganz schön auseinandergenommen. | |
Wir hatten in der weiteren Familie sehr viele große Autoritäten, die wir | |
als Kinder beeindruckend fanden. Wir haben uns aber auch immer darüber | |
lustig gemacht, und diese Haltung nehmen wir nun auch gegenüber Ledig ein, | |
der aber seine Würde behält. Wenn er am Tisch sitzt und eine Packung | |
Rosinen ausstreut, dann sammelt er sie in aller Ruhe wieder ein und lässt | |
sich nicht nervös machen. | |
War es schwierig, den französischen Star André Wilms für die Rolle zu | |
bekommen? | |
Es war schwer, ihn zu kriegen, weil wir ursprünglich jemand suchten, der | |
viel älter sein sollte. Es musste ja jemand über 90 sein, um die Verbindung | |
zu den Nazijahren noch persönlich zu haben. Das war schwierig. Dann habe | |
ich in einem YouTube-Video gesehen, in dem Wilms im Hintergrund auftaucht, | |
dass er Deutsch spricht. Das war fantastisch, und damit war die | |
Entscheidung klar. Wir haben dann den Film so ausgestattet, dass er bis auf | |
ganz wenig Ausnahmen so aussieht, dass die Geschichte auch vor zehn Jahren | |
spielen könnte. Ein Historienfilm, dann würde Wilms auch vom Alter her in | |
die Figur passen. Wir haben ihn jedenfalls nicht auf 95 getrimmt. | |
Mir kam manches auch sehr österreichisch vor, aber das liegt wohl an Georg | |
Friedrich, dem zweiten Hauptdarsteller? | |
Der Humor kommt auch sehr stark von den Schauspielern selbst, sie haben | |
alle unterschiedliche Formen des komischen Ausdrucks. Es war spannend, zu | |
sehen, was das mit dem Film macht. Es hat mir irre Spaß gemacht, | |
verschiedene Dialekte und Stile der Leute zu sehen. Der Film ist so eine | |
Art Konglomerat von Stilen, das habe ich so im deutschen Film selten | |
gesehen. | |
Sie haben sich einen Spaß gemacht, diesen Eindruck vermittelt der Film sehr | |
stark. Das ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil man eher etwas | |
anderes erwartet hätte nach Ihren bisherigen Filmen und Arbeiten im | |
Kunstfeld. | |
Ich will ja seit Langem eine Komödie machen. Schon „Schläfer“ war | |
ursprünglich als Komödie gedacht, was man sich vielleicht schwer vorstellen | |
kann. Es sollte um Geheimdienstmitarbeiter gehen, die wider Willen in den | |
Außendienst müssen. In meinen Kunstarbeiten sind viel mehr lustige Sachen | |
drin. Ich wollte das immer in den Film übersetzen, aber durch die langen | |
Arbeitszeiten und die wahnsinnig anstrengenden Filmprozesse sind die Filme | |
in Endeffekt immer ernster geworden. Ich könnte mir vorstellen, auch noch | |
eine Komödie zu machen, die viel klassischer situationskomisch ist. | |
„Über-Ich und Du“ ist stark von Josef geprägt, und von unseren | |
Gemeinsamkeiten. Überhaupt lasse ich mich dieses Mal bewusst von meinen | |
Mitarbeitern beeinflussen. Alle, ob das nun die Kostümbildnerin Stephanie | |
Rieß oder die Szenenbildnerin Renate Schmaderer waren, haben sich | |
eingebracht. | |
Das Ergebnis ist ein Sammelsurium, ein offenes Werk. | |
Wir haben das Ganze immer als Farce betrachtet. Es läuft ja auch entgegen | |
vieler Komödien auf keine Endaussage hinaus. Der Spaß liegt im Moment | |
selbst. | |
Ist die Psychologie nur ein Vorwand oder steckt dahinter doch ein seriöses | |
Interesse? | |
Ich denke, es geht eher hintergründig um Psychologie. Ich bin selbst in | |
Therapie, und es gibt Sachen aus meiner therapeutischen Erfahrung, die ich | |
eingebaut habe, etwa Ledigs Beispiel von dem Baum, um den herum eine Mauer | |
gebaut wird. Mich interessieren diese Prozesse unendlich, und ich glaube | |
auch, dass sie wirksam sind. Ich stelle sie aber als etwas dar, was ganz | |
viel mit Zufall zu tun hat und viel weniger mit Struktur, als die | |
Psychologen das gern behaupten. | |
Ein zentrales Bild des Films ist ja auch das Memory-Spiel, das sich gerade | |
nicht auf orthodoxe Anamnese umlegen lässt, sondern bei dem man von der | |
Zerstreutheit des Gegners abhängt, wenn man gewinnen will. | |
Das Memory ist eigentlich eine Gemeinheit. Es geht in „Über-Ich und Du“ ja | |
immer wieder um gewisse Gemeinheiten. Dass irrationale Element ist auch in | |
den Tieren, die immer wiederkommen, aber auch in den Ballons, die | |
auftauchen. Das sind lauter Zeichen, die sagen: Erwarte dir nicht zu viel | |
Berechenbarkeit. | |
Ich wollte das Thema beinahe vermeiden, aber es drängt sich auf: Hat das | |
noch etwas mit der Berliner Schule zu tun? | |
Das ist eben einer dieser Begriffe, mit denen man Geschichte schreiben | |
kann, denen die Wirklichkeit aber immer ein bisschen voraus ist. Wir | |
Jüngeren machen alle jetzt unsere dritten oder vierten Filme, da verändert | |
sich eine Menge. Denken wir an die Nouvelle Vague. Da war nach ein paar | |
Jahren nichts mehr so wie am Anfang. Truffaut wurde immer kommerzieller. Es | |
gibt so viele unterschiedliche Wege. | |
8 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
## TAGS | |
Martin Heidegger | |
Therapie | |
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