# taz.de -- Die Wahrheit: Ausgschbiebn is! | |
> Zur Wiesnzeit ist so mancher Münchner einfach nur angewidert vom größten | |
> Volksfest der Welt. Eine Hassode zum Oktoberfest. | |
Kaum etwas ist mir so abgrundtief zuwider, wie das Oktoberfest. Obwohl ich | |
nie hingehe. Mir reichen schon die einschlägigen Verlautbarungen des | |
Münchner Fremdenverkehrsamtes, die jedes Jahr ab Ende Juli sprunghaft | |
zunehmen. In sämtlichen Gazetten wird man da seitenweise mit Informationen | |
überschüttet, die keine Sau interessieren. Wer da in welchem Zelt Festwirt | |
ist und dass der Krätz Sepp heuer nicht mehr mitscheffeln darf, weil er | |
Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat. Und dass dafür die Wirtsfamilie | |
Able ein neues Zelt hingestellt hat und deshalb das Bier dort noch teuerer | |
ist. | |
Und dass Bier eigentlich gar kein Alkohol ist, zumindest nicht in Bayern. | |
Sondern eine Erfindung der Mönche. Und damit Kulturgut. Und wie lange die | |
blechernen Pissrinnen dieses Jahr sind und mit welch atemberaubenden | |
Attraktionen sonst noch zu rechnen ist. Wieviele Loopings der Super-Achter | |
hat, und mit wievielfacher Erdanziehungskraft es einem folglich den Magen | |
umstülpt. TÜV-geprüft. Und wie schnell dieses und wie rasant jenes. In | |
einem Satz: wie einmalig es wieder sein wird auf der Wiesn. | |
Nein, ich will von dem ganzen Scheiß-Oktoberfest nichts wissen. Am | |
wenigsten interessiert es mich, dass heuer erstmals der neue Münchner | |
Oberbürgermeister das erste Fass angezapft hat, um dann lauthals zu | |
verkünden, dass jetzt "o'zapft is". Und dass der Seehofer unser Landesvater | |
ist und er deshalb die erste Maß bekommen hat, ganz wie die Tradition es | |
verlangt, und dass sie beim Stoiber immer Zitronenlimo in den Krug getan | |
haben, weil der sonst noch mehr gestottert hätte. Und dass sie das beim | |
Strauß nicht gemacht haben, weil der selbst stockbesoffen noch fehlerfrei | |
was auf lateinisch sagen konnte. | |
## Weißblaue Heerscharen | |
Nein, ich will verdammt nochmal nichts davon sehen und hören, dass wieder | |
Wiesnzeit ist. Und doch werde ich an jedem Eck und jedem Ende darauf | |
gestoßen. Nicht bloß durch die schwarzgelb und weißblau gestreiften | |
Fähnchen, mit denen alle Trambahnen bestückt sind. Darüber könnte ich | |
hinwegsehen. Nicht aber über die Heerscharen von Trachten- und | |
Lederhosenträgern, die sämtliche U-Bahnen verstopfen und in ihr Handy | |
plärren, dass sie gerade in einer verstopften U-Bahn sind und "auf d' | |
Wiesn" wollen. Oder all die Dirndl- und Rüscherlgwandträgerinnen, die einem | |
ungewollte Einblicke aufnötigen in ihren überquellenden Vorbau, den sie zur | |
Wiesnzeit präsentieren wie überzüchtete Milchkühe ihr Euter. Und die dabei | |
dreinschauen wie Paris Hilton beim Bieseln und das auch noch für pralle | |
Erotik halten. | |
Ja, ich hasse München, wenn Wiesn ist. Ich hasse es, wenn ich morgens das | |
Radio aufdrehe, und es scheppert mir einer dieser brunzblöden Wiesnhits | |
entgegen, die dieser Vollpfosten mit Strickmütze regelmäßig verbricht. Oder | |
zum hunderttausendsten Mal der "Skandal im Sperrbezirk" von der | |
selbsternannten "Münchner Freiheit". Oder eine Aufzählung irgendwelcher | |
"Promis", von denen ich noch nicht einmal den Namen kenne, geschweige denn | |
das dazugehörige Gesicht oder die herausragende Leistung, deretwegen | |
dauernd von ihnen die Rede sein muss, die da im Käferzelt beim | |
Proseccotrinken gesichtet wurden. | |
Meine Güte, der Lothar war da oder der Olli, und sie haben eine Lederhose | |
angehabt und Prosecco getrunken. Oder die Desirée im neuen Dirndl, die | |
Verona, die Cora, die Giulia und weiß der Teufel, welche noch von den | |
zahllosen Dummnüssen, die in irgendeiner Vorabendserie von PRO7 eine | |
Statistenrolle gehabt haben oder im Dschungelcamp waren und sich jetzt als | |
"Stars" vorkommen oder einen Fußballer geheiratet haben und jetzt mit dem | |
Promistatus "Spielerfrau" herumrennen. Als wenn das irgendjemanden | |
interessieren würde, wo oder wie oder mit wem dieses ganze Blödgesocks | |
sinnlos herumsteht und Maulaffen feilhält. | |
Oder wenn ich abends den Fernseher anmache und auf allen Kanälen sind | |
irgendwelche "Bayern-Reporter" zu sehen, die auf einer Empore in der | |
Schützenfesthalle hocken und einen derartigen Bockmist verzapfen, dass | |
eigentlich die Lichter ausgehen müssten. Tun sie aber nicht, weil der | |
Bayerische Rundfunk diesen steinerweichenden Blödsinn für besonders | |
bayerisch oder urig oder fremdenverkehrsförderlich hält, weshalb es ihn | |
sechzehn Tage am Stück gibt. | |
## Gaudi aus Hintertupfing | |
Oder diese ewig vor sich hin tümelnde und absolut humorfreie Uschi Dämmrich | |
von Luttitz, bei der man sich immer fragt, welchem Geisterbahnfundus die | |
wohl entsprungen ist. Wahrscheinlich der hintervorgestrigen "Gaudi aus | |
Hintertupfing", die es glücklicherweise nicht mehr gibt auf der Wiesn, bei | |
der es, die älteren Semester erinnern sich, den Frauen am Eingang den Rock | |
hochgeblasen hat. Wahnsinn! Welch eine Zumutung, dieser Puffärmelzenzi auch | |
nur zwei Minuten zuhören zu müssen. Ich möchte da immer im Boden versinken | |
vor Scham, selbst gebürtiger Münchner zu sein und früher einmal, als Bub, | |
gern auf die Wiesn gegangen zu sein. Wobei ich nicht einmal weiß, ob es "zu | |
meiner Zeit" wirklich so viel besser war als heute. | |
Ja, ich hasse München, wenn Wiesnzeit ist. Ich hasse die Horden besoffener | |
Italiener, die allabendlich durch die Stadt ziehen, die Hymne des AS Roma | |
gröhlend, mit einem geklauten Maßkrug unter dem Arm und einem dieser | |
arschblöden Seppelhüte auf dem Kopf, und die überall hinbrunzen, an jede | |
Hausmauer, an der sie vorbeikommen, und die es auch noch witzig finden, | |
parkende Autos vollzureihern. Die strunzbesoffenen Holländer, Engländer | |
oder was auch immer natürlich nicht minder. | |
Nein, ich kann dem Oktoberfest nichts abgewinnen. Nicht das geringste. Mir | |
wird schon schlecht, wenn ich bloß daran denke, wieviele zigtausend, was | |
sage ich, Millionen Schweinshax'n, Brathendl und Steckerlfische wieder | |
einmal gefressen werden. Allein hundert Ochsen, die in den zwei Wochen am | |
Spieß der Ochsenbraterei landen, ein widerwärtiges Schauspiel jedesmal, | |
wenn der Spieß vorne hineingerammt wird und hinten wieder herauskommt. Der | |
Marquis de Sade lässt schön grüßen. | |
Wiesnfeeling. Der fetttriefende Dunst in den Zelten, der beißende | |
Zigarrenqualm, der würgende Gestank des Gekotzten. Krachende Blechmusik, | |
die im Schädel dröhnt: Oans, zwoa, gsuffa. No a Maß und no oane, dazwischen | |
ein Schaschlik, ein Obatzter und natürlich ein Herzerl fürs Herzerl. Ois | |
werd' obigschwoabt. Dann, bei der nächsten Maß, die Gipfelerfahrung: Mir | |
ist speiübel, also bin ich. | |
## Arsch an Arsch | |
Und nicht nur die Sinne kommen ans Rasen, auch Gefühl quillt empor, das | |
Gefühl dazuzugehören auf der Holzbank, Arsch an Arsch. Das Mitwogen in der | |
Masse der Vielen, das Ahnen bacchantischen Taumels. Einmal im Jahr sein, | |
wer man wirklich ist. Die innere Sau rauslassen und hemmungslos saufen, | |
gröhlen, rülpsen und kotzen. | |
Volksfest? Dass ich nicht lache. Nepp, Nepp und nochmals Nepp. Auch wenn's | |
heißt, dass Beschissbetriebe des Festplatzes verwiesen werden. Haha. Da | |
könnte man ja gleich die ganze Theresienhöhe zusperren, einschließlich der | |
sogenannten "Oidn Wiesn" samt ihrem Nostalgiegeschmarre, für die man extra | |
Eintritt zahlen muss. | |
Im Grunde haben es diese Vollidioten auch gar nicht anders verdient, als | |
dass ihnen das Geld aus der Tasche gezogen wird. Wer freiwillig zehn Euro | |
für eine Achterbahnfahrt zahlt, von der er vorher schon weiß, dass er die | |
drei Maß, die er in sich hineingeschüttet hat samt Fischsemmel und | |
Türkischem Honig, sehr wahrscheinlich in den Kragen vor ihm kotzen wird, | |
ist genauso selber schuld wie der, der sich im Waggon nicht in die letzte | |
Reihe setzt. | |
27 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Colin Goldner | |
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