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# taz.de -- Demokratisches Filmfest: Stars und Sahnewölkchen
> In den nun 25 Jahren seines Bestehens hat das Filmfest Emden-Norderney
> einige Besonderheiten kultiviert: Kaum irgendwo darf das Publikum so viel
> mitbestimmen.
Bild: Rebellische Jugendliche, verarmte Stadt: "The Selfish Giant" ist so ein F…
EMDEN taz | Am Samstagnachmittag wird zum „Filmtee mit August Diehl“
eingeladen. Und auch dieser Stargast wird in den ersten Minuten in die
ostfriesische Teezeremonie eingeführt: zuerst die Kluntje in die Tasse, den
Tee darauf gießen, dann die Sahne hinein tröpfeln und zusehen, wie sie sich
zum Wölkchen ausbreitet.
Über die Jahre ist dieser Initiationsritus ein fester Bestandteil beim
Filmfest Emden-Norderney geworden, und es ist immer amüsant zu sehen, wie
die Gäste ihn bewältigen. Einige haben schon beim Probieren den Mund
verzogen – sie wurden dann nicht ganz so begeistert gefeiert.
Diehl nun wird in Emden den mit 5.000 Euro dotierten Schauspielpreis in
Empfang nehmen, dazu zeigt man eine Handvoll seiner Filme. Aber der Moment,
um den es bei seiner Einladung wirklich geht, ist eben dieser Schluck
Ostfriesentee. Und wie sie heimatliches Brauchtum in die Tradition des
Filmfests zu integrieren verstanden haben – dazu kann man die Emder
Organisatoren nur beglückwünschen.
Zumindest in Norddeutschland gibt es kein populäreres Filmfestival. In der
Emder Innenstadt ist wieder mehr als die Hälfte der Ladenschaufenster mit
Festivalpostern, Kinobildern und Filmutensilien dekoriert, es werden mehr
als 22.000 Besucher erwartet.
Der berühmteste Sohn der Stadt, Otto Waalkes, ist zwar schon lange nicht
mehr selbst zu Besuch gekommen, aber wer auf der Filmfest-Bühne begrüßt
wird, der bekommt einen Plüsch-Ottifanten in die Hand gedrückt. Und für den
„Ostfriesischen Kurzfilmpreis der VGH“ hat der Komiker einen
„Kamera-Ottifanten“ aus Bronze entworfen.
Preise haben neben der Versicherung VGH haben auch die Stadtwerke, die
örtliche Sparkasse, aber auch der DGB gestiftet. Gegründet wurde das
bodenständige, fast proletarisches Festival 1990 von einigen
filmbegeisterten Angestellten der Volkshochschule. 25 Jahre später wird es
immer noch unter dem Dach der VHS organisiert.
Immer wieder wird in Emden Neues aus den britischen und irischen Kinos
vorgestellt: Fast jeder Film von Ken Loach und Mike Leigh ist in Emden
gezeigt worden, dazu gibt es seit langem eine „Special“ genannte Filmreihe,
die britischen oder irischen SchauspielerInnen gewidmet ist. Die reisen
zwar nie selbst an, aber beliebt sind die kleinen Werkschauen, in denen oft
synchronisierte Fassungen laufen, dennoch. In diesem Jahr wird Maggie Smith
so geehrt.
Dass Emden ein Publikumsfestival ist, wird auch daran deutlich, dass die
Gewinner der meisten Preise per Abstimmung ermittelt werden. Bei diesen
Entscheidungen, etwa für den mit 10.000 Euro dotierten Bernhard Wicki
Preis, zeigt es sich: Den Zuschauern sind unterhaltsame Filme eher
verdächtig, sie bevorzugen schwere, politisch relevante Kost.
So war etwa im Jahr 2007 „Once“ über zwei Straßenmusiker in Dublin im
Wettbewerb. Die beiden Hauptdarsteller reisten an, gaben kleine Konzerte.
Das Publikum war begeistert – aber den Preis vergab es an „Sounds of Sand“
von Monique Manet, einen tieftraurigen Film über eine Familie von
Afrikanern, die bei einem Zug durch die Wüste langsam verdurstet. „Once“
bekam in jenem Jahr zwar den Oscar für die beste Musik, in Emden aber
reichte es nur für den Trostpreis „Ein Schreibtisch am Meer“. Der auch
schon wieder typisch ist in seiner Einmaligkeit: Die Preisträger werden für
zwei Wochen in ein Hotel auf Norderney eingeladen.
Auf der benachbarten Nordseeinsel zeigt das Filmfest seit 1999 ein
abgespecktes Programm im barocken Kurtheater, einem der schönsten Kinosäle
Deutschlands. Wie in Emden läuft auch dort das Programm bis zum 14. Mai
weiter, obwohl das eigentliche Fest am Sonntag endet. So können die
Einheimischen noch Filme sehen, wenn die Gäste wieder weg sind.
Originell ist auch die Verleihung des Drehbuchpreises: Ehe der Gewinner von
immerhin 10.000 Euro bekanntgegeben wird, gibt es szenische Lesungen aus
den drei nominierten Drehbüchern, die in diesem Jahr aus 69 eingesandten
ausgewählt wurden. Wenn Schauspieler da zum ersten Mal die geschriebenen
Dialoge sprechen, bekommt das Publikum einen Eindruck von einem der ersten
Schritte einer Filmproduktion.
Im Jubiläumsjahr werden nun über 100 Filme aus 29 Ländern gezeigt. Davon
sind 14 im Wettbewerb für den Bernhard Wicki Preis. In der Sektion New
British & Irish Cinema sind sieben Produktionen zu sehen, darunter Clio
Barnards„The Selfish Giant“, eine Sozialstudie, die im Stil von Ken Loach
von zwei rebellischen 13-Jährigen in der verarmten Industriestadt Bradford
erzählt.
„One Chance“ (Regie: David Frankel) ist dagegen eine typisch britische
Sozialkomödie: die wahre Geschichte des Außenseiters Paul Pott, der durch
eine Casting-Show zum gefeierten Opernsänger wird.
Waren in den ersten Jahren in Emden viele Filme aus den Niederlanden
gezeigt worden, gibt es seit einiger Zeit enge Verbindungen nach
Skandinavien. So sind in diesem Jahr fünf Produktionen aus Norwegen im
Programm, darunter eine schwarze Komödie mit dem merkwürdigen Originaltitel
„Kraftidioten“, in der Stellan Starsgard einen Schneepflugfahrer spielt,
der sein Arbeitsgerät gegen einen Clan von serbischen Drogengangstern
einsetzt. Hans Petter Moland inszenierte das sehr boshaft und sehr
unterhaltsam – auf einen Preis hat er in Emden also eher keine Aussicht.
## 25. Filmfest Emden-Norderney: bis 14. Mai; Programm und Infos:
7 May 2014
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Jubiläum
Mitbestimmung
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