| # taz.de -- Die Wahrheit: „Müll braucht Zeit …“ | |
| > Reiner Alt ist vielfach preisgekrönter Messi. Im Wahrheit-Interview | |
| > öffnet er sein nur schwer begehbares Heim. | |
| Bild: Auf der Loggia seiner Wohnung: Der prämierte Messi Reiner Alt sieht nach… | |
| taz: Herr Alt, Sie haben vor Kurzem zum wiederholten Mal die Auszeichnung | |
| „Schmutzigste Wohnung des Universums“ erhalten. Wie konnten Sie die Jury | |
| dieses Jahr überzeugen, und wie erlangt man überhaupt eine solche | |
| Aufmerksamkeit? | |
| Reiner Alt: Nun, das ist ein Prozess, der Jahre dauert. Man bewirbt sich um | |
| den Preis und erhält Besuch von der Jury. Ich kann Ihnen sagen, die | |
| Preisrichter sind einiges gewohnt. Sie legen großen Wert darauf, überrascht | |
| zu werden. Nach frühestens drei Jahren nimmt eine Wohnung eine Gestalt an, | |
| die die Jury vielleicht staunen lässt. | |
| Gab es in den vergangenen Jahren einen ernst zu nehmenden Konkurrenten für | |
| Sie? | |
| Ja, Detlef Molke aus Rudow, mein großer Gegenspieler und zugleich bester | |
| Freund. Er lag in den letzten Jahren immer gleichauf, doch meist fand die | |
| Jury etwas, was ihr zu sauber, zu ordentlich war. Ich bewundere Detlef und | |
| hätte ihm dieses Mal den Sieg gegönnt. Er bewahrt in seiner Wohnung manche | |
| Kostbarkeit auf, auf die ich durchaus neidisch bin. | |
| Was denn zum Beispiel? | |
| Als ich ihn neulich besuchte, trat ich in eine 1993er Pizza Thunfisch. Das | |
| ist kaum vorstellbar. Eine 1993er Pizza Tonno! Das Älteste an | |
| Lebensmitteln, was ich aufbewahre, ist eine Tiefkühllasagne von 2002. | |
| Während ich die erst vor zwei Monaten aus dem Tiefkühlschrank genommen | |
| habe, liegt seine Pizza schon seit Jahren offen rum. Da kann ich nicht | |
| mithalten. | |
| Wofür haben Sie in diesem Jahr die Auszeichnung erhalten? | |
| Für die Gardine in der Küche. Sie ist der Jury besonders aufgefallen. Ich | |
| habe sie jahrelang ignoriert, das hat sich bezahlt gemacht. Insgesamt sechs | |
| Jahre Ausdünstungen vom Kochen, einige Partys mit intensivem Rauchen und | |
| als Höhepunkt jeden Sommer der brennende Müllcontainer im Hof bei | |
| geöffnetem Fenster. Das hat der Gardine ein unvergleichliches Graubleich | |
| verliehen. | |
| Und das Fensterbrett? Hat es schon immer diese schwarze Färbung? | |
| Nein, so etwas kommt mit der Zeit. | |
| Was findet sich sonst noch in Ihrer Wohnung? | |
| Ungeziefer zum Beispiel. Da drüben in der Ecke, sehen Sie? Das ist Heinz. | |
| Haben Sie sich vorstellen können, dass Kellerasseln so groß werden können? | |
| Ich habe ihn trainiert, und er kann sogar sprechen. Heinz, sag mal „Guten | |
| Tag.“ | |
| Heinz: Guten Tag. | |
| Nun, das ist ja sehr … | |
| … ich unterhalte mich oft mit Heinz. Gestern haben wir zum Beispiel über | |
| die Rolle des Sozialismus in Zeiten der Globalisierung gesprochen. Heinz | |
| liest sogar mehrere Tageszeitungen. | |
| Nochmals unsere Frage: Was findet sich noch so, was einer Jury eine | |
| Auszeichnung wert sein könnte? | |
| Neulich fand ich unter diesem Berg leerer Bierdosen da vorn einen | |
| radioaktiven Brennstab. | |
| Wie kam der in Ihre Wohnung? | |
| Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich weiß doch nicht, was ich an den | |
| Schuhen haften habe, wenn ich nach Hause komme. Ich nehme aber an, dass der | |
| Brennstab dafür verantwortlich ist, dass Heinz so groß ist und „Guten Tag“ | |
| sagen kann. | |
| Haben Sie einen Fußabtreter? | |
| Natürlich nicht! Das ist was für diese Kaputten, die den ganzen Tag mit | |
| Staubtuch rumlaufen und kreischen: „Da ist noch ein Fussel.“ Kranke | |
| Einstellung. | |
| Die werden das anders sehen … | |
| Es ist ein Naturgesetz, das alles verschmutzt. Wenn Sie eine Tischplatte | |
| reinigen, wird sie in einer Woche wieder staubig sein. Dagegen anzukämpfen, | |
| ist wie ein Kampf gegen Windmühlen. Der einzig vernünftige Weg ist, sich | |
| damit zu arrangieren. Müll braucht Zeit! | |
| Wie wird man so erfolgreich wie Sie? | |
| Das ist eine Sache der Einstellung. Mal angenommen, Sie haben einen Auflauf | |
| zubereitet und noch Reste übrig. Wenn Sie jetzt die Form säubern, dann | |
| werden Sie nie erfolgreich vor der Jury dastehen. Sie müssen die Form | |
| lassen, wie sie ist, und abwarten, was passiert. | |
| Wie ist es Ihnen im Laufe der Zeit möglich geworden, bei dem Berg an | |
| Kartons vor den Fenstern, den Tag von der Nacht zu unterscheiden? | |
| Entweder gehe ich vor die Tür, oder ich schaue auf die Uhr. | |
| Eine letzte Frage: Wann war das letzte Mal eine Frau in Ihrer Wohnung? | |
| Können wir das Thema wechseln? Uns weiter über Aufbewahrung unterhalten? | |
| Ich hätte da viel zu erzählen. | |
| Beantworten Sie uns doch bitte unsere Frage. | |
| Nein. | |
| Soll das heißen, dass noch nie eine Frau Ihre Wohnung betreten hat? | |
| Das soll heißen, dass man manchmal im Leben echte Einschränkungen auf sich | |
| nehmen muss, um beispielsweise mit einer hohen Auszeichnung bedacht zu | |
| werden. Das soll es bedeuten. | |
| Herr Alt, wir danken Ihnen für das Gespräch und möchten uns erkenntlich | |
| zeigen. Dürfen wir Ihren Müll runtertragen? | |
| Um Gottes willen, nein! Der bleibt, wo er ist. | |
| 24 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Rescue | |
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