# taz.de -- Kunst in der Elfenbeinküste: Die Schnitzer an der Lagune | |
> Der Meister und seine Schüler und die Kunstszene von Abidjan: | |
> zeitgenössische Kunst im afrikanischen Kontext und die Holzschnitzer am | |
> Hafen. | |
Bild: Traditionelle Holzschnitzer bei der Arbeit. | |
Die „Göttliche Komödie“, Dante Alighieris Meisterwerk der europäischen | |
Literatur, sie spielt in Abidjan. Diese Idee liegt nahe, hat man Abidjan | |
erlebt, die Stadt in der Elfenbeinküste, in der Simon Njami künstlerischer | |
Leiter der Donwahi-Stiftung für zeitgenössische Kunst ist. Im Frühjahr | |
kuratierte er für das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt eine | |
Ausstellung mit fünfzig afrikanischen Gegenwartskünstlern und machte Dante | |
zu ihrem Paten. | |
Wo dächte man nicht ständig mehr an das Paradies, die Hölle, vor allem aber | |
das Fegefeuer als in der fünf Millionen Einwohner zählenden Agglomeration | |
an der westafrikanischen Atlantikküste? In dieser typischen Mega-City aus | |
Glaspalästen und Slums arbeitet Simon Njami zweifellos in einem Paradies. | |
Der modernistische Bau der 2008 zu Ehren des Unternehmers und Politikers | |
Charles Bauza Donwahi (1926-1997) gegründeten Kunststiftung mit Galerie, | |
Bibliothek, Shop und Restaurant liegt im eleganten Villenviertel Cocody. | |
Die Stiftung vergibt ein Atelierstipendium und organisiert neben | |
Ausstellungen auch Diskussionen und Filmabende. | |
Anfang September werden vier junge ivorische Künstler gezeigt. Joana | |
Choumali, die Frau in der Gruppe, wäre wohl die Kandidatin des Namengebers. | |
Dessen Vorstellung von einer Modernisierung der Gesellschaft, ohne darüber | |
die eigenen Wurzeln zu vergessen, der sich die Stiftung verpflichtet sieht, | |
verwirklicht ihre Fotoarbeit geradezu ideal. Die Porträts von Personen mit | |
Schmucknarben im Gesicht dokumentieren eine dramatisch schwindende | |
kulturelle Tradition und sind gleichzeitig im S/W-Negativ-Abzug | |
zeitgenössisch-konzeptuell inszeniert. Illa Donwahi, Tochter des Stifters | |
und Präsidentin der Foundation, sagt denn auch selbstbewusst: „Wir möchten | |
nicht in die Ecke zeitgenössische afrikanische Kunst gestellt werden. | |
Zeitgenössische Kunst ist global.“ | |
Zeitgenössische Kunst im afrikanischen Kontext entsteht auch in | |
Deutschland. An welchem Punkt man interessanterweise im Fegefeuer von | |
Abidjan angelangt ist. Das wirtschaftliche, politische und kulturelle | |
Zentrum der Republik Cote dIvoire liegt im Golf von Guinea an einer Lagune, | |
die die Stadt in zwei Hälften teilt. Hier, auf dem Gebiet des Holzhafens, | |
wo wertvolle Tropenhölzer in alle Welt verschifft werden, ducken sich | |
hinter den aufgeschichteten riesigen Mahagonistämmen dunkle Hütten am Ufer | |
entlang. Rund 50 Handwerker aus dem Norden, aus Mali und Burkina Faso | |
fertigen hier nach alten Vorbildern Masken, Skulpturen, herrliche hölzerne | |
Schalen und kunstvolle Stühle an, die geschäftstüchtige Händler dann an die | |
Touristen verkaufen. | |
Wie seit jeher bearbeiten die Schnitzer den massiven Holzblock mit dem | |
Drechsel mit verschieden breiten Klingen und schlagen so das Maskengesicht | |
aus dem Holz heraus. Danach wird es poliert, lackiert, bemalt und, wenn | |
nötig, auch künstlich gealtert. Nicht nur die Holzschnitzer, auch die | |
Händler gehören zu den Immigranten und Wanderarbeitern aus dem Norden, | |
denen Abidjan sein rasantes Wachstum verdankt. | |
Jems Koko Bi hat uns hierher gelotst, an den Ort, den er seine | |
Kunsthochschule nennt. Dabei hat er seinen Abschluss am Institut National | |
Supérieur des Arts et de l'Action Culturelle in Abidjan gemacht. Ein | |
Stipendium brachte ihn nach Deutschland, wo er 2000 sein Studium an der | |
Kunsthochschule Düsseldorf als Meisterschüler von Klaus Rinke beendete. | |
Dass der 1966 in Sinfra geborene Künstler die Schnitzer an der Lagune seine | |
wahren Lehrmeister nennt, hat also seine besondere Bewandtnis – und die | |
heißt Holz. | |
## Holzarbeit vwurde an der Akademie nicht gelehrt | |
Damit zu arbeiten wurde an der Kunstakademie von Abidjan nicht gelehrt, wo | |
Holz Handwerk und nicht Kunst bedeutete. Jems Koko Bi aber bestand auf | |
seinem Material und verlies die Akademie im Streit. Im Camp an der Lagune | |
lernte er dann sein Handwerk, also seine Kunst. Letztes Jahr vertrat der | |
längst international berühmte Künstler die Elfenbeinküste auf der Biennale | |
von Venedig, wo er mit „Passengers“ ein Boot aus hellem Eichenholz auf die | |
Reise schickte, aus dem vier leere, schwarz angebrannte Stühle | |
herausragten. | |
Auch in Frankfurt, wo Simon Njami seine Arbeit „Convoi royale“ zeigte, eine | |
mit achtzig, aus gebranntem Pappelholz geschnitzten Köpfen gefüllte | |
Holzwanne, thematisiert der Bildhauer, der heute in Essen lebt und gerne | |
mit Eichenholz aus dem Odenwald arbeitet, das existenzielle afrikanische | |
Thema schlechthin: die Flucht nach Europa. Die Hölle, das ist das | |
Mittelmeer, die Überfahrt. Neben Fußball verspricht Kunst die besseren | |
Wege, übers Meere zu kommen. Nach den Sommerferien nimmt die | |
Kunsthochschule in Abidjan gerade den Unterricht wieder auf. Musik, Tanz, | |
Theater, Textilkunst und Keramik werden hier gelehrt. | |
Jems Koko Bi, seit zwei Jahren als Gastprofessor tätig, hat das Material | |
Holz nun endgültig an die Schule eingeführt und damit, wie einer seiner | |
Studenten sagt, „ganz neue Wege aufgezeigt, über Kunst nachzudenken“. | |
Koko Bis 25 Studenten, darunter auch zwei Studentinnen, haben auf dem | |
Gelände der Akademie ein von Bananenstauden verschattetes Freilicht-Atelier | |
errichtet, das der verschworenen Maskenschnitzer-Kolonie an der Lagune sehr | |
ähnlich ist. „Er hat unseren Gemeinschaftssinn geweckt“, sagt ein anderer | |
seiner Studenten über den Lehrer, der ihnen damit ein Erfolgsrezept im | |
Kunstbetrieb an die Hand gegeben hat: eine echte Klasse zu bilden. Ihren | |
Schlachtruf trommeln sie schon einmal laut in die Welt: „Quand cest bon – | |
cest bon“. | |
18 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
## TAGS | |
Elfenbeinküste | |
Moderne Kunst | |
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