# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Chodorkowski als Humanist | |
> Selbstironisch, höflich und abgeklärt: Der einst wichtigste Unternehmer | |
> Russlands stellte nach zehn Jahren Gefangenschaft sein Buch vor. | |
Bild: Michail Chodorkowski bei der Buchvorstellung in Berlin. | |
„Als Student dachte ich nicht, dass ich einmal das größte Erdölunternehmen | |
Russlands leiten würde“, sagt Michail Chodorkowski bei der Buchvorstellung | |
in Berlin. Sarkastisch lächelnd fährt er fort: „Und als ich dann der Chef | |
dort war, dachte ich nicht, dass ich jemals im Gefängnis landen sollte. Und | |
als ich in Straflagern in Sibirien und Karelien war, hätte ich mir nie | |
vorstellen können, einmal hier zu sitzen, und Ihnen dieses Buch | |
vorzustellen.“ | |
Chodorkowski spricht ruhig und überlegt. Der einst wichtigste Unternehmer | |
des neuen Russland ist zur Präsentation seines Buchs „Meine Mitgefangenen“ | |
(erscheint im Galiani Verlag am 18. Juni 2014) ins Literaturhaus Berlin | |
gekommen. Zehn Jahre hatte der 1963 geborene Putinkritiker, Chef des | |
ehemals zweitgrößten russischen Ölkonzerns Jukos, in Gefängnissen | |
zugebracht, bevor er Ende 2013 begnadigt und ins Ausland abgeschoben wurde. | |
In der Haft überlebte er eine Messerattacke. Heute lebt er mit seiner | |
Familie in der Schweiz, wohin er und seine Mitstreiter auch einen Teil des | |
Jukos-Vermögens transferieren konnten, bevor sie ab 2003 kriminalisiert | |
wurden. 6,2 Milliarden Schweizer Franken sollen sie vor Putin und der | |
Oligarchenkonkurrenz gerettet haben. | |
Chodorkowski pflegt in Berlin einen selbstironischen Ton, wirkt höflich und | |
abgeklärt. Anfang der 1990er zählte er zu den Gewinnern im | |
Privatisierungswettlauf nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. „Ein | |
Technokrat“ sei er gewesen, sagt er, der sein Handwerk in der | |
kommunistischen Jugend und als Volkswirt am Moskauer Plechanow-Institut | |
erlernte. Sein kometenhafter Aufstieg in den 1990er Jahren fand an der | |
Seite Boris Jelzins statt. | |
Mit Putin und seinen Leuten überwarf er sich dann 2003 in unversöhnlicher | |
und spektakulärer Weise. Chodorkowski kritisierte vor laufenden Kameras das | |
System von Willkür und Korruption, volkswirtschaftliche Ineffizienz | |
aufgrund mafioser Verflechtung von Staat und schlechtem Unternehmertum. Der | |
Rechtsstaat als Schlüssel zur Lösung, zu dieser Einsicht gelangte er | |
allerdings erst im Gefängnis. Das persönliche Durchleiden dessen, was | |
Alexander Solschenizyn einst als „Archipel Gulag“ beschrieb, formte in ihm | |
den Humanisten. | |
Im Bewusstsein, selber ein privilegierter Gefangener gewesen zu sein, | |
erzählt er nun in „Meine Mitgefangenen“ vom Schicksal derer, die er in der | |
Haft traf. Täter, Opfer, Psychopathen, Gezeichnete mit oder ohne Moral – | |
auf knapp 100 Seiten. In 19 berührenden Miniaturen entsteht so ein | |
komplexes Bild von der Basis der russischen Gesellschaft. Und dennoch | |
versucht Chodorkowski optimistisch zu bleiben. Angesprochen auf | |
Nationalismus und Putins Beliebtheit in der Ukrainekrise sagt er in Berlin: | |
„Die Propaganda hat den Leuten ihr Bewusstsein blockiert. Sie sind deswegen | |
nicht schlecht.“ Und: „Der Ausweg liegt in uns.“ | |
16 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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