# taz.de -- Tourismus im Iran: Schönheit lauert überall | |
> Vorsichtig versucht sich der Iran dem internationalen Tourismus zu | |
> öffnen. Den Menschen auf der Straße fällt das leichter als den | |
> Institutionen. | |
Bild: Ein sommerliches Bad im Persischen Golf. | |
TEHERAN taz | Die Stadt ist leer. So leer, wie ein Ort mit zwölf Millionen | |
Einwohnern um zehn Uhr morgens kaum sein kann. Nur ein paar Taxifahrer und | |
Geldwechsler säumen den Straßenrand, müde und verdrießlich. Kein guter Tag | |
für Geschäfte. Wer es sich leisten kann, ist ins Auto gestiegen und ans | |
Kaspische Meer gefahren. Nach Tschalus, Noschar oder einen anderen der | |
vielen Badeorte, wo die Natur grüner, der Wind kühler und das Vergnügen | |
größer ist als in der Hauptstadt. Teheran, das wird schnell klar, ist an | |
diesem Tag nicht der beste Ort für Erholung. | |
Weil kaum Menschen da sind, wirkt der Revolutionsführer umso mächtiger. | |
Eindringlich schaut er herab auf die verwaisten Straßen, unnahbar wie ein | |
strenger, nie zufriedenzustellender Vater. Es ist der 3. Juni, Chomeinis | |
Todestag, einer der wichtigsten Feiertage im Land, an dem sich das Gedenken | |
an den allgegenwärtigen Imam noch einmal steigert. Die Zahl der Poster und | |
Spruchbänder ist deutlich größer als an den Tagen zuvor. Auf Plätzen und | |
Verkehrsinseln hängen große schwarze Fahnen. | |
Es gibt in Teheran einen populären Witz: Eine Mutter wird am Strand von | |
ihrer kleinen Tochter gefragt, ob denn dieser Herr Chomeini einst im Meer | |
ertrunken sei, da an seinem Todestag doch stets alle Menschen dort | |
hinpilgerten. Der Witz ist gut, denn er illustriert die Spannung, die das | |
Land immer noch prägt: der große Revolutionsführer und das kleine Mädchen. | |
Das allgegenwärtige Erbe einer weltpolitischen Erschütterung und das | |
Vergnügen eines Familienwochenendes am Strand. Ausländer, die nach Teheran | |
kommen und etwas über die private Seite dieser Spannung erfahren wollen, | |
müssen nicht bis ans Kaspische Meer fahren. | |
„Das Reiseverhalten hat sich verändert, die Leute haben nicht mehr so viel | |
Geld und fahren nicht mehr so weit weg“, erklärt Amir, der als linientreuer | |
Reiseführer sichtlich bemüht ist, den deutschen Gästen vor allem die | |
Schokoladenseiten der Stadt zu präsentieren. Bereits am nördlichen | |
Stadtrand in Darband am Fuß des Elburs-Gebirges, wo die Temperaturen | |
deutlich angenehmer sind als im Zentrum, präsentiert sich die Metropole in | |
entspannter Feiertagsstimmung. | |
Der populäre Ausflugsort ist Fluchtpunkt für alle, die es nicht bis ans | |
Meer geschafft haben: gutmütige Familienväter, die ihren Anhang in | |
Restaurants und Cafés ausführen, kernige Bergwanderer, die zur Tour ins | |
Gebirge aufbrechen, Großstadtsöhne und -töchter, deren | |
Lifestyle-Accessoires die aktuellen Toleranzgrenzen des Systems austesten: | |
Baseball Caps, blondierte Haare, Kopftücher in grellem Pink, High Heels. | |
Doch während der Metropolen-Style in London oder Berlin meist blasiert | |
daherkommt, zeigen Teherans Hipster Lust auf Fremdes und Unbekanntes: | |
„Willkommen in Teheran! Wo kommt ihr her?“ Schnell wird klar: Dieses Land | |
ist nicht nur jung, gebildet und wohlhabend, sondern, zumindest unter den | |
Jüngeren, auch gierig auf Neues. Das Alte aber bleibt mächtig. Das Pink der | |
Hipster und das Schwarz der Märtyrer, die Modefarben der Saison und das | |
Monochrom der Revolution liegen selbst im modernen Teheran nie weit | |
auseinander. | |
## Fehlende Expertise | |
Zehn Kilometer südlich der Stadt, im Schatten des gigantischen, immer noch | |
im Bau befindlichen Chomeini-Mausoleums, hat sich eine andere, nicht | |
weniger selbstbewusste Festtagsgesellschaft eingefunden. Tausende Pilger | |
sind aus weit entfernten Landesteilen angereist, um den 25. Todestag des | |
Imam zu begehen. In zahllosen Zelten campieren sie in der Umgebung des | |
Mausoleums, das eines Tages nach seiner Fertigstellung mit Kulturzentrum, | |
Islam-Uni, Shopping Mall und gigantischem Parkplatz noch deutlich mehr | |
Menschen anziehen wird als bisher. | |
Vor allem die Älteren und die Landbevölkerung erinnern sich noch an die | |
Wohltaten der Revolution, die vielen Bedürftigen einst größere soziale | |
Sicherheit bescherte. Dass die guten Sozialstandards durch die | |
internationale Isolation des Landes bedroht seien, hält Ramin, der nahe | |
beim Mausoleum Getränke und Obst verkauft, allerdings für Unsinn: „Es gibt | |
keine armen Leute im Iran. Schau mich an, ich bin nur Händler und gehöre | |
wirklich nicht zu den Reichen im Land. Aber ich lebe ein gutes Leben und | |
habe alles, was ich brauche.“ | |
Das seit drei Jahren bestehende Embargo hat dennoch Spuren hinterlassen. | |
Die Folgen von Subventionsabbau und Inflation erreichen inzwischen auch die | |
Mittelschicht. Viele Iraner haben zwei oder drei Jobs, um über die Runden | |
zu kommen. Ungeachtet des Ölreichtums, der achtzig Prozent des | |
Staatshaushaltes finanziert und die Krise abfedert, wünscht sich mancher | |
Geschäftsmann mehr Innovation und Diversifizierung im Land. | |
Für Saeed Azam vom Reiseveranstalter Doostan Tours, der nahe der Kleinstadt | |
Matin Abad am Rand der Wüste ein komfortables Ökohotel betreibt, steht die | |
Entwicklung des Tourismus dabei an erster Stelle: „Wir verfügen nicht über | |
genügend Expertise“, sagt der Unternehmer im Gespräch mit den deutschen | |
Gästen. Der Iran, so Azam, sei für Kultur- und Naturliebhaber ein kaum | |
entdecktes Traumziel. | |
## Das Wissen über Porportionen | |
Dem ist schwer zu widersprechen. Schon wer Teheran Richtung Süden verlässt | |
und nach Isfahan reist, erlebt eine Metropole, die anders als die spröde | |
Hauptstadt unmittelbar verzaubert. „Wer Isfahan gesehen hat, hat die Hälfte | |
der Welt gesehen“, heißt es hier. Gewaltige Moscheen mit türkisblauen | |
Kuppeln, baumbestandene Gassen und Alleen, Schatten spendende Gärten, | |
luftige Paläste, Brunnen, Teiche, Basare, Brücken, Minarette – die | |
typischen Ingredienzien einer orientalischen Stadt präsentieren sich nicht | |
als Solitäre, sondern sind zu einem genialen, jede Kinderbuchfantasie | |
übertreffenden Gesamtkunstwerk zusammengewachsen. | |
Das Wissen über Proportionen und Raumverhältnisse, das Gespür für Farben | |
und Materialien, die Liebe zu Wasser und Pflanzen in einer Welt, in der die | |
Wüste das Maß aller Dinge ist, kulminieren auf dem Meydan-e-Imam, ein von | |
Arkaden umrahmtes Areal, das mit Außenmaßen von 510 mal 160 Metern den | |
zweitgrößten Platz der Welt bildet. Ein idealerer Gegensatz zu den urbanen | |
Scheußlichkeiten der Moderne, zu Fußgängerzone, Mehrzweckarena und | |
Einkaufszentrum, ist kaum denkbar. | |
Der Imam-Platz lässt ahnen, was Schönheit im öffentlichen Raum sein kann. | |
Alles Bauliche ist mühelos aufeinander bezogen, wirkt heiter, | |
menschenfreundlich und wird auf diese Weise zu einem wunderbaren Statement | |
gegen Trash und Kommerz, an den sich der globalisierte Mensch im | |
städtischen Raum überall gewöhnt hat. | |
Doch Schönheit lauert überall. Der Innenhof des Abbasi-Hotels, einer | |
ehemaligen Karawanserei aus dem 18. Jahrhundert, wirkt mit seinen Arkaden | |
und Springbrunnen wie der Imam-Platz in Miniatur. Am Abend hat die örtliche | |
Handelskammer hier eingeladen, um mit den deutschen Gästen über Irans | |
Perspektiven im Tourismus zu sprechen. Doch zunächst geht es um die | |
Deutschen. Die können hier, wie nahezu überall im Land, mit Sympathie und | |
Anerkennung rechnen. | |
Die Honoratioren erinnern an Goethes Bewunderung für Persiens | |
Nationaldichter Hafis, die Leistung von Siemens beim Bau der persischen | |
Eisenbahn, die Tatkraft deutscher Archäologen in Persepolis. Auch wenn es | |
von hier nicht weit ist bis zum Fauxpas von der „gemeinsamen arischen | |
Rasse“. Nachhaltiger als solche Protokollfehler wirkt der Eindruck, dass es | |
den Gastgebern mit ihrem Wunsch nach Zusammenarbeit ziemlich ernst ist. Man | |
hat nicht viele Freunde auf der Welt. | |
## Der Iran als Reiseland | |
Der Ausbau des Tourismus wird als Möglichkeit gesehen, verschlossene Türen | |
wieder zu öffnen. Das Land verfügt über gute Hotels, doch weil es seit über | |
dreißig Jahren an ausländischen Hotelketten mangelt, reicht das Angebot | |
kaum aus, um größere Besucherscharen zu beherbergen. Auch Fachpersonal ist | |
rar. Fremdenführer, die Deutsch oder Japanisch sprechen, sind schwer zu | |
bekommen. Und schließlich bleibt das Imageproblem. Der Iran hat als | |
Reiseland viel zu bieten, doch Theokratie und internationale Konflikte | |
schrecken ab. | |
Beim abendlichen Dinner mit Isfahans Geschäftswelt landet das Gespräch | |
rasch wieder bei der Politik. Handelskammerpräsident Khosro Kassaian sieht | |
den Iran von der Weltöffentlichkeit unfair behandelt: „Wir sind ein | |
friedliches Volk und haben noch nie einen Krieg begonnen. Wir wollen | |
Austausch und Kooperation, damit wir uns entwickeln und lernen können.“ | |
Nicht nur Richtung Deutschland herrscht Tauwetter. Visa-Regeln werden | |
erleichtert, Reiseveranstalter zu Inforeisen eingeladen, ausländische | |
Investoren beworben. Genügend Geld ist vorhanden. Interesse an | |
touristischer Entwicklung haben nicht zuletzt einige iranische | |
Großunternehmer, die nach neuen Anlagemöglichkeiten in anderen Branchen | |
suchen. Ob das private Kapital nach marktwirtschaftlichen Spielregeln | |
investiert werden kann, ist jedoch ungewiss. Auch außerhalb der Ölindustrie | |
wird ein Großteil der Wirtschaft von staatsnahen Organisationen wie den | |
Pasdaran kontrolliert. Die Militärs der mächtigen Revolutionsgarden sind | |
eine tragende Säule des Systems und dominieren Medien- und | |
Telekommunikationsbranche, bauen Straßen und Flughäfen, Gasleitungen und | |
Stromtrassen. | |
Der örtliche Guide, den wir bei einer letzten Stadtrundfahrt darauf | |
ansprechen, zuckt nur gleichmütig mit den Schultern: „Sie sind wie das | |
Wasser, die Luft und die Erde. Sie sind überall.“ Nicht überall. Beim Stopp | |
an der wunderschönen Khaju-Brücke, einem beliebten Treffpunkt in Isfahans | |
Zentrum, finden sich wie schon in der Hauptstadt wieder jene coolen | |
Großstadtsöhne und -töchter, die offensichtlich anderes im Sinn haben als | |
Macht und Monopole. Die Fremden stehen sofort im Mittelpunkt. „Gebt uns | |
eure Mail-Adresse! Kommt mit euren Familien wieder! Meldet euch bei uns!“ | |
Ein weiteres Mal wird deutlich: Diese Generation sehnt sich nach vielem, | |
das außerhalb ihres Landes liegt. | |
19 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Martin Jahrfeld | |
## TAGS | |
Iran | |
Tourismus | |
Teheran | |
Reiseland Iran | |
Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Notwehr gegen Vergewaltiger im Iran: Studentin droht Hinrichtung | |
Weil Reyhaneh Jabbari in Notwehr einen Mitarbeiter des Geheimdienstes | |
erstach, der sie vergewaltigen wollte, wurde sie zum Tode verurteilt. |