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# taz.de -- Die Wahrheit: App ins Glück
> Eine isländische App soll nun auch in Deutschland Inzest verhindern. Als
> Testgebiet wurde Oberfranken ausgewählt.
Bild: Zärtliche Kuhsinen beim innigen Knutschen
Der Deutsche Ethikrat hat kürzlich angeregt, inzestuöse Sexualverbindungen
nicht mehr unter Strafe zu stellen. Derzeit müssen sich allzu liebende
Brüder und Schwestern noch damit rechnen, für bis zu zwei Jahre im Knast zu
landen. Koitöse Geschwisterliebe tritt laut Statistik allerdings so gut wie
nicht auf, die Strafverfolgung droht vielleicht zweihundert Menschen in
Deutschland. Zum Vergleich: Selbst die Nutzerzahl von Fairphones ist höher.
Aber was ist mit darüber hinaus reichenden familiären Verbindungen, die im
Beischlaf enden? Zärtliche Cousinen und Cousins waren schon immer
strafbefreit und offen zugänglich. Problematisch und auch psychisch
belastend kann es für die Beteiligten dann werden, wenn sie unbewusst die
eigene Familie beschlafen und dies ihnen erst hinterher klar wird.
Die Erfahrung kann man überall in Deutschland machen: Stößt man zu weit in
ländliches Gebiet vor, wird man feststellen, dass sich die Familiennamen
verknappen. In ganzen Straßenzügen klappert an schweren Haustüren derselbe,
in Holzbretter gebrannte Name im Wind, mal mit mehr, mal mit weniger
Schnörkeln um die Schrift, man ist ja individuell.
Es gibt Dörfer mit 350 Einwohnern, die von nur zwei Großfamilien bewohnt
werden. Zum Beispiel in Oberfranken. Die offiziellen Inzestzahlen
übersteigen dort den Bundesdurchschnitt um ein Vierfaches, die Dunkelziffer
dürfte noch viel höher liegen. Höchste Zeit also, etwas zu unternehmen, um
unbeabsichtigte Zärtlichkeit mit Verwandten zu unterbinden. Im Rahmen des
bayerischen Leuchtturmprojekts „Laptop und Lederhose“ wurden die
paarungsbereiten Oberfranken nun mit einer App ausgestattet, die vor zu
viel familiärer Nähe warnt. Das Vorbild stammt aus Island. Dort ist bereits
Realität, was nun hierzulande Einzug halten soll.
Wenn sich junge Isländer daten und es sich abzeichnet, dass man sich gern
auch ohne Kleidung begegnen würde, zücken sie zunächst ihre Telefone. Die
App „Íslendinga“ wird geöffnet, die Telefone werden einfach aneinander
gehalten, eine Bluetooth-Verbindung regelt den Rest. Die Hoffnung auf das
Ausbleiben des Warntons schafft enorme Spannung. Grünes Licht für das
Rein-raus-Spiel oder doch lieber das alte Familienalbum im Schrank der
gemeinsamen Urgroßeltern suchen?
## „Ich befürchte, das Experiment ist fehlgeschlagen“
Den Warnton trällert die App bei einem zu nahen Verwandtschaftsverhältnis,
das zu allerlei Problemen führen könnte, letztlich für die so gezeugten
Kinder. Familienstammbäume aus tausend Jahren bilden die Datenbasis, das
System ist wasserdicht.
Ab Mitte 2015 soll die App ganz Deutschland erobern, dann werden über 90
Prozent der auf Standesämtern hinterlegten Familienstammbäume in den
Datensatz eingepflegt sein. Ein hehres Ziel. Doch die derzeit laufenden
Tests im ländlichen Gebiet stimmen nicht positiv, die Akzeptanz der
Testpersonen lässt zu wünschen übrig, und nicht vorhersehbare
Folgeerscheinungen sind aufgetreten. Uwe Friedreich, der im Auftrag der
bayerischen Landesregierung die Verbreitung der App in Oberfranken betreut,
schildert der Wahrheit seine Erlebnisse aus einem inzestuösen Krisengebiet:
„Alle Bewohner der Fränkischen Schweiz, die im Besitz eines Smartphones und
zwischen 18 und 40 sind, wurden vor zwei Monaten mit der Inzest-App
ausgestattet. Die Problematik ist die, dass die App hier im Testgebiet
nahezu immer einen Warnton abgibt, ganz gleich, wer die Telefone
aneinanderhält. Inzest hat hier eine große Tradition und wird als Kulturgut
hochgehalten, die sogenannte Basenhochzeit ist ein Statussymbol.
Der Test hat sich leider ins Gegenteil verkehrt. Einwohner, denen ein
unproblematisches Verwandtschaftsverhältnis angezeigt wird, werden
ausgegrenzt. Wer keinen Warnton bekommt, gehört nicht mehr zur
Gemeinschaft. Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Ich befürchte, das
Experiment ist fehlgeschlagen.“
Seitens der Entwickler herrscht jetzt große Ernüchterung. Als zweites
Testgebiet wurde Brandenburg bestimmt. Man hofft darauf, dass Sinn und
Zweck der technischen Innovation dort besser verstanden werden. Doch die
Hoffnung ist klein. „Wenn auch der zweite Test versagt, schreiben wir
Deutschland ab und werden uns auf höher entwickelte Gebiete konzentrieren“,
so Frida Gunnarsdottir, Mitentwicklerin der Íslendiga-App. „Wir wollten ja
nur helfen.“
30 Sep 2014
## AUTOREN
Christian Ritter
## TAGS
Inzest
Verwandtschaft
soziale Ungleichheit
Evolution
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