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# taz.de -- Film-Essay zu Vladimir Nabokov: Immer weiter verrätseln
> Der semidokumentarische Film „Der Schmetterlingsjäger“ umkreist den
> Schriftsteller Vladimir Nabokov. Er bleibt dabei im Windschatten seines
> Stoffs.
Bild: Vladimir Nabokovs bevorzugter Sportwagen war der Jaguar E-Type.
Nach einem guten Drittel des Films heißt es im Gespräch zwischen dem
Philosophen und dem Regisseur, dass Nabokov dem angenommenen Leser
gegenüber skeptisch gewesen sei. Der Leser müsse dem Autor gewachsen sein,
heißt es da, er müsse so genau lesen wie der Autor, und weil die Mehrzahl
eh nur zur Zerstreuung läse, müsse man davon ausgehen, dass es nur wenige
gute Leser gibt. „Das glaub ich für den Film auch“, pflichtet der Regisseur
bei.
Das ist einer der Momente, in dem Harald Bergmanns dokumentarischer Essay
„Der Schmetterlingsjäger“ im Windschatten seines Stoffs fährt: Er sagt
diesen Satz dann für sich selbst, zu seinem eigenen Publikum. Bergmann, der
bereits Filme über Rolf Dieter Brinkmann und Friedrich Hölderlin gemacht
hat, erzählt nun von Vladimir Nabokov. Er hat sich also eine der größten
und zugleich rätselhaftesten Figuren der Literaturgeschichte zum Gegenstand
gewählt.
„Nabokov erzieht seine Deuter zu Kabbalisten“, hat Michael Maar in seiner
Studie „Solus Rex“ von 2008 über Nabokov gleich am Anfang geschrieben. In
„Der Schmetterlingsjäger“ kann man sehen, was damit gemeint ist: Bergmann
will aufschlüsseln nur im Modus der Verrätselung. Seine sanft biografische
Literaturaufstellung, die Texte aus „Ada oder das Verlangen“, „Erinnerung,
sprich“ und „Die Textur der Zeit“ verhandelt (vielleicht müsste man auch
sagen: handeln lässt), kombiniert verschiedene Ebenen der Darstellung, die
doch immer auch miteinander verbunden sind.
## Durch die Schweizer Bergwelt
So beginnt der Film mit der Romanfigur Van Veen (Ronald Steckel), einem
glatzköpfigen Sportwagenfahrer, der auf der Suche nach der Frau Ada
(Katerina Medvedeva) durch die Schweizer Bergwelt fährt, in der sich
Nabokov nach dem Erfolg von „Lolita“ für das Ende seines Lebens im Exil
niederlassen konnte.
Danach ist im Krankenbett Nabokovs 2012 verstorbener Sohn Dmitri zu sehen,
der für den Film Texte spricht. Er sagt: „Insert“, darauf erscheint vor
schwarzem Hintergrund: „Teil 1: Erinnerung, sprich“. Dann werden
offensichtlich auf alt getrimmte schwarzweiße Schmalfilmaufnahmen gezeigt,
die ein Paar zeigen, das man für Nabokovs Eltern halten könnte.
Der familiäre Rahmen wird geweitet zu einer großen, bürgerlichen
Illustrationsfamilie, die sich zum Schauen des Films versammelt hat. Sie
organisiert sich um – auch ein Figurenname aus „Ada“ – Marina (Corinna
Kirchhoff) herum, und die Figuren von den anderen Ebenen des Films
migrieren immer wieder in sie hinein; der Van-Veen-Glatzkopf genauso wie
ein Autorendarsteller (der Hamburger Dichter Schuldt), der Nabokov zwar
nicht ähnlich sieht, aber als Nabokov das berühmte Interview gibt („Lolita
ist berühmt, nicht ich“).
## Resonanzraum von Nabokovs Werk
Der Philosoph (der Altphilologe Heinz Wismann) und Regisseur (der
Filmemacher Klaus Wyborny) sitzen an ihrem Schneidetisch ebenfalls in dem
Haus, das als Resonanzraum von Nabokovs Werk und Familie fungiert.
„Marina“, ruft Wismann, „sind da auf dem Dachboden nicht die alten Wiegen
vom Onkel Daniel?“ „Ja, die müssten noch da sein“, antwortet Marina.
In diesen verschiedenen Rahmungen entfaltet Bergmanns Film seine
Nabokov-Erzählung über die Zeit und die Kunst. Die nachgestellten Szenen
bilden die vorgetragenen Nabokov-Texte dabei recht plastisch ab: Wenn
Nabokov angesichts der Schwierigkeit, das Wesen der Zeit zu fassen, die
Metapher aufruft, „es ist als ob man mit einer Hand im Handschuhkasten nach
der Straßenkarte sucht“ und dabei immer nur findet, was man gerade nicht
braucht, dann ist aufs Stichwort das Bild der tastenden Hand im
Handschuhfach zu sehen.
Auf die Dauer nährt solches Memory von Wort und Bild eher Zweifel daran, ob
man Literatur so direkt übersetzen sollte in Film. Verstärkt werden diese
Zweifel von der generischen Großkinomusik (Karim Sebastian Elias), die
unentwegt ertönt.
Das Zentrum von „Der Schmetterlingsjäger“ sind Wismanns kluge und klare
Interpretationen. Was zu Selbstbezüglichkeiten führt, wie der anfangs
erwähnten, wobei man, bei allem Respekt vor Nabokovs Strategien und
Bergmanns Arbeit, nicht sagen kann, dass die Ironien und Koketterien
Wybornys als Alter Ego des Filmemachers („Okay, das reicht, länger kann ich
Sie nicht reden lassen“ – nachdem Wismann ausführlich und schön erzählt
hat) von besonderem Reiz wären. Sie sind, im Gegenteil, ziemlich bräsig.
17 Jul 2014
## AUTOREN
Matthias Dell
## TAGS
Dokumentarfilm
Polen
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