# taz.de -- US-Richterin Sonia Sotomayor: Nichts mit „Euer Ehren“ | |
> Sonia Sotomayor ist Richterin. Sie kommt aus einem puerto-ricanischen | |
> Elternhaus und wurde von Obama an den Supreme Court berufen. | |
Bild: Hat stets Freude an der Debatte: Sonia Sotomayor. | |
Es gibt neun Richter am Supreme Court. Die Wahrscheinlichkeit, einer davon | |
zu werden, ist gering. Sie ist noch geringer, wenn man eine Frau, Puerto | |
Ricanerin und in der Bronx geboren ist. Sonia Sotomayor hat sämtliche | |
Unwahrscheinlichkeiten Lügen gestraft und ein Buch darüber geschrieben. | |
Der C. H. Beck Verlag hat es unter dem Titel „Meine geliebte Welt“ in | |
Deutschland publiziert, die American Academy hat die Autorin nach Berlin | |
eingeladen, wo sie während ihres Aufenthalts in der Residenz des | |
amerikanischen Botschafters im Stadtteil Dahlem wohnte. | |
Schon der Eingangsteppich der Residenz ist voller Löwen. Das kann nur eines | |
heißen: Macht. Seit Obama Sotomayor 2009 zur Richterin am Obersten | |
Bundesgericht in Washington ernannt hat, ist sie tatsächlich eine der | |
mächtigen Frauen der Welt. Aber statt sich auf einen Sessel zu drapieren, | |
wählt sie für das Interview einen bescheidenen Stuhl. | |
Eigentlich müsste man sie „Euer Ehren“ nennen. Sie winkt ab. „Ich wundere | |
mich immer, warum die Anwälte sich so anstrengen, meinen Namen richtig | |
auszusprechen. Sie könnten einfach Justice zu mir sagen. Meistens gebe ich | |
ein A für den Versuch, aber ein C für das Resultat.“ Wir sollen einfach | |
Sonia zu ihr sagen. | |
## Sie hat Stil | |
Frau Sotomayor, also Sonia, ist kleiner, als man vielleicht vermutet hat. | |
Sie trägt ein türkises Etuikleid und eine schwarze Strickjacke. Entgegen | |
allem, was sie im Buch von sich behauptet: Sie hat Stil. Sonia Sotomayor | |
wurde 1954 in New York geboren, ihre Mutter war puerto-ricanische Waise, | |
die kaum anderes als Arbeit kannte. Sonias Vater starb an Alkoholismus. Da | |
war sie neun und bekam auch noch die Diagnose Diabetes. Kein leichtes | |
Startkapital. Doch aus einer Fernsehserie kannte sie den Beruf des | |
Richters. Und hatte damit früh ein Ziel. Für ein Mädchen aus der Bronx | |
klang dieser Berufswunsch vermessen, die Lehrerinnen schüttelten den Kopf. | |
Es ist eine typische Aufsteigergeschichte, von den Lumpen zum Geld. In | |
„Meine geliebte Welt“ beschreibt Sotomayor ihren Lebenslauf. Als die | |
Zusagen für einen Studienplatz aus Harvard, Princeton und Yale kamen, | |
wusste sie kaum, worauf sie sich einließ. Hätte sie es gewusst, hätte sie | |
vielleicht gar nicht gewagt, sich zu bewerben, schreibt sie. Aber es hat | |
geklappt. Sonia bekam ein Summa cum laude nach dem anderen, arbeitete als | |
Staatsanwältin und in einer der besten Kanzleien New Yorks. | |
Sie habe nur versucht, jedes mal ein bisschen besser zu werden, erzählt | |
Sotomayor im Gespräch. Ihre Ernennung zur Bundesrichterin sei dann wie ein | |
Blitzeinschlag gewesen. „Ich wurde mehrmals vom Blitz getroffen. Und ich | |
lebe noch.“ Wie sehr sie sich verändert hatte, erkannte sie, als sie sich | |
im Haus eines Zeugen vor einer Kakerlake ekelte. Sotomayor war selbst in | |
einer Sozialwohnung aufgewachsen, das Haus war genauso sauber wie ihr | |
eigenes. „Jetzt gehöre ich zu einer anderen Sorte Minderheit: zur | |
privilegierten Minderheit.“ Aber sie fühle sich nirgendwo hundertprozentig | |
zu Hause. Nicht in der neuen Welt, und nicht mehr in der, aus der sie | |
kommt. „Du lebst immer im Zwischenraum.“ | |
Das einzige, woran es ihr nie gefehlt hat, waren Rassismen und Sexismen: | |
Der Vater einer Schulfreundin beschimpfte einige demonstrierende Puerto | |
Ricaner einmal als „damn spics“ (Scheißlatinos), während Sonia hinter dem | |
gleichen Fernseher saß. Ein Personalagent fragte die Studentin, ob sie es | |
nicht nur nach Yale geschafft habe, weil sie eine Frau und Puerto Ricanerin | |
sei. Und ein Gerichtsdiener hörte nicht auf, sie „Honey“ zu nennen. Bis | |
Sotomayor ihn darauf hinwies, dass die Menschen das komisch finden könnten, | |
schließlich sei sie die Richterin | |
Sie reagierte nicht immer so freundlich. Da die Haltung des Agenten auch | |
zukünftige Yale-Abgänger betreffen würde, klagte sie ihn an. Und dem Vater | |
der Freundin sagte sie: „Siehst du diese Haut?“ Mit Daumen und Zeigefinger | |
greift sie in die Haut an ihrem linken Arm, um die Szene nachzuspielen. | |
„Ich bin eine dieser verdammten Latinas.“ Diese Sorte Rassisten könne man | |
nicht ändern, sagt Sotomayor. Alles, was ginge, sei, solche Leute | |
bloßzustellen. Und zu gehen. | |
## Das Leben genießen | |
Wie schafft sie es, sich nicht destabilisieren zu lassen? Die Antwort kommt | |
sofort: Sie versuche, aus jeder Erfahrung zu lernen. Und das Gute zu sehen. | |
Deswegen heißt das Buch „My beloved world“. Trotz des Alkoholismus des | |
Vaters, trotz des Tods geliebter Menschen, trotz ihres Lieblingscousins, | |
der heroinsüchtig wurde und an Aids starb. „Es ist eine gefährliche, eine | |
harte Welt, voller Traurigkeit und Schmerz.“ Aber sie beschreibt auch die | |
Lebensfreude ihrer Großfamilie, die in einem Quartier der Bronx wohnte. | |
Mittelpunkt dieser Familie war die Großmutter. Von ihr lernte Sonia, das | |
Leben zu genießen. Als sie sich im Gespräch erinnert, wechselt sie ins | |
Spanische und erzählt noch eines dieser Schmankerl, die nicht im Buch | |
stehen: Abuelita trank einen extrem schlechten Wein. Also rührte Sonia | |
während der ganzen Schulzeit kein Weinglas an. Erst als sie ihre Freunde | |
fragte, wie sie dieses „krank süße“ Zeug trinken könnten, erfuhr sie, da… | |
Wein eigentlich gar nicht süß ist. | |
Sogar in der Krankheit kann Sotomayor Positives sehen. Da ihre Eltern sich | |
stritten, wer von beiden dem Kind die Spritze verabreichen sollte – die | |
Mutter musste zur Arbeit, die Hände des Vaters zitterten vom Alkohol – | |
entschied die siebenjährige Sonia, die Spritze selbst abzukochen, | |
aufzuziehen und zu setzen. Das habe sie zwei Dinge gelehrt: Disziplin und | |
die Fähigkeit, jeden Moment wertzuschätzen. | |
Sotomayor hätte nie gedacht, dass sie so lange leben würde. Doch die | |
Zuckerkrankheit war auch ein Grund, keine Kinder zu bekommen. Andere Gründe | |
waren die Karriere und die Trennung von ihrem Ehemann. | |
Sowohl schriftlich als auch mündlich erzählt Sotomayor sehr gut. Es ist ein | |
Leben voller Geschichten. Und wie im wahren Leben mischt sie das Ernste mit | |
dem Komischen („Lassen Sie sich von niemandem Fahrstunden geben, von dem | |
Sie sich gerade trennen“). Auch im Gespräch lacht sie oft, nur um gleich | |
darauf in sehr bedachten, rhetorisch perfekten Richterinnen-Sätzen zu | |
antworten. | |
## Gute Menschen, die schlechte Dinge tun | |
Schon im Debattierclub hat sie gelernt, ihre ganz persönlichen Fähigkeiten | |
zu nutzen und mit Emotionen zu argumentieren. Das hilft ihr, wenn sie die | |
Geschworenen von der Bösartigkeit des „Tarzan-Mörders“ überzeugen muss �… | |
genannt, weil er sich an einem Seil durch das Fenster in die Wohnungen | |
seiner Opfer schwang. Bei einem Fall von Kinderpornografie lässt sie die | |
Fakten für sich sprechen. Geschichten wie diese machen das Buch so | |
spannend. Oder die Detektive, die den gefälschten Handtaschen auf der Spur | |
waren und ein ganzes Parallelviertel in einem Stadtteil fanden. Oder die | |
Verfolgungsjagd auf dem Parkplatz vor dem Shea-Stadion, in dem die Mets mal | |
wieder gegen die Red Sox gewannen. | |
Doch Sotomayor kann nicht vergessen, dass jeder Angeklagte Angehörige hat, | |
die ihn vermissen werden, wenn er ins Gefängnis muss. Sie habe akzeptiert, | |
dass es gute Menschen gibt, die schlechte Dinge tun. „Aber dass ich das | |
verstehe, heißt nicht, dass das Verbrechen dadurch entschuldigt ist“, sagt | |
sie. „Niemand gewinnt, alle verlieren.“ | |
Wie ist es, so viel Macht über jemanden zu haben? „Ich hatte immer Respekt | |
vor der Macht“, sagt Sotomayor. „Macht korrumpiert. Und absolute Macht | |
korrumpiert absolut. Und Macht macht einsam.“ Besonders in Washington, wo | |
keiner wisse, wer einen wirklich mag und wer nur die Nähe zur Macht suche. | |
So viel zu den Löwen auf dem Teppich. Inzwischen hat sich ein kleiner | |
Schlappohr-Hund in die Runde gesetzt und hechelt leise vor sich hin. | |
Das Buch habe sie geschrieben, um die „Essenz von Sonia“ nicht zu | |
vergessen. Schließlich war es dieser Charakter, der sie dahin gebracht hat, | |
wo sie heute ist. | |
15 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Catarina von Wedemeyer | |
## TAGS | |
Supreme Court | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Affirmative action“ in den USA: Gleich und gleicher | |
Der Supreme Court kippt die „Minderheitenförderung“ an öffentlichen | |
Universitäten in den USA. Ein weiterer Erfolg für die Konservativen. | |
Rollenwechsel auf der Bühne: Politik und Drama | |
Mehrere Wochen lang haben 15 Theaterleute aus der ganzen Welt in Hamburg an | |
eigenen Projekten gefeilt – aber auch an einem gemeinsamen Stück, das nun | |
aufgeführt wird. Gerade das Schauspielern war für die RegisseurInnen eine | |
Herausforderung |