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# taz.de -- Jahrhunderttornado vor 250 Jahren: Die große Windhose zu Woldegk
> Der „Windwirbel“, der vor 250 Jahren in Mecklenburg wütete, gilt als
> einer der mächtigsten Wirbelstürme, die je über Deutschland tobten.
Bild: Akribisch dokumentierte Gottlob Burchard Genzmer die verwüsteten Bäume.
NEUBRANDENBURG taz | Mecklenburg-Vorpommern, Feldberger Seenlandschaft. Die
Beschreibung des Unwetters, das dort im Hochsommer vor genau 250 Jahren
wütete, liest sich wie aus der Geschichte des russischen Märchenerzählers
Alexander Wolkow entliehen. In „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ wird das
Mädchen Elli durch einen gewaltigen Sturm, der von einer bösen Hexe
entfacht wurde, samt Haus und Hündchen Toto in die Fremde verschlagen.
Genau von einen solchen Wirbelsturm ist in der „Beschreibung des Orcans,
welcher den 29ten Jun. 1764. einen Strich von etlichen Meilen im
Stargardischen Kreise des Herzogthums Mecklenburg gewaltig verwüstet hat,
in einigen Briefen an des Herrn G.C.R.S. Wohlgeb. in Neustrel. entworfen
von G. B. Genzmer. Präpositus und Pastorn in Altstargard im
Mecklenburgischen“ zu erfahren.
Auf einmal rücken Orkane in Kansas oder Taifune in Bangladesch ganz in die
Nähe. Wenn auch nicht zeitlich, so doch räumlich. Vor zweieinhalb
Jahrhunderten sollen im Sommer auch in Woldegk Scheunen, Bäume und
Pferdewagen durch die Luft geflogen sein, beschreibt der akribische Beamte
aus Stargard nach seiner Vor-Ort-Recherche.
Ein verheerender Tornado suchte am 29. Juni 1764 die Gegend um Woldegk im
östlichen Mecklenburg nahe der Grenze zur Uckermark heim. Auf einer Länge
von knapp 30 Kilometern und in über 900 Metern Breite verwüstete er einen
idyllischen Landstrich in geradezu unglaublicher Weise.
Genzmer, ein Pastorensohn aus Hohen-Lübbichow in der Neumark, studierte in
Halle Theologie und hatte vielseitige Interessen, darunter
Naturwissenschaften und die klassische Antike. Von 1745 bis 1756 wirkte er
als Prinzenerzieher am herzoglichen Hofe, bis ihm die angesehene Propstei
in Stargard übertragen wurde.
## Eine Schneise der Verwüstung
Die Schilderung über den Tornado und seine Folgen, der im Frühsommer 1764
gewütet haben soll, erscheint auch heute durchaus plausibel, schätzt
Bernhard Mühr vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des
Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ein. „Der 29. Juni liegt im
Zeitraum des frühsommerlichen Tornadomaximums. Eine 30 Kilometer lange
Schneise der Verwüstung erscheint zwar recht lang, kann aber bei besonders
intensiven Tornados durchaus auftreten.
Bei einer üblichen Verlagerungsgeschwindigkeit von durchschnittlich 50
Kilometer pro Stunde ergäbe sich daraus für den Bodenkontakt des Tornados
ein noch realistischer Zeitraum von 36 Minuten“, erklärt der
Wissenschaftler mit dem Spitznamen der „Wolkenjäger“.
## Detailierte Dokumentation
In sieben Briefen an den herzöglichen Minister in Neustrelitz schilderte
der historische Zeitzeuge G. B. Genzmer seine Recherchen zum Sturm. Die
ausgesprochen detaillierte Auflistung von Schäden findet später sogar in
Auszügen Eingang in eine Monografie „Wind- und Wasserhosen in Europa“
(Vieweg Verlag, 1917) des berühmten Polar- und Klimaforsches Alfred
Wegener.
Aus den historischen Quellen lässt sich ableiten, dass der Sturm heute eine
Einstufung als Tornado der Stärke F5 (T11) der Fujita-(Torro-)Skala
erhalten würde, womit dieses Ereignis alle anderen bisher aus Deutschland
bekannten Windhosen an Heftigkeit übertreffen würde.
„Informationen über besondere Wetterereignisse aus vorhergehenden
Jahrhunderten finden sich oft in alten Chroniken, die manchmal sehr
akribisch angefertigt wurden und einen wertvollen Schatz darstellen können,
um extrem seltene Wetterereignisse – Tornados, extreme Niederschläge,
Hitze, Trockenperioden – zu bewerten und einzuordnen“, würdigt Meteorologe
Bernhard Mühr heute die Arbeit des Wetterchronisten aus dem 18.
Jahrhundert.
Gottlob Burchard Genzmer, der 1771 im heutigen Burg Stargard verstarb,
dokumentiert die Folgen äußerst exakt. Er befragt Zeugen. Misst Umfänge
mächtiger Eichenstämme, die entwurzelt an den Alleen liegen, und die Dicke
knapp aus dem Boden ragender Grundmauern, auf denen zuvor noch ganze Häuser
gestanden hatten. Genzmer schreitet persönlich die Strecke ab, die zwischen
einer Scheune und dem weggewehten Dach liegt, er fertigt Zeichnungen
verdrehter Äste an und sendet alles an die zuständige Verwaltung nach
Neustrelitz.
„Damals wie heute können Tornados, auch heftige, in Deutschland vorkommen“,
sagt Diplom-Meteorologe Bernhard Mühr. Doch: Solche Kaliber wie die
Tornados von Feldberg (1764) oder Pforzheim (1968) bleiben eine seltene
Ausnahme.
## Die Schadenshöhe steigt
Zumindest die Schadensanfälligkeit für Tornados habe sich jedoch angesichts
der stark zugenommenen Siedlungsflächen und Industriegebieten dramatisch
erhöht, warnt er. Ob wir heute von solchen extremen Wetterereignissen
ebenso überrascht wären wie die Mecklenburger damals 1764, darüber kann der
wissenschaftliche Wolken- und Naturbeobachter vom Institut für Meteorologie
und Klimaforschung nur mutmaßen.
„Eine Vorhersage, wo und wann genau ein Tornado auftreten wird, kann nicht
gemacht werden.“ Einschätzungen seien aber mit modernen wissenschaftlichen
Methoden und auch durch die Analyse solcher historischen Darstellungen
dahingehend möglich, ob die Wetterlage und die atmosphärischen Bedingungen
es zulassen, dass sich überhaupt heftige Gewitter (sogenannte Superzellen)
bilden. Und mit ihnen möglicherweise auch Tornados. Auch in welcher Region
das bevorzugt der Fall sein könnte.
Vor dem Tornado selbst könne, so Bernhard Mühr, nur gewarnt werden, wenn er
bereits entstanden ist. Die Vorwarnzeit für die auf der mutmaßlichen
Zugbahn liegenden Gebäude beträgt dann allenfalls wenige Minuten. Den
besten Schutz bilden massive Gebäude oder Keller, die größte Gefahr geht
von umherfliegenden Trümmern aus.
12 Sep 2014
## AUTOREN
Ralph Schipke
## TAGS
Tornado
Wirbelsturm
Schwerpunkt Klimawandel
Tornado
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