# taz.de -- Tobias Sommer über Literatur: „Man darf keine Routine kriegen“ | |
> Der Bad Segeberger Autor Tobias Sommer ist ein Exot im Literaturbetrieb. | |
> Nun ist er beim Bachmann-Wettbewerb eingeladen | |
Bild: Tobias Sommer ist mit der Einladung zum Bachmann-Wettbewerb am Ziel seine… | |
taz: Was haben Sie für Gefühle, wenn Sie an Klagenfurt denken, Herr Sommer? | |
Tobias Sommer: Auf der einen Seite freue ich mich riesig darauf, weil es | |
dort auf Literatur konzentriert ist, da sind ganz viele Gleichgesinnte. Auf | |
der anderen Seite bin ich langsam ein bisschen aufgeregt, weil man nicht | |
weiß, wie der Text angenommen wird. Es werden ja jedes Jahr Leute | |
zerrissen, man muss also kritikfähig sein und ich hoffe, dass ich das bin. | |
Haben Sie Erfahrung damit? | |
2008 war ich für den Christine-Lavant-Preis nominiert. Da war es genau so: | |
Man hat den Text vorgetragen, drei Leute haben danach diskutiert und dann | |
wurde abgestimmt. Da waren die Voraussetzungen allerdings anders: Ich war | |
als Newcomer dort, habe mir gar nichts ausgerechnet und war froh, dass ich | |
den Text – es waren Gedichte – einigermaßen stolperfrei rübergekriegt hab… | |
Jetzt würde ich mich freuen, wenn ein bisschen Lob käme. | |
Wie dick ist Ihre Haut gegenüber Kritik? | |
Das Problem ist, dass die Testleser, die man hat, meist Autorenkollegen | |
oder Leute aus der Familie sind und da kriegt man häufig Lob – aber da gibt | |
es einen Freundschaftsbonus. Ich bin ganz froh, wenn die Leute nicht zu | |
sehr loben, weil ich dann zu selbstsicher werde und denke: Beim nächsten | |
Mal schreibe ich ein bisschen schneller. Wenn Kritik kommt, dann bin ich | |
konzentriert und arbeite länger an dem Text. Aber wenn es richtig auf die | |
Mütze gibt, jedes Jahr gibt es ja eine öffentliche Hinrichtung, dann muss | |
ich mal schauen. | |
Wie dornig war der Weg zu Ihrem ersten Verlag? | |
Es gab eine Phase, wo ich merkte: Da kommt kein großer oder mittlerer | |
Verlag, da ist man natürlich frustriert. Auf der anderen Seite habe ich | |
gemerkt: Es ist genau das Ding, das ich machen möchte. Also musste ich | |
weitermachen. Irgendwann kam dann der Septime Verlag. Der hatte in einer | |
Zeitschrift Werbung geschaltet, ich habe ein Exposé hingeschickt und gleich | |
am nächsten Tag rief er an. | |
Gab es eine Zeit, in der Sie dachten: „Hauptsache, ich schreibe und wenn es | |
niemand veröffentlicht, dann eben nicht.“? | |
Ich finde es eher umgekehrt: Wenn man einen Verlag hat, der hinter einem | |
steht, kann man frei ausschreiben. Sonst hat man doch im Hinterkopf, wie | |
man es am besten macht, um doch bei einem Verlag zu landen. Mein erstes | |
Buch zum Beispiel ist sehr experimentell, ich bin zufrieden damit, aber | |
viele sagen, dass es schwer zu lesen sei. Wenn nicht der Septime Verlag | |
gekommen wäre, wer weiß, vielleicht hätte ich es doch noch umgeschrieben. | |
Sie haben das Glück, als Finanzbeamter nicht vom Schreiben leben zu müssen. | |
Das habe ich jetzt auch festgestellt. Letztes Jahr habe ich den | |
Literatur-Förderpreis der Stadt Hamburg bekommen und da waren einige | |
wirklich Bekannte dabei, unter anderem Stefan Beuse, der immer eines meiner | |
Vorbilder war. Die Autoren müssen teilweise ganz schön kämpfen. | |
Kämpfen Sie stattdessen um Zeit, um zu schreiben? | |
Das ist natürlich ein Riesenproblem. Aber wenn man weiß, dass man wenig | |
hat, nutzt man sie intensiver. Ich habe jetzt meinen dritten Roman | |
abgeschlossen und bastle im Hinterkopf am vierten. Man wird ein bisschen | |
schneller. Man darf nicht Routine kriegen, das würde man beim Lesen merken, | |
aber man ist strukturierter. | |
Sitzen Sie Thomas-Mann-artig jeden Abend geordnet zwischen neun und elf am | |
Schreibtisch? | |
Da gibt es einen anderen Faktor, der in die Ordnung reinspricht (Sommer | |
zeigt auf seine Tochter). Ich setze mir das Ziel, dass ich jeden Monat eine | |
bestimmte Seitenzahl schreibe. Eigentlich ist das albern, meistens hält man | |
es nicht ein. Manchmal ist es weniger, mal mehr. | |
Wie viele Seiten sind es laut Plan? | |
20 bis 30. | |
Sind Sie ein Überarbeiter? | |
Auf jeden Fall. Ich will ein Arbeitsergebnis haben, deswegen schreibe ich | |
weiter, selbst wenn ich nicht weiterkomme. | |
Wo waren die Anfänge Ihres Schreibens? | |
Ich habe als Kind viel gelesen, mich auch für Kunst interessiert, aber | |
angefangen zu schreiben habe ich relativ spät – erst nach der Ausbildung. | |
Irgendwann habe ich ein Gedicht geschrieben und es an eine | |
Literaturzeitschrift geschickt und es wurde gedruckt. Da habe ich Blut | |
geleckt, immer mehr geschrieben, an Zeitschriften geschickt und an | |
Wettbewerben teilgenommen. Die anfänglichen Zweifel, ob ich da als | |
Quereinsteiger überhaupt eine Chance hätte, wurden immer weniger. | |
Hatten die Texte schon Ähnlichkeit mit Ihren heutigen? | |
Die Lyrik würde ich heute nicht mehr zum Druck freigeben. Die | |
Kurzgeschichten würde ich heute wohl anders schreiben, aber von der | |
Thematik würde ich das heute noch aufgreifen: Liebes und | |
Beziehungsgeschichten, Sinnsuche. | |
Sie lebten damals wie heute in Bad Segeberg. Hatten Sie je Sehnsucht, die | |
Stadt zu verlassen? | |
Als Jugendlicher wollte ich schon in die Großstadt. Mittlerweile ist es | |
überhaupt nicht mehr so, ich fühle mich in dieser dorfähnlichen Stadt sehr | |
wohl. | |
Was steht am Anfang, wenn Sie schreiben: eine Figur, ein Ereignis, eine | |
Stimmung? | |
Bei „Edens Garten“ war es das Thema Überwachen. Ich habe einmal einen Film | |
gesehen, in dem jemand sich selbst im Fernsehen sah und nicht gewusst | |
hatte, dass er aufgenommen wurde. Ich überlege ständig, was ich als | |
nächstes schreiben könnte, ich habe immer Notizbücher dabei. Bei „Dritte | |
Haut“ waren es zunächst einzelne Erzählungen und als ich überlegte, wie ich | |
sie verbinden könnte, meinte meine Freundin: „Lass es doch im Hotel | |
spielen.“ Ich wollte, dass es eine Figur ist, die möglichst weit weg von | |
mir ist, anders abgedreht, bei der ich viele Freiheiten habe. | |
Was bedeutet das Schreiben? | |
Es ist ein Ausgleich. Selbstverwirklichung hört sich immer total blöd an. | |
Beim Schreiben kann ich Selbstvertrauen tanken. Beim Finanzamt mache ich | |
meine Arbeit, ich mache sie ordentlich, aber ich kann da nicht sagen: Das | |
habe ich gemacht. Bei einem Buch kann ich sagen: Daran habe ich zwei Jahre | |
gearbeitet, dazu stehe ich, das ist mein Buch. | |
Den Text, den Sie in Klagenfurt lesen werden, verdanken Sie in gewisser | |
Weise dem Finanzamt. | |
Es ist der erste Text von mir, der sich direkt und indirekt mit dem | |
Finanzamt beschäftigt. Für Klagenfurt habe ich diesen Schritt gewagt. | |
Warum? | |
Ich kann mich nicht erinnern, bei einem Wettbewerb von diesem Thema gehört | |
zu haben – da dachte ich, dass es etwas dafür sein könnte. Seitdem ich | |
schreibe, ist auch der Wunsch da, in Klagenfurt einmal mitzumachen. | |
Sie sind dort ein Exot: kommen nicht aus der Großstadt, gehören nicht zum | |
Kulturbetrieb. Sind Sie froh über diesen Außenseiterstatus? | |
Als ich anfing, dachte ich: Genau deswegen habe ich keine Chance. Jetzt | |
habe ich das umgekehrte Gefühl: Deswegen bin ich interessant. Aber im | |
Endeffekt glaube ich, und so soll es ja auch sein, zählt der Text. | |
30 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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