| # taz.de -- Ethan Zuckermans Buch „Rewire“: Gefangen in der Filterblase | |
| > Das Internet ist riesig, aber wir surfen im Kreis. Das ginge auch anders, | |
| > erklärt der Medienforscher Ethan Zuckerman in seinem Buch „Rewire“. | |
| Bild: Blogs, Übersetzungstools, News-Aggregatoren: Das Netz streckt die Hand a… | |
| Der Medienforscher Ethan Zuckerman hielt sich für einen echten | |
| Internetkosmopoliten, der die Weiten des Netzes nutzt, um sich auch über | |
| Chinas Kampf gegen die Pornografie zu informieren oder die Einführung der | |
| Scharia im Sultanat Brunei. | |
| Weil Zuckerman aber an einer Universität arbeitet und schon ahnte, dass | |
| Selbstbild und die Realität sich unterscheiden können, wenn man sie über | |
| eine simple Selbstbeobachtung erfasst, zeichnete er eine Zeitlang sein | |
| Surfverhalten auf. | |
| Was herauskam, ist überaus interessant. „Wie ich festgestellt habe, besteht | |
| ein krasser Unterschied zwischen mir, wie ich mich selbst wahrnehme, und | |
| der Person, die meine Webbrowser-Chronik geschrieben hat“, schreibt | |
| Zuckerman in seinem [1][Buch „Rewire“]. „Ich halte mich für einen global | |
| ausgerichteten Menschen: Ich habe den Vorsitz im Vorstand einer | |
| gemeinnützigen Organisation in Kenia, sitze in den Vorständen von | |
| Organisationen, die sich mit afrikanischem Journalismus und globalen | |
| Bürgermedien beschäftigen, und an vielen Tagen schreibe ich über aktuelle | |
| Ereignisse in den verschiedensten Winkeln der Entwicklungsländer.“ | |
| Das alles sei an seinem Medienkonsum kaum zu erkennen: „Viel | |
| offensichtlicher erkennt man beim Verfolgen meiner Online-Spuren, dass ich | |
| eine Schwäche für Internethumor habe und dass ich übermäßig viel Zeit | |
| darauf verwende, meine Lieblings-Football-Mannschaft, die Green Bay | |
| Packers, im Auge zu behalten.“ | |
| ## USA am wenigsten engstirnig | |
| Man könnte so viel erfahren. Aber am Ende daddelt man doch wieder den | |
| ganzen Tag zwischen Spiegel Online und Facebook hin und her, statt das | |
| „Kongo Echo“-Blog auf taz.de zu lesen. Wir machen uns das Internet viel | |
| kleiner, als es für uns sein könnte. Gefangen in einer von Google, Facebook | |
| und uns selbst gefilterten Blase, einer „Filter Bubble“ wie der Autor Eli | |
| Pariser sie einmal beschrieb. | |
| Das internationale Nachrichtennetz, das zeigt Ethan Zuckerman mit | |
| Google-Daten nun in „Rewire“, besteht aus der Summe vieler nationaler | |
| Nachrichtennetze. Wenn man etwa die 50 wichtigsten Nachrichtenseiten in | |
| Frankreich ansieht, führen 98 Prozent aller Besuche auf französische | |
| Seiten. | |
| In Deutschland führen 98,7 Prozent auf deutsche Seiten. Die USA zählen mit | |
| nur 93,9 Prozent US-internen Verweisen zu den am wenigsten engstirnigen | |
| Nationen von News-Konsumenten, was an den vielen Einwanderern und Studenten | |
| liegt, vermutet Zuckerman. | |
| Aus Beobachtungen wie diesen hat Zuckerman, der am MIT Center for Civic | |
| Media forscht, den Untertitel von „Rewire“ und seine zentrale Forderung | |
| entwickelt: „Warum wir das Internet besser nutzen müssen“. | |
| Der Kommunikationswissenschaftler prüft Netzwerktheorien, inspiziert | |
| Übersetzungstools, beobachtet globale Twitter-Phänomene und sammelt | |
| Anekdoten von Kosmopoliten, um eine Idee zu entwickeln, wie das | |
| funktionieren könnte. | |
| ## Kulturvermittler als Brückenbauer | |
| Ganz besonders wichtig erscheinen ihm dabei Menschen, die er als | |
| Brückenbauer bezeichnet. Sie stammen aus einer Kultur, leben in einer | |
| anderen und können deshalb besonders gut zwischen beiden vermitteln. Er | |
| schildert einige solcher Biografien. | |
| Der Computeringenieur, der in Kenia aufwuchs, zur US-Armee ging und dann | |
| wieder nach Nairobi, ist ein „Kind der dritten Kultur“. So würde es die | |
| Soziologin Ruth Hill nennen. Eine dritte Kultur, die entsteht, wenn man aus | |
| einer kommt und in einer anderen lebt. | |
| Zuckerman selbst hat zusammen mit der langjährigen CNN-Korrespondentin in | |
| China, Rebecca MacKinnon, ein Projekt namens [2][Global Voices] gegründet. | |
| Auf der Seite finden sich Texte von Bloggern aus Äthiopien, Algerien, | |
| Russland oder China. Die Artikel werden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. | |
| Es gibt die Seite [3][auch auf Deutsch]. | |
| Anfangs dachte Zuckerman, man müsse all diese Texte nur zugänglich machen, | |
| dann werde der Ansturm schon beginnen. Er musste dann feststellen, dass | |
| viele sich verhalten wie er selbst. Theoretisch finden sie es sehr | |
| bedeutend, dass es all diese Berichte gibt. Praktisch lesen sie sie aber | |
| selten. Obwohl man dank gar nicht so schlechter automatischer Übersetzer | |
| selbst ukrainische Nachrichten ganz ordentlich entschlüsseln könnte, grob | |
| wenigstens. | |
| Auf der Seite [4][newspapermap.com] etwa gibt es eine Übersicht von | |
| Zeitungen aus aller Welt – mit Übersetzungsknopf. Damit das, was Zuckerman | |
| ein Nachfrageproblem nennt, gelöst wird, müssten einerseits die Geschichten | |
| so gut sein, dass sie wirklich gelesen werden, glaubt er. Und die | |
| Kosmopoliten sollten einmal anfangen, sich selbst zu beobachten. | |
| 19 Jul 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.verlag-hanshuber.com/index.php/rewire.html | |
| [2] http://globalvoicesonline.org/ | |
| [3] http://de.globalvoicesonline.org/ | |
| [4] http://www.newspapermap.com | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Gernert | |
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