Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hilfe bei Schiffbruch: Hier bleibt keiner trocken
> Seit 149 Jahren gibt es die Deutsche Gesellschaft zur Rettung
> Schiffbrüchiger (DGzRS). An der Ostsee bildet sie ihren Nachwuchs aus.
Bild: Aus dem Leck sprudelt es wie aus einem Springbrunnen.
In marineblauen Arbeitsanzügen klettern ein Dutzend Freiwillige in den
stählernen Bootsrumpf. Vergitterte Deckenlampen werfen geizig Licht auf die
grauen Spanten. Es ist schwül und stickig, Pumpengeräusche pulsieren im
Raum. Wie in einem eben entleerten Aquarium. Plötzlich bricht Wasser durch
einen Riss in der Schiffswand mit einem Druck, als pinkle ein Wal herein.
Vom Schwall getroffen springt eine Frau zur Seite, auch die Männer weichen
zurück. Vergebens. Hier bleibt keiner trocken.
"Im Leckabwehr-Torso kann man spielen bis zum simulierten Untergang", lacht
Horst Kagel, Vormann der DGzRS-Ausbildungsstation in Neustadt bei Lübeck.
Seit rund 20 Jahren bereitet der 72-Jährige freiwillige und fest
angestellte Seenotretter auf ihre Einsätze in Nord- und Ostsee vor.
Die Freiwilligen des einwöchigen Lehrgangs "Sicherheit" üben das Schleppen
manövrierunfähiger Boote, die Evakuierung Verletzter sowie "persönliche
Überlebenstechniken", im Hörsaal des Schulungszentrums erfahren sie die
entsprechende Theorie.
Lecks sollen die Schüler mithilfe bordüblicher Gegenstände wie Holzkeile
und Textilien verschließen oder wenigstens verkleinern. Im Notfall könnten
sie auf einer leckgeschlagenen Yacht zwecks Holzgewinnung deren
Einbauschränke zertrümmern - allerdings nur nach Rücksprache mit dem
Eigner.
Im Torso liegen fertige Keile bereit, noch aber schießt das Wasser
ungebrochen herein. Regina Heinritz, eine von drei Frauen, versucht mit
Kollegen, eine Schaumstoffmatratze vor dem Riss zu fixieren.
Vollgesogen zieht diese jedoch in Richtung Schiffsboden, wo hinter ihnen
ein weiteres Leck sprudelt wie ein Springbrunnen. Im hinteren Teil des
Schiffsraums dringt es ebenfalls literweise durch die Wand.
"Hier ist eine Pumpe, die sie nutzen können", raunt Ausbilder Dieter
Conradi, während er von einer Plattform die triefenden Schüler beobachtet.
"Die Frage ist: Kommen sie darauf?"
"Wir geben auf!", ruft Regina halb ironisch zu den Ausbildern. "Hier gibt
keiner auf!", schallt es zurück. Der Übungscharakter tritt in den
Hintergrund, und körperliche Anstrengung steht jetzt in den Gesichtern.
Zwar hülfe bei einem Leck, die Quelle zu beseitigen - zu leicht wollen es
ihnen die alten Hasen aber nicht machen. "Wenn sie hingehen, um das Ventil
zu schließen, reißen wir die beiden Einschusslöcher auf", sagt Ausbilder
Conradi und zeigt auf zwei Torpedotreffer in Knöchelhöhe. "Ein bisschen
Spaß wollen wir ja auch haben."
Die Kriegswaffenschäden weisen darauf hin: Der "Torso" ist kein ziviles
Modell. Er ist Teil des benachbarten Marinestützpunktes, den "die
Gesellschaft" für ihre praktische Ausbildung nutzen darf.
## Hobbysegler wollen Erfahrung sammeln
Wie die meisten seiner Kollegen war auch Horst Kagel bei der Marine, bevor
er zu den Seenotrettern stieß, dort bildete er Taucher aus. Kagel ist ein
einnehmender Mann, ein jung gebliebener Geschichtenerzähler mit einem
marinen Erfahrungsschatz, den er teilen will. Die ältesten
Lehrgangsteilnehmer haben etwa sein Alter und sind teils "zur Auffrischung"
hier, der jüngste, Fiete Eckert, ist 18 Jahre alt. Für den hochgewachsenen
jungen Mann der "Station Schilksee" ist es der zweite Lehrgang in Neustadt,
zwei Wochen zuvor absolvierte er "Seemannschaft und Manöver".
Der Hobbysegler will bei der Gesellschaft Erfahrungen sammeln für seinen
angestrebten Beruf: "Schiffsmechaniker in der Handelsschifffahrt". Später
kehre er vielleicht zurück zu den Rettern. "Nicht jede Organisation kümmert
sich so gut um die Freiwilligen wie die DGzRS", lobt er. Neben 180
Festangestellten sind es rund 800 Freiwillige, die auf 54 Stationen den
deutschen Seenotrettungsdienst bilden. Ohne sie wäre er nicht finanzierbar.
Denn lediglich "bei technischer Hilfe" müsse ein Einsatz bezahlt werden,
erklärt Kagel, "Lebensrettung ist kostenfrei." Dass sie oft mit
"Freizeitschiffern" zu tun hätten, liege aber - anders als oft behauptet -
selten an deren Unvermögen. "Yachtis sind keine schlechten Seefahrer",
stellt der Vormann klar, "wir haben mit denen viel zu tun, weil es viele
gibt."
Und Notfälle gebe es jederzeit, "auch bei spiegelglatter See", sagt er,
"einer hat einen Herzinfarkt da draußen, Boote fahren zusammen oder jemand
geht über Bord." Nach einiger Zeit, abhängig von Kleidung, Temperatur und
körperlicher Verfassung, sei ein Mensch im Wasser durch "Unterkühlung"
gefährdet. "Wenn wir Unterkühlte finden und sie zeigen keine Lebenszeichen,
müssen wir trotzdem davon ausgehen, dass sie noch leben!", mahnt Kagel.
Bei 35 Grad Körpertemperatur wandele sich das "Erregungsstadium in ein
Lähmungsstadium". Die Herzfrequenz sinkt, Müdigkeit stellt sich ein, danach
Bewusstlosigkeit. Durch "falsche Erste Hilfe" wie zu schneller Erwärmung
oder Veränderung der Körperhaltung drohe einem Patienten der "Bergungstod",
erklärt Kagel. Regina ist angespannt. Die Verantwortung, die sie als Retter
tragen, ist groß. Die 48-Jährige mit den kurzen blonden Haaren aber hat
sich bereits am Vortag bewiesen - beim "Heli-Winchverfahren".
## Mit Wasserstrahl im Zangengriff
Ein "Seaking"-Hubschrauber der Marine, der die DGzRS bei ihrer hoheitlichen
Aufgabe des SAR (Search and Rescue) aus der Luft unterstützt, hatte sie wie
auch die anderen per Rettungskorb aus einem in der Ostsee treibenden
Rettungsfloß gezogen. Da saß sie nun, an der offenen "Seaking"-Schiebetür
auf der Kante zum Abgrund, und wartete, am Drahtseil auf eines der unter
ihr kreuzenden Seenotrettungsboote "abgewincht" zu werden.
Reginas Nerven werden bei der Brandbekämpfung erneut auf die Probe
gestellt. "Feuer ist immer gefährlich!", warnt Ausbilder Conradi. "Wenn ihr
zu nahe herankommt, werdet ihr sehen, wie der rote Friseur zuschlägt."
Im Gegensatz zur Leckabwehr könne man "bei Feuer nicht einfach die Schotten
dichtmachen" und den Raum aufgeben, erklärt er, es fresse sich durch
Kabelbahnen und Lüftungsschächte. Mit CO2 und Schaum ersticken die Schüler,
was Brandschutzsoldaten der Marine für sie entzünden: eine
Helikopterkabine, einen Schiffsraum und einen Motorblock mit gekreuzten
Wasserstrahlen im Zangenangriff.
Später auf See dürfen die Lehrgangsteilnehmer selbst feuern, wenn auch
flammenlos. Mit gespreizten Beinen steht Fiete am Bug des Rettungsbootes
"Siegfried Boysen", streckt die Arme nach oben und drückt ab. Aus der
großkalibrigen Signalpistole steigt eine weiße Leuchtkugel in den blauen
Ostseehimmel - im Ernstfall das Zeichen: "Wir, die Seenotretter, kommen!"
Zur Übung "persönlicher Überlebenstechniken" präsentiert sich den Schülern
im Hallenbad eine Art Weihnachtsmann in Badeshorts. DGzRS-Ausbilder
Fridolin Büttner hat sich die Henkel einer kleinen Plastiktüte um die Ohren
gehängt und grinst breit durch seinen weißen Folienbart: So hätten sie beim
Erbrechen die Hände frei, erklärt er dann.
Im Wellenbecken hinter ihm schaukelt eine Rettungsinsel, deren Klima aus
Gummigeruch, Sauerstoffarmut und Wärme schon gestandene Seemänner
niedergestreckt hat. Im Ernstfall verändere sich darin manch Charakter.
Seekranke würden mitunter aggressiv und wollten "die Insel verlassen",
berichtet Kagel, deshalb gehöre zur Standardausrüstung neben Schmerz- und
Signalmitteln auch 50 Meter Perlonleine, die man zum Fesseln benutzen
könne.
"Früher war auch mal ein Skatspiel drin", erinnert er sich, heute sei es
das Neue Testament. "Da kann man drüber lachen, aber wir kennen die
Situation nicht, wenn das Leben dem Ende zugeht."
6 Sep 2014
## AUTOREN
Alexander Stein
## TAGS
Manöver
Seenot
Seenot
## ARTIKEL ZUM THEMA
Restauriertes Schiff: Schwimmendes Denkmal
Die „Bremen“ war der Prototyp aller modernen Seenotrettungskreuzer.
Ehrenamtliche bringen sie in Vegesack Stück für Stück wieder in Schuss
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.