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# taz.de -- Kriminalität: Dummheit schützt Polizisten vor Strafe
> Polizisten halten eine Frau illegal fest: Die Staatsanwaltschaft meint,
> den Beamten war unklar, dass das verboten ist.
Bild: Kennen diese Herren die Rechtslage? Polizei im Einsatz.
Die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung gegen
mehrere Polizisten eingestellt. Die Beamten hatten eine Frau gegen ihren
Willen weggetragen und im Auto festgehalten. Die Staatsanwaltschaft kam zu
dem Ergebnis: Den Polizisten sei nicht bewusst gewesen, dass das verboten
ist. Somit würden „hinreichende Verdachtsmomente für den Nachweis der
subjektiven Komponente einer Freiheitsberaubung“ fehlen, [1][schreibt die
Staatsanwaltschaft der Frau].
Der Fall zeigt, wie die Justiz mit zweierlei Maß misst. Eigentlich gelten
die Gesetze für alle Menschen gleich. Aber je nach Art des Täters wird ein
Gesetz mal in diese Richtung und mal in die andere gebogen. So entsteht für
Polizisten ein teilweise rechtsfreier Raum, in dem sie Straftaten begehen
können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Die Tat geschah bereits im Mai 2011. Damals tagte im Congress Center am
Alexanderplatz das Atomforum, ein Lobbyverband der Atomindustrie. Auf der
anderen Straßenseite demonstrierte die Anti-Atom-Aktivistin Cecile Lecomte.
Sie kletterte auf einen Laternenmast, um ein Transparent aufzuspannen.
Polizisten zogen Lecomte herunter, erteilten ihr einen Platzverweis, trugen
sie in ein Polizeiauto und hielten sie eine halbe Stunde fest, bis ihre
Personalien aufgenommen waren. Die Polizisten beriefen sich auf das
Landespolizeigesetz: „Die Ordnungsbehörden und die Polizei können zur
Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen.“
Polizisten dürfen also nicht willkürlich jeden Bürger wegtragen, sondern
nur die Bürger, die eine Gefahr sind. Lecomte meinte: Sie war keine Gefahr
für das Atomforum, da sich zwischen ihr und dem Veranstaltungsgebäude noch
eine achtspurige Straße, eine Absperrung mit Gittern und eine Menge
Polizisten befand. Lecomte klagte vor dem Verwaltungsgericht und gewann:
Die Polizisten hätten sie nicht wegtragen und festhalten dürfen.
Damit stellte sich die Frage nach der Strafe für die Täter. Im
Strafgesetzbuch heißt es: „Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere
Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder mit Geldstrafe bestraft.“
Es gibt aber auch Ausnahmen. „Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln“,
heißt es im Strafgesetzbuch. Davon profitiert etwa ein Kneipenbesucher, der
an der Garderobe einen fremden Mantel anzieht statt den eigenen. Das
erfüllt eigentlich den Tatbestand des Diebstahls, ist aber nur
versehentlich passiert. Wer nicht weiß, was er tut, wird nicht bestraft.
Diesen Grundsatz wendet die Staatsanwaltschaft nun auch auf die Polizisten
an. Die wussten zwar, dass sie eine andere Person wegtragen – aber
angeblich nicht, dass sie das nicht hätten tun dürfen. Die
Staatsanwaltschaft geht davon aus, „dass die Polizeibeamten von der
Rechtmäßigkeit ihres Handelns überzeugt waren. Damit steht die Überführung
einer vorsätzlichen und schuldhaft verwirklichten rechtswidrigen Tat nicht
zu erwarten.“
Sprich: Wer ungestraft Straftaten begehen will, muss einfach nur fest davon
überzeugt sein, es sei gar keine Straftat. So steht es auch an anderer
Stelle im Strafgesetzbuch: „Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die
Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum
nicht vermeiden konnte.“
Dummheit schützt also doch vor Strafe. Aber nicht jeden – denn diese
Vorschriften werden sehr unterschiedlich angewandt. „Die Justiz
argumentiert ergebnisorientiert“, berichtet der Kreuzberger
Strafverteidiger Carsten Hoenig aus seiner Erfahrung. Er erinnert sich an
einen Mandanten, der kostenpflichtige Abofallen im Internet betrieben
hatte. Er hatte sich vorher von einem Rechtsanwalt beraten lassen, damit er
nichts macht, was strafbar ist. Anstatt dann wegen eines Irrtums auf eine
Strafe zu verzichten, legte die Staatsanwaltschaft dem Mandanten die
Beratung negativ aus: Das zeige gerade das Unrechtsbewusstsein des Mannes.
Hat dagegen ein Polizist eine Tat begangen, „dann setzt eine Art
Solidarisierungseffekt der Staatsanwaltschaft ein“, meint Hoenig. Auch
Staatsanwälte haben die Sonderbefugnis zu Maßnahmen, die sie unter
bestimmten Bedingungen nutzen dürfen, und die sonst aber unter hohen
Strafandrohungen stehen. Die Polizisten müssten „in Sekundenbruchteilen
eine Entscheidung treffen", sagt Hoenig, eben ob zum Beispiel in einer
Situation eine Gefahr besteht oder nicht.
Wenn jede Fehlentscheidung eines Polizisten gleich als Freiheitsberaubung
bestraft würde, hätte das erhebliche Konsequenzen für den Beamten - bis hin
zur Entfernung aus dem Dienst. Das wäre wohl ebenso zu hart, wie das
jetzige Verfahren, bei der Polizisten bei Straftaten häufig völlig ohne
Sanktionen bleiben, zu nachsichtig ist.
Eine Lösung könnte eine bessere Ausbildung der Polizei sein, die bei
Polizisten solche Irrtümer darüber, wann sie jemanden festhalten dürfen,
gar nicht erst entstehen lässt. Der innenpolitische Sprecher der Grünen,
Benedikt Lux: „Das Land Berlin trägt die Verantwortung dafür, dass nur
Polzisten eingesetzt werden, die die Rechtslage kennen und die nicht
vorschnell Leute festnehmen.“
Die Polizei lehnt das ab. Auf die Frage, welche Konsequenzen die Behörde
aus der Angelegenheit ziehen will, teilt die Pressestelle mit: „Keine“.
25 Aug 2014
## LINKS
[1] http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/2013/berlin/Einstel…
## AUTOREN
Sebastian Heiser
Sebastian Heiser
## TAGS
Cécile Lecomte
Anti-Atom-Bewegung
Klopapier
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