# taz.de -- Park-Pionier Wilhelm Benque: Erfinder verschlungener Wege | |
> Gelegenheitsrassist, Baumfeind, Vogelzeichner, Sozialreformer, Publizist | |
> und Verräter: Wilhelm Benque gab der Landschaftsarchitektur wichtige | |
> Impulse. | |
Bild: Der Bremer Bürgerpark: Das sind mehrere Parks in einem. | |
BREMEN taz | Von oben zilpt ein Vogel, in den Buchen wispern Blätter. Wie | |
eine lindgrüne Mauer ragt eine hohe Hecke auf, versperrt den Blick. Wie | |
geht es weiter? Der Sandweg umkurvt sie, und plötzlich stehst du am Rande | |
einer sonnenhellen Wiese: Der Bremer Bürgerpark, das sind mehrere Parks in | |
einem. Immer wieder schlauft sich der Pfad durchs dichte Grün, das dir die | |
Sicht versperrt – nur damit du dahinter eine völlig andere Landschaft | |
entdecken kannst, hier eine Brücke, da einen See, ein Pavillon, ein | |
Bauernhof, eine Bühne, eine Welt. | |
So hat Wilhelm Benque Natur gestaltet. So hat er sie inszeniert, zwischen | |
Kiel und Bad Harzburg, im mecklenburgischen Ludwigslust auch, wo er im | |
Februar 1814 geboren wurde. Und eben vor allem in Bremen, wo er 1895 starb | |
– am 1. November, was für ein passendes Datum für einen Gärtner. Fast | |
schroff verzichten seine Parks auf eine Sichtachse, die den Überblick | |
erlaubt. Klug und bisweilen überraschend wechseln Lichtung und Schatten, | |
verschlungenen Wegen gelingt es, alle Orientierung zu trüben: Nie erreicht | |
man das Zentrum, oft verliert man die Richtung. Oder doch nicht? | |
Das ist die Handschrift. Aber das scheint auch der Mensch gewesen zu sein, | |
widersprüchlich, voller überraschender Wendungen, mal geistreich-ironisch, | |
mal rustikal-plump. Mitunter auf ärgerliche Weise dumm, mitunter | |
genialisch-visionär, mitunter völlig durchgeknallt. Ein gutes Beispiel für | |
diesen abenteuerliche Mix stellt seine 1849 in Schwerin veröffentlichte | |
Schrift über „Die progressive Steuer als Ordnerin der innern | |
Landesverfassung“ dar: Während sie einen Parcours vom Ackerbau übers | |
Fiskalrecht bis zur Stadtplanung durchschreitet, formuliert sie ein | |
Plädoyer für massive soziale Reformen. Außer der Einführung einer Steuer, | |
deren Hebesatz in Abhängigkeit vom Vermögen steigt – ein damals völlig | |
neues, smartes Instrument –, schlägt er zwecks Umverteilung des Reichtums | |
ein extremes Abholzungsprogramm vor. Man sei „zu sehr gewohnt, | |
ausgebreitete Waldungen als Nationalreichthum anzusehn“, befindet Benque, | |
die „in Wahrheit ein Zeugniß splitternackter Armuth“ seien. „Ihr ruinirt | |
[die Natur] nicht, wenn ihr die Wälder abholzt“, dekretiert er. Skepsis | |
wegen Materialmangels erklärt er für unangebracht: „Unsern nächsten | |
Nachkommen geht Baumaterial und Feurung noch nicht aus“, so Benque, „und | |
die spätern Geschlechter werden sich arangiren.“ | |
Kurz nach Veröffentlichung des Essays durchsuchen die Büttel seine Wohnung | |
in Hagenow. Auf den Plan hat sie gerufen, dass der Text gegen das „System | |
der Ausbeutung“ hetzt, das keinen Fleiß, keine Dürftigkeit achte, sondern | |
nur „Geld, Geld! – und mochte es Sünden oder Blutgeld sein, der christliche | |
Staat raffte es im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen | |
Geistes an sich“. Benque wird vors großherzogliche Criminal-Collegium zu | |
Bützow zitiert. Er erscheint nicht. Als Anfang September 1849 sein | |
Steckbrief verbreitet wird, ist er schon in Hamburg. Von dort schifft er | |
sich ein, nach Amerika. | |
Beachtliche Begabung | |
Einen „Revolutionär und Gartenkünstler“ hat der Heimat-Journalist Martin | |
Stolzenau Benque genannt, in der Schweriner Volkszeitung. Aber Revolutionär | |
– im engeren Sinne passt das höchstens aus Sicht der Obrigkeit des 19. | |
Jahrhunderts. Und selbst da … Wilhelm Benque, zweiter Sohn einer ärmlichen | |
Schneiderfamilie, hatte ja, nach der Volksschule, drei Jahre im Schlosspark | |
von Ludwiglust das Gärtnern gelernt. Seine Begabung fällt auf. Großherzog | |
Friedrich Franz I. finanziert Benques Fortbildung in Preußen: In Potsdam | |
und Berlin avancierte Peter Joseph Lenné gerade zum unangefochtenen Guru | |
der Landschaftsarchitektur weltweit. | |
Als Benque 1839 seinen ersten Garten gestalten darf, in Schwerin, eine | |
Parzelle des Oberst von Elderhorst am Ostorfer Hals, schaut sich der | |
Großmeister das mal an. Lobt’s. Er zeichne sich durch eine „fachmännische | |
Tüchtigkeit“ aus. Dieser Benque verfüge offenbar über eine „beachtliche | |
Begabung“, so Lenné. Zu sehen ist davon heute nichts mehr. An dem Ort, der | |
seit damals Paulshöhe heißt, findet sich seit 1920 ein Fußballstadion. Auf | |
den Betontribünen sprießt der Löwenzahn. Ausgebleicht sind die Holzbänke. | |
Der Abriss steht bevor. | |
Wirklich revolutionär wirkt Benque erst viel später, nach der Rückkehr aus | |
den Staaten – als Landschaftsarchitekt. Vor allem indem er, im Süden Kiels, | |
den Friedhof neu erfindet, freilich ohne die gesellschaftliche Hierarchie | |
zu stören. Im Gegenteil: Gleich eingangs bestätigt der künstliche | |
Kapellenberg mit seinem Ring aus pompösen Mausoleen die besondere Würde | |
wohlhabender Toter. Aber statt als, bis dahin übliches, | |
rational-rechtwinkliges Gräberfeld, das sich am mäßigen Platzbedarf von | |
Leichen orientiert, denkt Benque den Neuen Kirchhof – so heißt er bei der | |
Eröffnung 1869 – als Landschaftspark mit kurvigen Pfaden und | |
melancholischen Bäumen – oh, diese herrlichen Trauerbuchen! | |
Der Südfriedhof wird zum Herz und Namensgeber eines Stadtteils. Und | |
mustergültig entspricht seine Gestaltung dem im 19. Jahrhundert | |
kultivierten Desiderat, sich, seufzend im Andenken an die teuren | |
Verstorbenen, im Weltschmerz zu ergehen. Statt ein Gefühl „des Grauens vor | |
dem Tod“ zu wecken, so beschreiben die Zeitgenossen diesen Wandel, „soll | |
der Friedhof in sinniger Verbindung mit anmuthigen Naturgegenständen uns | |
aussöhnen mit unserem Schicksal“. Das wünscht man sich ja auch von den | |
Industriearbeitern, die direkt nebenan in Gaarden bei den neuen | |
Howaldtswerken schuften, bei der Germania- und bei der Kaiserwerft. | |
Wider die Kartoffelkrankheit | |
Benques späte landschaftsarchitektonischen Aufträge wirken angesichts | |
seiner Vita eher überraschend. Denn genau genommen ist er damals | |
hauptberuflich Publizist, nicht Gärtner. Bald nach dem 1841/42 in Berlin | |
absolvierten Naturkunde-Studium hatte er versucht, durch Schriften zu | |
wirken. Und schon seine gärtnerisch-landwirtschaftlichen Memoranden zu | |
„Mecklenburgs Obstbau“ (1844) oder wider die Kartoffelkrankheit setzen an | |
unerwarteten Stellen gesellschaftliche Akzente. Spätestens ab 1848 gewinnen | |
die, agrarisch grundiert, völlig die Oberhand. | |
Auch in die Hauptstadt Holsteins ist Benque 1864 für eine Redakteursstelle | |
bei der Kieler Zeitung von Lübeck gezogen – direkt an die deutsch-dänische | |
Front, obwohl er doch angeblich wegen des Sezessionskriegs 1862 aus Amerika | |
zurückgekehrt war. | |
Allerdings: Die Zeit in den Staaten ist kaum erhellt. Es heißt, er habe | |
zunächst in Iowa gesiedelt. Wo genau – unerwähnt. Ein Auskommen muss er | |
gehabt haben: 1851 konnte er es sich leisten, zur Brautschau nach Hamburg | |
zu kommen. Laut Günter Reinschs Kurzbiografie hieß die Auserwählte | |
Christine Friederike Copmann. Unmittelbar nach der Hochzeit in Blankenese | |
segelte das junge Paar zurück. In New York suchte es sein Glück. | |
Aber findet’s das? In Bremen hält sich beharrlich die fromme Legende, | |
Benque wäre, wenn nicht der alleinige Schöpfer, so doch Mitgestalter des | |
Central Park. Bloß – wie undankbar diese Amerikaner sind! – Roy Rosenzweig | |
und Elizabeth Blackmar erwähnen den großen Benque in ihrem | |
sozialhistorischen Standardwerk zu den Lungs of the city „The Park And The | |
People“ nicht mal. Und zu Recht. Denn, ja: Beim Gestaltungswettbewerb gibt | |
Benque 1857 zusammen mit dem zwei Jahre älteren Botaniker Carl [Charles] | |
Rawolle einen Entwurf ab. Aber anscheinend zu spät: Die Jury sichtet und | |
diskutierte alle 33 anonym und fristgerecht eingereichten | |
Gestaltungsvorschläge. Die Benque-Rawolle-Pläne sind als „No. 35“ | |
archiviert. Unbeachtet bleibt ihr Vorschlag, den Park durch drei | |
Gebäudeblocks – sie sehen Schulen vor, ein Opernhaus, ein Luxushotel und | |
einen „block-sized bazaar divided into sales rooms“ – in vier | |
unterschiedliche Landschaften zu unterteilen. | |
Auch seine erste bekannte landschaftsarchitektonische Arbeit für New York | |
bleibt schwarz-weiß: 1854 publiziert er ein Buch mit Entwurfszeichnungen | |
für einen „Botanical Garden“. Glenn Park sollte der heißen und am Bronx | |
River in Yonkers entstehen, etwa fünf Meilen nördlich des Geländes, auf dem | |
man 1891 wirklich den New York Botanical Garden anlegt. Aus einer streng | |
symmetrischen Keimzelle – eine prachtvolle Allee führt auf ein Palmen-Haus | |
zu – skizziert Benque Übergänge in immer naturhaftere Wiesen mit | |
Solitärbäumen und in Waldungen. Benques Glenn Park wirkt wie ein Urbild des | |
Bremer Meisterwerks. | |
Schlimmer Schiffbruch | |
Den schlimmsten Schiffbruch erleidet er in New York indes an | |
politisch-publizistischer Front. Infolge der „Panic of 1857“, der ersten | |
großen US-Wirtschaftskrise, hatte sich ein „Arbeiterbund in New York“ | |
gegründet. Anfang 1858 reichen dessen Gelder, um eine eigene Zeitschrift zu | |
gründen – Titel: Der Arbeiter. Ihr Redakteur: Benque. Ihr bedeutendster | |
Autor: Gustav Struve, Anführer des Putschs von Lörrach, der im Exil an | |
seiner „Weltgeschichte“ (1853–1864) arbeitet. „Doch gleich die ersten | |
Nummern“, schreibt er später, „bekundeten, daß der erwählte Redacteur | |
nichts weiter beabsichtigte, als seine Anhänger an die Freunde der | |
südlichen Sklavenhalter zu verkaufen.“ Gemeint ist Benque. Aber Verräter | |
haben keinen Namen. | |
Verkaufen – dafür gibt es keinen Beleg. Aber aktenkundig ist der zutiefst | |
rassistisch wirkende Vorschlag des Landschaftsgärtners, die Sklaverei zwar | |
abzuschaffen und die Schwarzen in ihre Herkunfstländer zuzurückzubringen, | |
dafür aber dort junge „Lehrlinge“ für die Südstaaten-Feldarbeit zu | |
rekrutieren. Zugleich sollten „die Plantagen des nördlichen Gürtels der | |
Sklavenhalterstaaten auf den Maulbeerbaum umgestellt und mit der billigen | |
Arbeitskraft von Chinesen bewirtschaftet werden“, referiert der Historiker | |
Ansgar Reiß. „Denn hier, Madame Clio-Struve wachsen unsere späteren | |
Unterkleider“, polemisiert Benque in Heft Nr. 4 am 17. April 1858 gegen | |
seinen Leitartikler – „und zwar seidene Unterkleider!“ | |
Dem Arbeiterbund reicht’s: Er beendet die Finanzierung und gründet die | |
Wochenzeitung Sociale Republik. „Ich wurde ersucht, die Redaction des | |
Blattes zu übernehmen“, berichtet Struve. Nummer 1 lag bereits am 24. April | |
vor, der letzte Arbeiter erschien am 8. Mai. Benque blieb die Arbeit als | |
wissenschaftlicher Zeichner für die Bien-Edition von John James Audubon’s | |
„Birds of America“, eine Prachtausgabe. Die wird wegen des Bürgerkriegs und | |
fehlender Subskribenten eingestellt. | |
Die Amerika-Erfahrungen haben Benques Denken offenbar verändert. „Also | |
jetzt an der Spitze des Staates: der Geldsack!“, hatte er 1849 noch | |
geflucht. Am 23. Juni 1866 macht er mit den Geldsäcken an der Spitze | |
Bremens auf der Bürgerweide und per Handschlag das Geschäft seines Lebens. | |
Auch seine Haltung zu Bäumen muss er überdacht haben: Als fünf Tage später | |
um 6 Uhr früh 170 Arbeiter anrücken, geht es vor allem um Aufforstung. Zu | |
pflanzen: 26.000 Rotbuchen, 8.000 Eichen, 2.000 Lärchen, 2.600 Birken, 300 | |
Edeltannen und vorne weg mal 5.900 Rotfichten. Die erste steht im | |
September. Den Auftrag erteilt hatte das „Comité zur Bewaldung der | |
Bürgerweide“, der Vorgänger des Bürgerparkvereins. | |
Mit der Bewaldung ist es den Bremern ernst: Weil das Gelände bis dato so | |
kahl und schattenlos ist, hat sich die Stadt im Vorjahr landauf, landab | |
blamiert. Der Anlass war total vaterländisch, also sehr, sehr ernst: Bremen | |
war im Juli 1865 Austragungsort des Zweiten Deutschen Bundesschießens. Doch | |
statt erwarteter 10.000 hatten sich nur einige Hundert Zuschauer beim | |
Aufmarsch der 7.000 Schützen aus allen deutschen Gauen nebst einer | |
Delegation aus San Francisco verloren, wie die überregionale Presse | |
bösartig notiert hat. Und die Sonne sengte erbarmungslos aus dem Azur. | |
Die 7.000 Schützen und die Delegation aus Kalifornien wiederum hatten sich | |
auf ihre Weise gegen die Hitze geholfen: Ein Dr. A. Meyer beendete seine | |
Rede mit einem „Hoch! aufs Vaterland“. Man trank. Dann erhob Dr. Gerding, | |
Celle, das Glas auf Diana, die Schutzgöttin der Schützen. Stier aus | |
Chemnitz brachte einen Toast auf die Bremer Gastfreundschaft aus, sie lebe | |
hoch!, Darauf antwortet der Herr Buff, Prost!, und Sssssenator ’hips! | |
Kott-, kot-, kod-, kotts-Mmaie-rauch. Zum Glück gibts beim Preisschießen | |
keine Toten. | |
Als Bürgerparkdirektor verstrickt sich Benque schnell in einen Dauerclinch | |
mit dem Trägerverein. Mal wehrt er sich vehement gegen eine | |
Gehaltserhöhung, mal stimmt was nicht mit einer Silberpappel. Er | |
demissioniert, wird zurückgeholt, wird gefeuert. Ihm wurscht – längst hat | |
er einen Ruf im ganzen Reich, bekommt Aufträge für Kurparks in Karlshafen | |
und Harzburg, entwirft überall im Norden Privatanlagen: ein Garten fürs | |
Rittergut Lucklum bei Wolfenbüttel, einen in Leuchtenburg, einen in | |
Delmenhorst, einen in Burglesum. Sie erfüllen heute, wovon Benque in den | |
USA geträumt hatte: „The rich man“, schreibt er im Glenn-Park-Büchlein, | |
„der reiche Mann sollte einen Vertrag mit der Natur eingehen, indem er | |
Parks mit allen ihren Bestandteilen anlegt.“ Sich selbst tue er damit kein | |
Leid – und könne zugleich dafür sorgen, dass „many ar ray of light“, vi… | |
Strahlen des Lichts, auf die erdrückend schweren Wege fallen „of even the | |
common laborer“. | |
3 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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