# taz.de -- Zum Tode des Ecstasy-Erfinders: Friede, Freude, Heiterkeit | |
> Der Chemiker Alexander Shulgin ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Er | |
> galt als „Pate des Ecstasy“, der Droge des Neoliberalismus. | |
Bild: Schön entspannt: Ecstasy wurde auch zu therapeutischen Zwecken genutzt. | |
MDMA macht wohlig warm. Es hat eine psychedelische Wirkung, steigert die | |
Intensität der Wahrnehmung. Weil es im Gehirn massiv Botenstoffe freisetzt, | |
wirkt es stark euphorisierend. Das dürfte wohl der wichtigste Grund dafür | |
gewesen sein, dass die synthetische Substanz zur wichtigsten illegalen | |
Partydroge der vergangenen Jahrzehnte wurde. Seit Mitte der Achtziger kennt | |
man sie unter dem Namen Ecstasy, kurz „E“. Heute sollen sie weltweit gut | |
neun Millionen Menschen nutzen. | |
Eine Weile hat es gedauert, bis der Tod von Alexander Shulgin, den seine | |
Freunde Sasha nannten, durchs Netz sickerte. Dabei gilt Shulgin als der | |
„Pate von Ecstasy“. Der Chemiker beschäftigte sich seit den Siebzigerjahren | |
des vorigen Jahrhunderts mit den psychoaktiven Wirkungen von MDMA. | |
Erstmals synthetisiert wurde 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin schon | |
1912 von Anton Köllisch in einem Labor des Darmstädter Chemiekonzerns E. | |
Merck. Ein Patent wurde erteilt, Köllisch starb 1916 im Fronteinsatz. Es | |
vergingen aber Jahrzehnte, bis sich Alexander Shulgin in Kalifornien als | |
Erster ausführlich mit den Auswirkungen der Substanz auf den Menschen | |
beschäftigte. Shulgin bastelte an immer neuen synthetischen Drogen, die er | |
zuerst an sich selbst testete. | |
Die Substanzen wurden in Gruppensitzungen evaluiert. Mittels der | |
Shulgin-Skala wurden die Effekte der Substanzen quantifiziert. Nachdem | |
Shulgin auf die Droge aufmerksam wurde, synthetisierte er sie 1976. Er | |
probierte sie aus und beschrieb sie als „Fenster zur Psyche“. Deswegen | |
empfahl er sie dem befreundeten Psychologen Leo Zeff. | |
## Gesprächstherapie auf MDMA | |
Zeff gab seinen Klienten in Gesprächstherapiesitzungen daraufhin niedrige | |
Dosen von MDMA, um den Redefluss in Gang zu bringen. Der Psychologe war | |
überzeugt von seiner therapeutischen Wirkung und stellte die Droge | |
hunderten von Kollegen in den USA vor. | |
In der Szene hatte man Angst vor einem Verbot, weshalb man die Nutzung von | |
MDMA in der psychologischen Praxis diskret behandelte. Das nutzte aber | |
nichts. Schon 1970 hatte man die Substanz in beschlagnahmten Pillen in | |
Chicago gefunden. [1][Anfang der Achtziger warf man MDMA-Pillen in den | |
schwulen House-Clubs von New York, wo sich das britische Synthie-Pop Duo | |
Soft Cell herumtrieb, bevor es wenig später seinen Hit „Tainted Love“ | |
aufnahm, angeblich auf E.] | |
Dass MDMA Mitte der Siebziger wiederentdeckt und dann in Therapiesitzungen | |
genutzt wurde, um schließlich auf den Dancefloor zu schwappen, ist nicht | |
verwunderlich. Ecstasy ist die Droge des Neoliberalismus. Sie befriedigt | |
das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, nach kollektiven Erlebnissen und | |
euphorischer Entgrenzung, die der Alltag nicht bietet. | |
Ecstasy steigert das Mitteilungsbedürfnis und die Empathiefähigkeit, aber | |
auch die Sensibilität der Haut. Menschen auf Ecstasy fassen sich gerne an. | |
In Maggie Thatchers kaltem neuen Britannien gab es für Ecstasy genauso | |
Bedarf wie in den Technoclubs von Ost-Berlin, wo eben der real existierende | |
Sozialismus zusammengebrochen war. | |
## Durchdrehen und Drogenindex | |
Ecstasy passte gut zur neuen Musik, zu House und Techno, wo Sound und | |
Rhythmus wichtiger waren als Texte und Images, und das Aufeinandertreffen | |
von Körpern die zentrale Rolle spielte. Ecstasy half den Tänzern dabei, | |
nicht mit dem Tanzen aufzuhören. Es machte die Leute nicht so kaputt wie | |
Heroin und Kokain. Wer am Wochenende auf Ecstasy „durchdrehte“, so die | |
Raverterminologie der Neunziger, war spätestens am Montagnachmittag wieder | |
mehr oder weniger arbeitsfähig. | |
Trotz geringer sozialer und ökonomischer Toxizität wurde MDMA 1985 in den | |
USA verboten und kurz darauf auf den Drogenindex der Vereinten Nationen | |
gesetzt. Über Gefahren und Langzeitschäden wird weiter gestritten. | |
Vereinzelt treten tödliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen auf. Man | |
muss außerdem wohl davon ausgehen, dass häufiger Konsum den chemischen | |
Haushalt im Gehirn stört und nicht gedächtnisfördernd ist. Lebensbedrohlich | |
ist Ecstasy aber vor allem, wenn beim stundenlangen Tanzen zu wenig | |
getrunken wird. | |
Sasha Shulgin starb am Montagnachmittag in seinem Haus in Northern | |
California an den Folgen von Leberkrebs im Kreis seiner Familie. Er war 89 | |
Jahre alt, im Sterbebett hörte er buddhistische Meditationsmusik. | |
4 Jun 2014 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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