# taz.de -- Allein unter Männern: Die Müllfrau | |
> Anja Roggendorf arbeitet in der Abfallwirtschaft. Seit zwei Jahren ist | |
> sie die einzige Bremerin, die auf einem Müllfahrzeug arbeitet. | |
Bild: Diesen Job macht in Bremen keine zweite Frau: Anja Roggendorf bei der Arb… | |
Die Frau in hellgrüner Latzhose gleitet elegant vom Tritt des Müllwagens. | |
Sie ist klein und stämmig, trägt kurze blonde Haare und Silberschmuck. | |
Kreuz und quer joggt sie in festen Stahlkappen-Schuhen hinter dem langsam | |
fahrenden Fahrzeug her, leert Tonne für Tonne, bei schwülen 25 Grad. Von | |
Weitem kann sie leicht für einen Mann gehalten werden. Den würde man auch | |
erwarten, wenn die Müllabfuhr kommt. Anja Roggendorf aber ist die einzige | |
Frau Bremens, die als Laderin in der Müllentsorgung arbeitet. Ihr Job wird | |
auch Kipperin genannt. | |
Seit fast zwei Jahren ist sie die erste Müllfrau im Bremer | |
Entsorgungsunternehmen Nehlsen und für Restmüll zuständig. „Ich weiß auch | |
nicht, wo die Frauen alle sind“, sagt Anja lachend und hakt weitere | |
Müll-Tonnen in die Schüttung, der hinteren Vorrichtung zum Beladen. | |
Vielleicht sei der Job für die meisten Frauen zu anstrengend. „Mein Job ist | |
ein richtiger Knochenjob“, sagt sie und schiebt die leeren Tonnen zurück. | |
Da ist wohl was dran, denn Restmüll-Tonnen haben eine Füllmenge von 60 bis | |
240 Litern. Aber letztere seien auf ihrer Tour eigentlich selten. Dazu | |
kommen noch die weißen Bremer Müllsäcke, die oft über die erlaubten 15 | |
Kilogramm wiegen würden. Wenn es zu schwer wird, käme ja ihr Fahrer zu | |
Hilfe. Einen weiteren Kollegen gibt es nicht, pro Müllfahrzeug arbeiten bei | |
Nehlsen nur zwei – LaderIn und FahrerIn. Ihrem Fahrer signalisiert sie | |
jetzt per Handzeichen, wieder anzufahren. Weiter geht’s durch Sebaldsbrück. | |
In ganz Bremen sammelt das Duo Restmüll, außer in Bremen Nord, immer | |
werktags von 6.30 Uhr bis 15 Uhr. Heute ist Mittwoch und eine ungerade | |
Kalenderwoche. „Das bedeutet, dass die Anwohner hier in Sebaldsbrück und | |
Hemelingen ihren Bio- und Restmüll vor die Haustür stellen“, erklärt die | |
47-Jährige. Etwa 25 weitere Restmüll-Teams sind in den beiden Stadtteilen | |
unterwegs. Dazu kommen noch die Kollegen für den Bio-Abfall. Alles reine | |
Männersache hier in Bremen. | |
## Aus einer Arbeiterfamilie | |
Sie packt zwei volle Tonnen und zieht sie hinter sich her, stemmt sie in | |
die hintere Ladevorrichtung des Lkws und geht einen Schritt zurück, während | |
die Tonnen hydraulisch nach oben gezogen und kopfüber entleert werden. Dann | |
wartet sie, bis die geleerten Tonnen wieder vor ihr stehen, hakt sie aus | |
und schiebt sie zurück an ihren Platz. Anja redet viel über das Thema | |
Arbeit. Faule Menschen könne sie nicht leiden. Sie kommt aus einer | |
Arbeiterfamilie, ist mit sechs Geschwistern im nordrhein-westfälischen | |
Oppenwehe aufgewachsen. „Mein Vater war Seemann und meine Mutter war in der | |
Landwirtschaft“, erzählt sie. | |
Hinter der nächsten Tonne wartet eine alte Frau. Man kennt sich bereits. | |
Anja bleibt kurz stehen, um mit ihr zu plaudern. Das kommt nur selten vor. | |
„Viele starren mich einfach an, das nervt schon“, erzählt sie. Von einigen | |
Anwohnern kämen auch Sprüche, warum denn eine Frau die schwere Tonne heben | |
müsse. Da gäbe es einfach einen flotten Spruch von ihr als Antwort. | |
Sexistische Bemerkungen von ihren Kollegen gibt es laut Anja nicht. „Ach, | |
meine Kollegen wagen es doch gar nicht, mir Kontra zu geben“, lacht Anja. | |
Nach zwei Stunden legen sie eine kurze Zigarettenpause ein. Der | |
Lastkraftwagen wird mitten auf einer ruhigen Seitenstraße gehalten. „Ganz | |
schönes Gerenne heute“, sagt Anja und greift sich ihre Wasserflasche aus | |
der Beifahrertür. 30 Kilogramm habe sie in diesen letzten zwei Jahren schon | |
abgenommen. Ein Kollege habe sich mal zum Spaß einen Schrittzähler | |
umgebunden, aber ihre Laufstrecke interessiere sie nicht wirklich. Sie | |
misst ihren Tag lieber in Tonnen. | |
## Rekord: 1.900 Tonnen | |
„Mein Rekord liegt bei 1.900 Restmüll-Tonnen“, sagt Anja stolz, während s… | |
eine Packung Zigaretten aus ihrer Brusttasche kramt. Der Durchschnitt läge | |
bei 1.000. „So, dann wollen wir mal wieder, wa“, sagt sie und hinterlässt | |
ihre Zigarette natürlich im ausklappbaren Aschenbecher des Fahrerhauses, | |
nicht etwa auf der Straße. Das Fahrerhaus ist aufgeräumt und sauber. | |
Lediglich die Ablage auf dem Armaturenbrett ist unordentlich. Zwischen | |
Kuscheltieren, Traubenzucker und Klebestreifen steht ein Behälter | |
„Stokosept-Gel“ – zur Desinfektion. | |
Einen U-Turn später ist die andere Straßenseite im Stakkato dran. Während | |
Anja nun wieder vom Tritt springt und in der zunehmenden Hitze die Tonnen | |
einlädt, behält ihr Fahrer den Verkehr, die sechs Seitenspiegel und den | |
kleinen Bildschirm im Auge, der die Kamera-Aufnahmen des Hecks zeigt. „Es | |
ist kein leichter Job“, sagt Peter Weimar, der schmale Mann hinter dem | |
Steuer. Manchmal habe er Mitleid mit Anja, wenn es beispielsweise stark | |
regnet. „Aber Anja zieht sich so schnell keine Regenjacke an!“, schmunzelt | |
der 44-Jährige. | |
Während er erzählt, springt er oft aus dem hohen Fahrersitz und packt mit | |
an, sobald mehr als fünf schwarze Tonnen am Straßenrand stehen. Aber das | |
mache er nicht für Anja, weil sie eine Frau sei, sondern für alle. „Es gibt | |
keinen Unterschied zwischen ihr und anderen Kollegen“, stellt auch er klar. | |
Aber es sei angenehm, eine Kollegin zu haben. „Ich kann auch gut mit ihr | |
über Familie und Kinder sprechen“, so der Vater zweier Kleinkinder. | |
Er selbst ist auch ein Ausnahmefall im Unternehmen. „Ich war der erste | |
Müllmann bei Nehlsen, der sich für zwei Jahre Erziehungsurlaub genommen | |
hat“, erzählt er. „Was willst du? Vaterschaftsurlaub?“, waren die | |
überraschten Reaktionen seiner Kollegen. Seit März ist er nun wieder im | |
Einsatz. | |
“Hä, Scheiße!“, ruft Peter plötzlich, „Anja ist weg.“ Er wendet das | |
Müllfahrzeug und fährt die lange Straße zurück. Anja steht irgendwo am | |
Straßenrand, seelenruhig über eine Tonne gelehnt und genießt eine | |
Zigarette. Sie winkt Peter zu und schüttelt den Kopf. „Da habe ich wohl was | |
übersehen“, sagt Peter. Anja leert die Tonne und steigt ins Fahrerhaus. | |
„Nett, dass du mich wiederholst, du Vollpfosten! Fährst einfach weiter!“, | |
schimpft sie amüsiert. | |
## „Die Arbeit macht Spaß“ | |
Pünktlich zur Mittagszeit wird das Müllfahrzeug vor einem Einkaufszentrum | |
in der Vahr geparkt. Eine halbe Stunde Ruhe. Anja kauft sich Mettbrötchen | |
und eine Cola, die sie fast in einem Zug leer trinkt. In dieser Zeit wird | |
auch geplaudert. „Mein Sohn hat heute Sportfest“, sagt sie und krempelt | |
sich die Hosenbeine hoch. „Heut’ Nacht hat mein Kleiner wieder schlecht | |
geschlafen“, meint Peter. Eine Müll-Kipperin und ein Fahrer, die sich über | |
Kinder und Familie unterhalten – dieses Duo passt nicht in das Bild einer | |
machistischen Männer-Domäne. | |
Weiter geht die Tour nach Hemelingen, mit Anja im Fahrerhaus. „Wir brauchen | |
jetzt keine drei Stunden mehr, oder?“, fragt sie Peter. „Ach, zweieinhalb�… | |
kommt seine Antwort. Da ist sie auch schon aus der Tür und zieht die ersten | |
Tonnen hinter sich her. „Mir macht die Arbeit richtig Spaß“, sagt Anja. Es | |
sei auch ein Job mit Zukunft: „Tote und Müll“, die würde es immer geben. | |
Seit 1996 arbeitet sie deshalb bei Nehlsen. Anfangs trennte sie | |
Gewerbe-Abfall, später fuhr sie Radlader und Gabelstapler in einer | |
Papierhalle und sortierte dann gelbe Säcke in Fließbandarbeit. „Das | |
3-Schicht-System hat mich als alleinerziehende Mutter überfordert“, sagt | |
sie. Ihr Chef schlug ihr dann vor, Kipperin zu werden. | |
## Mutter zweier Söhne | |
„Hier passe ich schon rein“, so die Mutter zweier Söhne. Sie bietet | |
Zweiflern wenig Angriffspunkte, die sie auf „typisch Frau“ reduzieren | |
könnten. Anja Roggendorf ist schlagfertig – sie sagt, was sie denkt. Sport | |
interessiere sie sehr, solange es „nicht so ein scheiß wie Yoga oder | |
Gymnastik“ ist. Am liebsten schaue sie Fußball, früher habe sie auch selbst | |
gespielt. | |
Um 13.50 Uhr verkündet Peter, dass die letzte Restmülltonne geleert wurde – | |
Nummer 1.177. Der Disponent wird angerufen, um zu klären, ob noch | |
zusätzliche Straßen gefahren werden sollen oder Tonnen vergessen wurden. | |
Alles ist in Ordnung. Sie bekommen das Okay zum Abladen. | |
## „Kein Deos, kein Parfüm“ | |
Auf dem Weg zum Müllheizkraftwerk fahren sie an Kollegen vorbei, die gelbe | |
Säcke einsammeln. „Du sollst arbeiten und nicht die Weiber nachgucken!“, | |
ruft Anja dem Lader zu. Der grinst. Bei der Müllverbrennung laden sie die | |
gesammelten zehn Tonnen Restmüll ab. „Freu’ ich mich schon auf die Dusche�… | |
sagt Anja auf dem Weg zurück zur Nehlsen-Zentrale. Die Frauen aus der | |
Sortierhalle seien schon nach Hause gegangen. „Keine Deos, kein Parfüm, | |
herrlich“, sagt sie. Aber Feierabend gäbe es noch nicht. Sobald Anja | |
Roggendorf die Arbeitskleidung ablegt und die Zentrale verlässt, schlüpft | |
sie in eine andere Rolle. Die der Mutter. | |
1 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Mahnke | |
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