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# taz.de -- taz sammelte Kohle für Knarren: Tüten voller Dollarscheine
> Was passierte eigentlich mit dem Geld, das die taz einst für Waffen in El
> Salvador gesammelt hat? Eine Spurensuche, 34 Jahre später.
Bild: 16. Januar 1992: Der Frieden zwischen Regierung und Guerilla in El Salvad…
Kaum jemand hatte wirklich erwartet, dass da viel Geld zusammenkommen
würde, als die taz am 3. November 1980 auf ihrer Titelseite den Aufruf
„Waffen für El Salvador“ veröffentlichte. Aber nach sechs Wochen waren
schon über 400.000 Mark zusammen, und die ersten taz-Redakteure machten
sich mit Plastiktüten voller Dollarscheine auf nach Zentralamerika, um
Comandantes der salvadorianischen Guerilla FMLN zu treffen und ihnen das
Geld zu übergeben, das die bundesdeutsche Linke gesammelt hatte.
Bis zum Ende der Kampagne nach dem Friedensschluss in El Salvador 1992
sollten es rund 4,7 Millionen Mark werden – seinerzeit die größte
Geldsammlung der Linken in der Geschichte der Bundesrepublik.
Dabei war „das Waffenkonto“, wie es in der Szene bald nur noch genannt
wurde, immer umstritten gewesen, und schon der erste Aufruf war nur
unterschrieben mit „Die Mehrheit in der taz“. 1980, das war nicht nur
Häuserkampf in Berlin, Anti-Atom-Kampf in Brokdorf und Solidarität mit den
Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und anderswo. Es war auch die Zeit
der Friedensbewegung, und ein Gutteil derjenigen, die im Bonner Hofgarten
und anderswo gegen die Pershing II und Cruise Missiles demonstrierten,
waren PazifistInnen, die mit einer Geldsammlung für Waffen nichts anfangen
konnten.
Aber da war eben die politische Lage in Zentralamerika. Im Juli 1979 hatten
in Nicaragua die sandinistischen Guerilleros der FSLN die brutale Diktatur
des Somoza-Clans besiegt und schickten sich an, eine neue Gesellschaft
aufzubauen – liebevoll und ein bisschen neidisch beobachtet und unterstützt
von linken Bewegungen auf der ganzen Welt.
In El Salvador hingegen herrschte eine Militärregierung, die
Großdemonstrationen zusammenschießen ließ und immer brutaler gegen die
Opposition vorging, sodass selbst der eigentlich gar nicht linke Erzbischof
Oscar Arnulfo Romero davon sprach, dass nur ein Aufstand das Land retten
könnte. Wenig später war er tot, auf der Kanzel erschossen – ein Fanal.
## Ausreise über Berlin-Schönefeld
Und als wenige Monate später die taz – und mit ihr nahezu alle der vielen
Salvador-Solidaritätsgruppen, allen voran der in den Räumen der taz im
Berliner Wedding produzierte Informationsdienst El Salvador (Ides) – zu den
Spenden für Waffen aufrief, da waren es auch prominente Christen wie
Hellmut Gollwitzer, die offen dafür Geld gaben.
Die FMLN verkündete damals, man rüste zur „Endoffensive“, und die meisten
erwarteten einen Sieg der Guerilla bis spätestens 1982. Da hatte in den USA
allerdings bereits der konservative Ronald Reagan den Demokraten Jimmy
Carter im Weißen Haus abgelöst. Ein zweites Nicaragua, so die Doktrin,
sollte es auf keinen Fall geben.
Thomas Schmid, seinerzeit taz-Lateinamerika-Redakteur, brachte zweimal die
Spenden nach Zentralamerika. „Skurril“ fand er es, im Tresorraum einer
Westberliner Bank 200.000 Dollar in Hunderterscheinen abzählen zu lassen,
in Plastiktüten zu verstauen und damit loszuziehen.
Ausreise über Berlin-Schönefeld, damals noch DDR, dann über Kuba nach
Nicaragua und nach der Wende über Frankfurt am Main nach Mexiko, wo den
Comandantes der FMLN das Geld in bar übergeben wurde. Schmids größte Angst
war es, die Tüten aus Versehen irgendwo stehen zu lassen. Die Quittungen,
in der Regel versehen mit revolutionären Grüßen an das deutsche Volk,
druckte die taz stets ab.
## Keine freie Gesellschaft
Die taz, damals noch mit dem Anspruch, eine „linke, radikale Zeitung“ zu
sein, sah sich als Teil der Szene. Im Vorstand des Herausgebervereins saß
Christian Ströbele, der auch das Waffenkonto verwaltete, in der Redaktion
sorgte der 2002 verstorbene Klaus-Dieter Tangermann dafür, dass regelmäßige
Berichte – und die Kontonummer – in die taz kamen. Gesammelt wurde bei
Veranstaltungen, in Kneipen, in WGs.
Auch große Einzelspenden über mehrere zehntausend Mark gingen ein. Im
Archiv der taz findet sich ein Schreiben des Amtsgerichts Mainz „zur
geflissentlichen Kenntnisnahme“. Anbei das Testament eines Lothar Horst R.
aus Budenheim mit der Verfügung, die Hälfte seines Nachlasses auf das
Waffenkonto zu überweisen.
Dabei hatte die Solidaritätsbewegung spätestens 1983 einen Knacks erfahren.
Es war klar geworden, dass der erwartete schnelle Sieg ausbleiben würde.
Und es schockierte die Nachricht von der brutalen Ermordung einer
Comandante – offenbar trugen die unterschiedlichen Fraktionen der Guerilla
interne Konflikte auch mit Gewalt aus.
Das war nun nicht jene neue, freie Gesellschaft, die man unterstützen
wollte. Die Solidaritätsmedien stritten darüber, was „solidarische
Berichterstattung“ eigentlich heißen sollte – viele hatten sich als
Sprachrohr der Guerilla begriffen, Kritik galt als Argumentationshilfe für
den Feind.
Nach dem Mord an Comandante Ana María wurde die Waffensammlung ein paar
Monate ausgesetzt, dann aber wieder aufgenommen – denn an der Analyse, dass
nur der bewaffnete Aufstand einen Weg zu Frieden und Demokratie in El
Salvador bringen könnte, hatte sich nichts geändert. Doch der Enthusiasmus
hatte gelitten. Dazu kam, dass sich die taz veränderte und sich immer
weniger von der Szene sagen lassen wollte, was sie zu schreiben habe. Die
Nummer des Waffenkontos wurde immer seltener veröffentlicht.
## 2.222,62 Euro Rest
1988 hatten sich auch in Zentralamerika die Umstände geändert. Nicaragua
war zermürbt vom jahrelangen Contrakrieg und sah sich zu Verhandlungen
gezwungen. In El Salvador verschlechterte sich die Situation erneut. Die
Solidaritätsbewegung drängte darauf, die taz möge das Waffenkonto an einen
zu gründenden Trägerverein abgeben.
Das fanden innerhalb der taz diejenigen gut, die schon immer gegen die
Sammlung waren. Redakteur Max Thomas Mehr etwa warf der Bewegung in einem
Beitrag vor, einem Mythos des bewaffneten Kampfes nachzujagen, dabei
brauche El Salvador doch vielmehr Dialog und Ausgleich. Auf einem
Nationalen Plenum – so hießen die taz-Vollversammlungen – wurde lange
diskutiert. Es setzten sich diejenigen durch, die das Konto behalten und
die Kampagne wieder anlaufen lassen wollten.
1990 verloren die Sandinisten in Nicaragua die Wahlen, die
Solidaritätsbewegung für Zentralamerika zerfiel bis auf wenige Gruppen, und
mit dem Friedensschluss in El Salvador wurde die Waffenkampagne endgültig
für beendet erklärt. Sie hatte zwölf Jahre lang bestanden, hatte
Verbotsversuche vonseiten der CDU überlebt, war 1982 Gegenstand einer
Kleinen Anfrage im Bundestag gewesen und hatte Kontroversen ausgelöst wie
kaum eine Kampagne zuvor.
21 Jahre später, Anfang 2013, meldete sich Christian Ströbele bei der taz –
da gebe es noch dieses Konto, und da sei auch noch Geld drauf: 2.222,62
Euro genau. Was denn damit passieren solle? Inzwischen stellte die
ehemalige Guerilla in El Salvador den Präsidenten, seit 1. Juni 2014
regiert mit Salvador Sánchez Cerén sogar erstmals ein früherer Guerillero.
Das Geld, entschieden Ströbele und taz-Aufsichtsrat, solle an die
Organisation Pro Búsqueda übergeben werden, die sich um die Suche nach
während des Krieges verschwundenen Kindern kümmert.
Die letzten Euro sind übergeben, das Konto ist aufgelöst, die
Waffenkampagne Geschichte. Wer heute die Debatten über Waffenlieferungen in
andere Weltregionen mitverfolgt, wo Diktatoren „Krieg gegen das eigene
Volk“ führen, wird viele Vokabeln wiederfinden, die seinerzeit die
Diskussion um das taz-Waffenkonto prägten.
22 Sep 2014
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
El Salvador
FMLN
taz
Waffen
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