# taz.de -- Die Wahrheit: Löchriges Leben | |
> Wenn ein Mann sein Leben allein der Effizienz unterordnet: Porträt eines | |
> Vorkämpfers gegen die Verschwendung. | |
Bild: Alles andere als Wasser und Brot ist Verschwendung. | |
Enno hasst Verschwendung. „Wenn jemand fahrlässig oder gar willentlich | |
etwas verschwendet, wird mir schon beim Hingucken ganz übel.“ Sein Gesicht | |
verzieht sich bei der bloßen Erwähnung von eigentlich ganz harmlosen | |
Dingen. Der 35-Jährige ist mittelgroß mit braunem, lockigem Haar, und er | |
redet gern über das Energiesparen, die Nahrungsmittelknappheit und die | |
Dekadenz der „Verschwendungssüchtigen“. | |
Doch der gebürtige Bayer ist kein Ökoaktivist und auch kein allzu | |
neidischer Mensch. Enno hat einen besonderen Hang zur Ressourcenschonung, | |
zur Nutzbarmachung der Dinge bis ins kleinste Detail und noch über die | |
Perfektion hinaus. Verglichen mit Ennos Drang nach Effizienz ist selbst die | |
Sparsamkeit der Kriegs- und Nachkriegsgeneration – ja, reine Verschwendung. | |
Dabei fing alles recht harmlos an. Schon als kleiner Junge war Enno davon | |
besessen, seine Buntstifte so lange zu benutzen, bis sie kleiner waren als | |
der abgekaute Nagel seines kleinen Fingers. Zwar brachte das dem | |
schüchternen Jungen Ärger mit seiner Kindergärtnerin ein, doch Enno konnte | |
es partout nicht ertragen, das Malutensil vorher wegzuwerfen. Also | |
schmuggelte er seine bereits auf Zentimetergröße geschrumpften Stifte an | |
der großen Frau vorbei – und malte zu Hause damit weiter. Seine Eltern | |
ließen ihn damals bedenkenlos gewähren. | |
Ein einziges Mal, als im Kindergarten für osteuropäische Straßenkinder | |
gesammelt wurde, ließ sich Enno dazu überreden, drei seiner Buntstifte zu | |
spenden, obwohl diese noch weit über fünf Zentimeter maßen – schließlich | |
sollten sie ja noch eine Verwendung finden, was den damals Vierjährigen | |
versöhnlich stimmte. Doch seine Kindergärtnerin befand, dass „selbst die | |
armen Kinder in Rumänien nicht mit so etwas malen wollen“. Sie warf die | |
Stifte zu Ennos Entsetzen in den Mülleimer. Ein traumatisches Erlebnis! | |
„Es geht nicht ums reine Sammeln“, betont Enno, „sondern darum, die Dinge | |
ihrem Zwecke zuzuführen, und zwar so oft und schonend wie möglich.“ Mit den | |
Jahren und den wachsenden persönlichen Möglichkeiten wurde auch Ennos | |
Umgang mit den alltäglichen Gütern systematischer. Für ihn gibt es keinen | |
Lebensbereich, der nicht vom Drang nach Optimierung durchdrungen wäre – was | |
ihm einige Schwierigkeiten einbrachte. | |
## Jeden Teller mindestens zweimal benutzen | |
Als Student gab es Ärger in seiner Wohngemeinschaft, denn Enno bestand | |
darauf, dass jeder Teller mindestens zweimal benutzt werden muss, bevor er | |
in die Spülmaschine gestellt werden durfte. Ähnlich verfuhr er mit allen | |
Küchenutensilien. „So hält alles möglichst lange.“ Regelmäßig bekamen … | |
und sein Mitbewohner Streit, weil dieser einen Teller „zu oft | |
hintereinander“ spülte. | |
Auch nach dem Studium gab es Probleme. Denn wie mit dem Geschirr, so | |
verfuhr Enno auch mit der Kleidung. Weil er alle seine Hemden schon bis zum | |
bitteren Ende getragen hatte, musste er regelmäßig zu wichtigen | |
Vorstellungsgesprächen im löchrigen Unterhemd erscheinen. | |
Für den gebürtigen Münchner ist Effizienz heilig. Manchmal steht er | |
minutenlang vor einer roten Fußgängerampel – und drückt den Ampelknopf | |
erst, wenn eine zweite Person dazukommt. „So habe ich nicht nur Energie für | |
die Ampelschaltung gespart, sondern auch für das erneute Anlassen der | |
Autos, nachdem sie halten müssen.“ | |
Wenn Enno an einem Zebrastreifen die Straße überquert, dann läuft er nur in | |
den Zwischenräumen – um die weißen Streifen nicht abzunutzen. Wenn der | |
Mittdreißiger nach einem langen Tag eine Pizza bestellt, dann am liebsten | |
eine „mit allen Resten des Tages“. „Denn sonst werden die ja manchmal | |
weggeworfen“, sagt er mit einem bubenhaften Lächeln auf den Lippen, von | |
denen er sich die Reste eines grünlich schimmernden Thunfischs | |
selbstverständlich mit dem Handrücken und nicht mit einer Serviette wischt. | |
Nichts hasst Enno so sehr wie Verschwendung. Was ihm allerdings sein | |
Sexualleben nicht erleichtert hat. Denn Sex ist Überfluss an sich, ist | |
Fülle und Opulenz, Überschwang und Zuviel, mit Effizienz kommt man da nicht | |
weit. Aber darüber spricht Enno nicht gern. Und das ist ja auch eine Art, | |
der Liederlichkeit Einhalt zu gebieten. Reden ist Silber, Schweigen ... | |
9 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Timo Reuter | |
## TAGS | |
Verschwendung | |
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