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# taz.de -- Die Wahrheit: Vorwärts immer, rückwärts nimmer
> In der Evolution hat sich der Vorwärtsgang durchgesetzt – nur bei Hunden
> und schwedischen Kindern nicht.
Kinder und Hunde haben viel gemeinsam. Sie sind süß, tapsig, und man redet
mit besonders hoher Stimme zu ihnen. Außerdem machen beide hin, wohin sie
wollen, und geben sonst nicht viel her. Bis auf das Gefühl, dass sie
Zuneigung und Liebe nötig haben, um zu überleben. Deshalb mögen wir sie ja.
Viele Kinder entwickeln sich über das Hundestadium hinaus. Aber auch
solange sie geistig relativ gleich entwickelt sind, haben Kinder die
größere Lobby.
Beruhigend erscheint da, dass der moderne Hund dem modernen Kind immerhin
eine Sache voraus hat. Der Hund kann rückwärts laufen. Das Kind nicht.
Nicht mehr zumindest. 2008 belegte Prof. Dr. med. Helge Hebestreit von der
Uni-Klinik Würzburg in einer Studie, dass 80 Prozent der Drei- bis
Fünfjährigen einfach umfallen, wenn sie rückwärts laufen sollen. Da der
Rückschritt niemals Halt macht, ist heute mit einer Quote von 90 Prozent
Umfallern zu rechnen. Nach einer nichtrepräsentativen Umfrage unter zwei
Erziehern sind es gar 100 Prozent. „Ein großer Spaß“, sagen 50 Prozent der
Befragten. „Wenn die Rotznasen mich nerven, werfe ich einfach den Ball
etwas zu hoch zu, dann gehen sie zwei Schritte zurück und fallen hin.“
Die Ursachen der motorischen Rückbildung sind bekannt: Man setzt die Bälger
vor die Playsi, drückt ihnen ein iPhone in die eine und eine Rolle Pringles
in die andere Hand, dann ist Ruhe im Karton. Fußballspielen wollen sie eh
nur alle vier Jahre, wenn Deutschland Weltmeister wird. Tennis ist ziemlich
out und Turnen ziemlich gay. Und wer klettert schon freiwillig auf Bäume,
baut darauf Häuser, obwohl er schon in einem wohnt? Verklärte Vorstellungen
von Kindheit, die höchstens noch in Skandinavien Umsetzung finden!
Denkt man genauer über die „schockierenden“ Ergebnisse der Studie nach,
fällt auf: Eigentlich hat man auch früher nicht besonders viele Kinder
rückwärts laufen sehen. Außer in Schweden natürlich. Dort tun Kinder
bekanntlich kaum was anderes. Vielleicht – und die Frage muss erlaubt sein
– ist es evolutionär sogar sinnvoll, dass man sich nur noch nach vorne
bewegt? Wir haben ja auch keine Schwimmflossen mehr zwischen den Zehen, und
das aus gutem Grund (Flipflops).
„Die Koordinationsfehler der Kinder führen oft dazu, dass Unfälle
passieren“, sagt Professor Hebestreit in einem Interview. Aber wie viele
Unfälle könnten vermieden werden, wenn die Kleinen das mit der Koordination
erst gar nicht versuchten? Wozu einen Ball fangen? Was hat die Zungen- an
der Nasenspitze zu suchen? Wie bringt einen das weiter auf dem
Arbeitsmarkt? Fragezeichen!
In einem Bildungssystem, das auf Fremdbestimmung bis zum Hochschulabschluss
angelegt ist, tanzt man nicht aus der Reihe, da geht es immer nach vorne.
Die Umfaller sind bequem wegzufegen. Wo würden wir hinkommen, wenn da jeder
seine eigenen Mätzchen macht? Es entwickelt sich schon alles ganz gut so.
Um sicher zu gehen, dass es so bleibt, sollte man das Rückwärtslaufen
überhaupt verbieten. Außer bei Hunden, da ist es süß.
23 Jul 2014
## AUTOREN
Christian Ritter
## TAGS
Evolution
Vorwärts
Kinder
Hunde
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