# taz.de -- Theoriekonzert: Das Team für die alten Fragen | |
> Ein Ex-Politiker und Theatermacher, zwei Musiker und ein Schauspieler | |
> streiten leidenschaftlich für Herbert Marcuse und sein Porträt des | |
> „Eindimensionalen Menschen“. | |
Bild: Mit den Mitteln der Kunst zur Großen Weigerung: Das Team Marcuse - Andre… | |
HAMBURG taz | „Team Marcuse“ nennen sie sich, wie eine dieser Heldentruppen | |
aus dem Fernsehen. Und tatsächlich wirkt das Quartett beim Gespräch in | |
einem Berliner Café wie eine verschworene Gemeinschaft auf Rettungsmission, | |
wie die letzten Kämpfer auf verlorenem Posten: Thomas Ebermann, der | |
ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, der der Partei | |
Anfang der 1990er den Rücken kehrte, heute seine kleinen Brötchen als | |
Publizist und Theatermacher verdient und – worauf er stolz ist – als einer | |
der „letzten Querulanten“ der Republik gilt. Ihm gegenüber der Autor und | |
Musiker Kristof Schreuf, einst mit seiner Band Kolossale Jugend | |
Klassensprecher der „Hamburger (Vor-)Schule“. Daneben der Schauspieler, | |
Musiker und Gary-Sänger Robert Stadlober und Andreas Spechtl, Sänger und | |
Gitarrist der Band Ja, Panik. | |
## Vergessenes Buch | |
Wofür das ungleiche Quartett so leidenschaftlich streitet, sind ein fast | |
vergessener Autor und sein in die Jahre gekommenes Buch: Herbert Marcuse | |
und sein Porträt des „Eindimensionalen Menschen“. Dessen 50. Geburtstag war | |
den meisten Feuilletons dieses Jahr nur noch eine knappe Randnotiz wert. | |
Lange Zeit war das Buch sogar vergriffen, erst seit Kurzem ist es – | |
anlässlich des Jubiläums – in einer Neuauflage wieder erhältlich. | |
Dabei war das Buch einmal ein Bestseller: 1964 erschienen, wurden die | |
„Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ des | |
deutsch-amerikanischen Philosophen und Soziologen für die Studentenbewegung | |
und die Neue Linke schnell zu einem zentralen theoretischen Bezugspunkt – | |
ein in unzähligen Lesegruppen diskutiertes Buch, dessen Autor Tausende in | |
seine Vorlesungen an der TU Berlin lockte. | |
Denn anders als bei seinen Kollegen Adorno und Horkheimer, denen man | |
unterstellte, auf dem Balkon des „Grand Hotel Abgrund“ beim Aperitif das | |
Elend der Welt nur noch zu beklagen, schimmerte für die Studenten bei | |
Marcuse Hoffnung durch. Obwohl er der Gesellschaft eine „komfortable, | |
reibungslose, vernünftige, demokratische Unfreiheit“ in einer | |
ökonomisch-technisch gleichgeschalteten Gesellschaft attestierte, die dem | |
Aufkommen jeder wirksamen Opposition „gegen das Ganze“ vorbeuge, indem sie | |
die Bedürfnisse des Einzelnen manipuliere, hörte Marcuse lange nicht auf, | |
daran zu glauben, dass die Unruhen der Studenten vielleicht doch etwas | |
verändern könnten. | |
## Reaktualisierung | |
Ebendiesen Glauben an die Möglichkeit einer „Großen Weigerung“ will das | |
„Team Marcuse“ nun mit einem zweistündigen Theaterabend als | |
Geburtstagsfeier für den vergessenen Vordenker wieder aktualisieren. Denn | |
an der Relevanz seiner zentralen Thesen habe sich in den letzten 50 Jahren | |
wenig geändert. Immer noch stelle der „eindimensionale Mensch“ in allen | |
Industrieländern die Mehrheit, immer noch stelle sich das „glückliche | |
Bewusstsein“, die Verquickung von Informiertheit und Verblödung, gegen die | |
Möglichkeit, etwas ganz anderes als das Gegebene zu denken. Keine der alten | |
Fragen sei veraltet und die „Große Weigerung“ so notwendig, wie ihr noch | |
die letzten Anhänger abhanden gekommen sind. | |
Wie ein solcher Abend aussehen könnte, darüber hat das „Team Marcuse“ lan… | |
gestritten. Verteilt man verschiedene Rollen? Spricht Stadlober als | |
Schauspieler nur Marcuse-Zitate? Spielen die anderen beiden nur Musik? „Das | |
hat nicht funktioniert“, erzählt Ebermann, der zunächst noch Regisseur | |
spielen wollte wie für sein erstes Theaterstück „Der Firmenhymnenhandel“. | |
Stattdessen sei alles immer wieder verworfen worden. In Graz schließlich, | |
wo alle vier eine Woche lang wie eine WG zusammengelebt haben, haben sie | |
zusammen gejammt und angefangen, Dinge zu collagieren, statt sie | |
nacheinander anzuordnen oder gegeneinanderzustellen. | |
Herausgekommen ist am Ende also ein gänzlich unakademischer Abend: „Im | |
Grunde ist es ein großes Musikstück“, sagt Spechtl: Eine Fläche wabernder | |
Elektro-Sounds und Effekte als Parkett für immer noch greifende | |
Marcuse-Zitate, unterbrochen von fiktiven Streitgesprächen und kleinen | |
Pop-Perlen aus der Feder Stadlobers und Spechtls, untermalt von | |
Schwarzweiß-Bildern Marcuses und kleinen Filmausschnitten. Antworten gibt | |
es ausdrücklich keine. Wie Marcuse bleibt der Abend negativ: verspricht | |
nichts und zeigt keinen Erfolg. Aus Treue zu Marcuse – der eben so „jenen | |
die Treue halten“ wollte, die „ohne Hoffnung ihr Leben der Großen Weigerung | |
hingegeben haben und hingeben“. | |
## Hamburg: Do, 23. 10. bis So, 25. 10., Polittbüro; Bremen: Fr, 31. 10., | |
Schwankhalle | |
21 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Herbert Marcuse | |
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