# taz.de -- Wasserkraft in Schottland: Kraftwerke in tosender See | |
> Vor den schottischen Orkney-Inseln werden inzwischen drei Arten von | |
> Wellenkraftwerken getestet – die jüngste ist der Penguin einer finnischen | |
> Firma. | |
Bild: Das Oyster-Wellenkraftwerk vor der Küste Orkneys | |
STROMNESS taz | Sanft schaukelt das gelbe Boot im Atlantik, festgetaut vor | |
den Orkney-Inseln auf 59 Grad Nord – eine oft stürmische Region. „Es ist | |
ein schlecht konstruiertes Boot“, hatte David Ingram, Ingenieur an der | |
Universität Edinburgh, zuvor erklärt. Aber in seinen Worten hatte | |
Hochachtung gelegen: „Es ist eine hochinteressante Konstruktion.“ Denn das | |
schwimmende Etwas, 30 Meter lang, 15 Meter breit, ist weniger ein Boot als | |
vielmehr ein Kraftwerk. Es ist ein Wellenkraftwerk neuer Ausprägung, das | |
derzeit auf dem Testfeld des European Marine Energy Centre (Emec) in | |
Schottland untersucht wird. | |
Deswegen auch diese Form, die für ein Boot untragbar wäre: unsymmetrisch, | |
ein wenig klobig, keinesfalls schnittig. Aber diese Konstruktion soll eben | |
bei Seegang in eine kreisende Bewegung geraten. | |
Zwei Meter ragt es aus dem Wasser heraus, sieben Meter geht es in die | |
Tiefe. Seine etwas hervorstehende Nase am Bug stand Pate bei der | |
Namensgebung: „Penguin“. | |
Die Wellen sind an diesem Frühsommertag nur etwa einen Meter hoch, und doch | |
ist das Prinzip gut erkennbar. Bug und Heck gehen in der Frequenz der | |
Wellen auf und ab, zugleich neigt sich das Boot regelmäßig nach rechts und | |
nach links – womit sich eine harmonische Kreisbewegung einstellt. Und damit | |
das Kraftwerk nicht abdriftet, ist es mit Seilen an sechs Punkten am | |
Meeresgrund verankert. | |
## Kein Getriebe, keine Tränen | |
Was im Inneren des 1.600-Tonnen-Kolosses geschieht, bleibt von außen | |
unsichtbar. Antti Paakkinen, Chefentwickler der finnischen Firma Wello Oy, | |
erklärt es in seinem Büro in einem alten Schulhaus der Hafenstadt | |
Stromness: Ein exzentrisches Schwungrad im Inneren, 100 Tonnen schwer, | |
nimmt die Drehbewegung des Schwimmkörpers auf. Die Schwungmasse sitzt | |
direkt auf der Generatorachse und treibt sie somit an. | |
„No gears no tears“ steht auf einem Plakat in Paakkinens Büro, kein | |
Getriebe, keine Tränen. | |
Weil aber die Wellenfrequenz schwankt und so auch die Drehzahl des | |
Generators sich verändert, wird der Strom per Umrichtertechnik auf die | |
geforderte Netzfrequenz gebracht. So ersetzt Elektronik das Getriebe. | |
Auf 500 Kilowatt ist das Kraftwerk ausgelegt, erreicht wurden in der Praxis | |
bisher 180. Aber man sei ja noch ziemlich am Anfang, sagt Paakkinen. Manche | |
Frage ist daher noch unbeantwortet – auch jene, was die Kilowattstunde | |
Strom des Penguin eines Tages kosten wird. | |
Nur so viel lässt sich sagen: 3,5 Millionen Euro hat das skandinavische | |
Startup-Unternehmen in den letzten drei Jahren in das Projekt investiert. | |
Erst wurde ein Modell im Maßstab 1:18 getestet, dann eines in 1:8. | |
Inzwischen, sagt der Finne, sei zumindest eines klar: Die Technik überstehe | |
selbst größten Seegang. | |
## 19 Meter hohe Wellen | |
Und das ist für Konstrukteure von Wellenkraftmaschinen immer schon ein | |
großer Erfolg; schließlich war schon so manches Modell in der Geschichte | |
der jungen Offshoretechnik nach dem ersten großen Sturm schrottreif. Denn | |
bei heftigem Sturm, so wissen die Wissenschaftler, steckt im Wasser | |
1.000-mal so viel Energie wie an einem Durchschnittstag. Die Technik muss | |
mit beiden Situationen umgehen können. | |
19 Meter hoch waren die Wellen im vergangenen Jahr auf dem Testfeld vor der | |
westlichen Steilküste des nordschottischen Archipels. Der Penguin ist hier | |
bereits die dritte Wellenkraftmaschine, die der mitunter tosenden See | |
widersteht. | |
Die erste und bekannteste ist die stählerne Seeschlange Pelamis. 180 Meter | |
lang schwimmt sie auf dem Wasser und biegt sich unter dem Einfluss der | |
Wellen. An den Kuppelstellen der einzelnen Segmente nimmt eine Hydraulik | |
die Energie auf und treibt damit Generatoren an. Die Nennleistung beträgt | |
750 Kilowatt. | |
## Konkurrenz zum Wind | |
Die zweite Technik ist die Oyster der Firma Aquamarine Power. Das System | |
basiert auf einer stählernen Klappe, die mit einem Gelenk am Meeresgrund | |
befestigt ist und schräg im Wasser steht. Sie ragt während des Betriebs nur | |
knapp aus der See heraus und bewegt sich im Takt der Wellen. Per Hydraulik | |
wird die Bewegungsenergie an Land übertragen, wo Öl mit bis zu 130 bar auf | |
zwei Peltonturbinen trifft. Zusammen leisten sie 1,3 Megawatt. Ein | |
Schwungrad unterdessen speichert Energie für einige Sekunden, zur Glättung | |
der Wellenfrequenz. | |
Es sind drei Verfahren, wie man sie sich unterschiedlicher kaum vorstellen | |
kann. Und weitere sind absehbar: „Es gibt inzwischen mehr als 400 Patente“, | |
sagt David Ingram, Wellenexperte in Edinburgh. Welche Bauart sich am Ende | |
durchsetzen wird, weiß derzeit noch niemand. Denn die Antwort hängt an | |
vielen Faktoren: Welche Technik macht den billigsten Strom? Welche erzielt | |
die höchsten Erträge? Welche ist am zuverlässigsten? Wer hat das | |
sinnvollste Wartungskonzept? Und vor allem die Schlüsselfrage beschäftigt | |
jeden Entwickler: Wird man die Offshore-Windkraft eines Tages preislich | |
unterbieten? | |
Dass es noch viel Entwicklungspotenzial gibt, weiß wohl niemand besser als | |
Stephen Salter, emeritierter Professor in Edinburgh, Jahrgang 1938. Schon | |
1973 begann er als weltweiter Pionier mit der Wellenkraft, ehe diese in den | |
Achtzigern politisch gestoppt und in den Neunzigern auch durch sein | |
Engagement wiederbelebt wurde. „Wir könnten schon viel weiter sein“, sagt | |
der Mann, den seine Kollegen den „Godfather der Wellenkraft“ nennen, „wir | |
hätten nur kontinuierlich daran arbeiten müssen“. Seine Einschätzung: „D… | |
Wellenkraft ist heute dort, wo die Windkraft in den 1970ern stand.“ | |
22 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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