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# taz.de -- Debatte um E-Books als Kulturträger: Es geht ums Lesen
> Was die Verbreitung von Inhalten betrifft, ist das E-Book unschlagbar.
> Diskutiert werden aber Erstweltprobleme einer angestaubten
> Buchtrophäenkultur.
Bild: Massenkulturelles Medium im Bücherregal.
Wer wissen will, was E-Books können, der muss vielleicht in Afrika
anfangen. Seit Anfang des Jahrtausends wuchs die Internetnutzung auf dem
Kontinent um 3.606 Prozent. Parallel dazu entwickelt sich eine rege
E-Book-Publishing-Szene, mit rein digitalen Verlagen wie Cassava Republic
aus Nigeria und Mampoer Shorts aus Südafrika sowie internationalen
Projekten wie Worldreader und Pubslush, die von einer kostengünstigen
Literarisierung des Kontinents per E-Book-Reader träumen. Netzzugang
vorausgesetzt machen digitale Texte Bildung unbeschränkt zugänglich.
Nie war der Akt des Publizierens und Lesens inklusiver als in Zeiten des
E-Books. Und das nicht nur in Afrika, sondern auf ähnliche Weise auch in
Indien und China, wo der digitale Buchmarkt schon längst ein Vielfaches des
gedruckten darstellt.
Derweil hat man hierzulande Erstwelt-Probleme mit den digitalen Büchern.
Das Wachstum des E-Book-Markts gerät ins Stocken. Häufig wird die mangelnde
Sonne-und-Strand-Kompatibilität der Reader beklagt. Und noch immer kommt es
so gut wie gar nicht vor, dass reine E-Book-Publikationen rezensiert
werden. Kern der ablehnenden Haltung gegenüber dem E-Book ist, dass es eben
nur den eigentlichen Zweck von Büchern erfüllt, nämlich das Gelesenwerden.
Dagegen ist das gedruckte Buch in unseren Breitengraden vor allem ein Dummy
für den Gabentisch, das man geschenkt bekommt, im Bücherschrank abstellt,
als Accessoire neben den Latte macchiato legt, aber auch – etwas seltener –
an Freunde verleiht und weiterverkauft. Für all diese Nebenaspekte der
Buchkultur taugt das E-Book nicht.
Aus der doch beträchtlichen Funktionsreduzierung im Wechsel vom gedruckten
Buch zum E-Book hat sich dieses Jahr eine Debatte entwickelt. Sie ist nicht
nur beispielhaft dafür, welche kulturelle Wasserscheide die Digitalisierung
des Buchmarkts darstellt, sondern auch vor allem dafür, wie sehr diese von
E-Book-Gegnern und E-Book-Befürwortern gleichermaßen missverstanden wird.
## Alberne Dateien
Angefangen hat den Zwist der dem Autor und dem geneigten Leser
wahrscheinlich unbekannte Buchgestalter Friedrich Forssman mit einer Klage
über die mangelnde „Ästhetik des E-Books“.
Auf dem Werbeblog eines großen deutschen Verlags verdammte dieser E-Books
ebenso tollkühn wie pauschal als „Unfug“. E-Books seien „[1][alberne
Dateien, die gern Bücher wären], es aber niemals sein dürfen“, ihre
ungemeine Transportkompatibilität sei lediglich interessant für „Berliner
Hipsterkreise, in denen das vierteljährliche Wohnungswechseln einfach
dazugehört“.
Der Buchgestalter selbst, offenbar mit einem preisgebundenen Mietvertrag
gesegnet, wolle auf gedruckte Bücher als bildungsbürgerliche Statussymbole
im Regal nicht verzichten. Denn „sowohl ’Bildung‘ als auch ’Bürger‘ …
etwas, was ich dringend haben beziehungsweise sein möchte“.
Paradoxerweise ist der Buchgestalter exemplarisch, wenn er irgendwie
magisch-animistisch davon ausgeht, Bildung sei etwas, das man ausgerechnet
in Form von vormodern fetischisierten Objekten erstehen könne. Dass das
E-Book schlicht billig und leicht verfügbar ist und daher alternativlos
gerade für die vielen Bildungshungrigen, die sich auch auf unserem
Kontinent keine Bücher leisten können – Schüler, Arbeitslose, Studenten,
atypisch Beschäftigte, aus anderen Gründen auch Arbeitsmigranten –, das
scheint kein Argument.
## Konsensfähige Angst
Auch hier ist die sich so immateriell gebende Welt der bürgerlichen
Ideologie eine auf den Kopf gestellte. Was der Buchgestalter in
Wirklichkeit fürchtet, ist, selbst wegdigitalisiert zu werden und sich
vielleicht seine ledergebundene Erstausgabe auch nicht mehr leisten zu
können.
Und diese Angst ist konsensfähig. Manch einem, der Tausende Euros in Bücher
investiert hat und Jahrzehnte damit, mühsam in Büchern zu lesen und
Passagen anzustreichen, anstatt einfach die Suchfunktion zu gebrauchen,
bereitet das E-Book ähnliches Muffensausen wie dem Buchgestalter.
Folgt Akt 2. Wahrscheinlich auch, weil ein Land voll futterneidischer
Maschinenstürmer kaum lebensfähig wäre, hat eine staatliche Stiftung dann
auch gleich mal Gelder für eine reine E-Book-Messe im Juni in Berlin zur
Verfügung gestellt.
Als Antwort auf die Blog-Post des Buchgestalters publizierten deren Macher
in Rekordgeschwindigkeit unter
[2][http://electricbookfair.de/electric-library] ein E-Book zur „Ästhetik
des E-Books“. Dort versammelt sind Repliken auf die Argumente des
Buchgestalters, geschrieben von Leuten, die was mit E-Books machen.
Anstatt nun aber etwa darauf hinzuweisen, dass E-Book-Verlage, wie Badlands
Unlimited, schon längst den ästhetischen Gipfel des Coffee-Table-Buchs
beziehungsweise -iPads erklommen haben, was dem Buchgestalter unbekannt zu
sein scheint, pflichtet man erstaunlicherweise dem Maschinenstürmer bei. Es
sei wahr, „heute, 2014, können E-Books Büchern ästhetisch nicht das Wasser
reichen“, so immerhin eine E-Book-Verlegerin.
## Digitale Ornamente
Ob es auch eine Ästhetik jenseits des Ornamentalen und Auratischen des
fetischisierten Kultobjekts geben könnte – immerhin die Grundfrage der
Moderne, form follows function –, solche Ideen scheinen heute sogar unter
E-Book-Machern nicht mehr auf der Hand zu liegen.
Die Rezepte, die stattdessen gegen den angeblichen ästhetischen Missstand
des E-Books vorgeschlagen werden, beinhalten weitgehend Ansätze, Letzteres
möglichst an das gedruckte Buch anzugleichen. Neue Fonts, digitale
Ornamente.
Kein Wunder, dass dann auch in einem der Essays gefragt wird: „Können wir
uns mal kurz bitte darauf einigen, dass das Trägermedium rein gar nichts
über die Qualität des Inhalts sagt?“
Zugegebenermaßen ist es verlockend, das Gesülze vom „Se Medium is se
Message“ den Gully runterzuspülen.
Aber es ist offensichtlich, dass man das Wesentliche versäumt, wenn man das
E-Book mit dem gedruckten Buch gleichsetzt, mit dem es technisch nur so
viel zu tun hat, als dass es auf derselben, einst von den Phöniziern im
Mittelmeerraum verbreiteten medialen Technologie des Alphabets aufbaut.
(Auch damals gab es wohl Ideogrammgestalter, die sich gegen diesen „Unfug“
wehrten.)
## Fortschritt durch: Fortschritt
Denn wir wissen natürlich, dass nicht nur die mediale Technik des Alphabets
ganz herausragende politisch-theologische Effekte hatte, insofern sie die
Grundlage der heiligen Schrift und der damit verbundenen Idee eines
auserwählten Volks war.
Ein ähnlicher medial-politischer Quantensprung zeitigte sich bei der
Aneignung des leicht transportierbaren ägyptischen Papyrus durch das
Imperium Romanum, die die imperiale Ausdehnung zum Weltreich
informationstechnisch überhaupt erst ermöglichte. Nicht zu vergessen in
diesem Zusammenhang auch der Druck selbst, der zunächst die Reformation und
später das Zeitungswesen und damit die bürgerlichen Revolutionen des 18.
und 19. Jahrhunderts mit sich brachte.
Das alles Gemeinplätze, logisch: Inhalt jenseits von medialer Materialität
gibt es so lange nicht, bis wir Telepathie können. Unterschiedliche
Trägermedien haben unterschiedliche Haltbarkeitsdauern und
Verbreitungsgeschwindigkeiten, unterschiedliche Produktionskosten, was
wiederum ganz enorme politisch-kulturelle Effekte hat, wenn wir öffentliche
Kommunikation als irgendwie konstitutiv für das Politische ansehen.
## Selbstbewusste Massenkultur
Vor allem Walter Benjamins Reproduktionsaufsatz, auch dies an sich ein
Gemeinplatz, lässt sich im Zusammenhang mit allem Digitalen nicht
übergehen. Es ist kein Zufall, dass die digitale Welt des Copy und Paste,
die keinen Unterschied erlaubt zwischen Kopie und Original, den
bürgerlichen Kult des Buchs zugunsten einer neuen, selbstbewussten
Massenkultur auflöst.
Anstatt also dem gedruckten Buch nachzuweinen oder gar zu versuchen, es
durch Ornamente im bislang herrlich reduzierten E-Book zu imitieren, muss
E-Book-Kultur davon handeln, den Prozess der Demokratisierung,
Säkularisierung und Rationalisierung der Schrift, der schon mit der
Erfindung des Alphabets begann, zu beschleunigen. In dem Sinne findet sich
die Speerspitze der Buchkultur heute in den trivialen Ecken fernab der
Büchermessen und ähnlicher Veranstaltungen: In der „Fan Fiction“ zum
Beispiel, wo massenweise Schmuddelliteratur for the people by the people
gemacht wird, die auch noch in der U-Bahn vollkommen unsichtbar gelesen
wird und in keinem Regal als Trophäe ausgestellt werden muss.
Buchgestalter, Verlage, Kritiker, Buchdeckel und Druckerschwärze stehen
dieser neuen, auf das Wesentliche reduzierten Ästhetik der sich literarisch
emanzipierenden Masse nur im Wege.
23 Aug 2014
## LINKS
[1] http://www.logbuch-suhrkamp.de/forum/warum-es-arno-schmidts-texte-nicht-als…
[2] http://electricbookfair.de/electric-library
## AUTOREN
Johannes Thumfart
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