# taz.de -- Umweltschutz scheitert an Grünen: Ein Sonnendeck geht baden | |
> Im Osthafen gibt es ein innovatives Projekt in der Pilotphase: Es soll | |
> verhindern, dass Abwässer in die Spree fließen. Die Grünen im Bezirk aber | |
> sperren sich dagegen. | |
Bild: Betreten verboten: Nix ist mit Chillen auf dem Abwasserspeicher. | |
Am Osthafen kreisen Möwen im bleiernen Januarhimmel. Der Blick wandert von | |
der Elsen- zur Oberbaumbrücke über die gekräuselte Oberfläche der Spree. | |
Die Promenade am nördlichen Ufer, vom Universal-Speicher bis zum MTV-Haus, | |
ist fast menschenleer. Neben der Coca-Cola-Deutschlandzentrale drehen sich | |
Kräne, hier wird eine der letzten Lücken in der Gebäudefront geschlossen. | |
Genau davor liegt ein flaches stählernes Gestell im Wasser, mit der | |
Kaimauer durch zwei Stege verbunden. | |
Ein Bootsanleger, könnte man meinen. Dabei handelt es sich um eine | |
Innovation, die das zentrale Fließgewässer der Stadt so sauber machen soll, | |
dass man darin baden könnte. Ob sie das künftig tun kann, ist offen. Denn | |
die Politik will sich mit dem Projekt partout nicht anfreunden. So, wie es | |
aussieht, könnte diese ziemlich grüne Idee am grünsten Bezirksamt Berlins | |
scheitern. | |
Das Prinzip ist denkbar simpel: Unter der Wasseroberfläche verbergen sich | |
Tanks, die an ein Überlaufrohr der Berliner Mischwasserkanalisation | |
angeschlossen sind. Über 60 solcher Rohre enden stadtweit im Fluss und | |
treten dann in Aktion, wenn ein sogenanntes Starkregenereignis – meist ein | |
sommerliches Unwetter – die Kanäle überfordert. Regenwasser, das sich unter | |
der Straße mit den Abwässern der Stadt vermischt, fließt normalerweise in | |
die Kläranlage – aber ab einer bestimmten Menge landet der übelriechende | |
Mix auch im Fluss. Andernfalls würde er oben aus dem Gully sprudeln. | |
Hier kommt die Idee des Umweltingenieurs Ralf Steeg und seiner Luri GmbH | |
ins Spiel: Man verhindert, dass die eklige Brühe die Spree hinuntertreibt, | |
indem man sie in Tanks zwischenparkt und zurückpumpt, sobald der Pegel in | |
der Kanalisation gefallen ist. Eine saubere Sache – und weil sich die | |
Speicher unter einer begehbaren Plattform verbergen, ergibt sich für die | |
Städter eine Win-win-Situation: Sie können auf einem Sonnendeck sitzen und | |
träumerisch in die klaren Fluten der Spree blicken. | |
Soweit die Theorie. In der Praxis durfte seit April 2013, als die | |
Pilotphase der „Offshore-Abwasserspeicheranlage“ begann, kein | |
Erholungssuchender den Ponton betreten. An den Stegen hängen | |
Verbotsschilder. Und wenn nicht noch ein kleines grünes Wunder geschieht, | |
wird die ganze Anlage ab April, wenn die zweijährige Pilotphase endet, | |
wieder abgebaut. Nicht, weil sie nicht funktionieren würde: Das tut sie | |
nämlich, wie ein Gutachten der Technischen Universität belegt. Sondern weil | |
die innovative Technologie und ihre Folgen dem grün dominierten Bezirksamt | |
und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung suspekt sind. | |
Philipp Magalski, Umweltexperte der Piratenfraktion, stellte unlängst eine | |
Anfrage an den Senat, nachdem sich Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) | |
im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt skeptisch zur Zukunft des | |
Luri-Tanks geäußert hatte. Laut Gaeblers Antwort, die nun vorliegt, ist die | |
Übernahme der Pilotanlage durch die landeseigenen Wasserbetriebe (BWB), mit | |
denen Entwickler Steeg einen Kooperationsvertrag geschlossen hat, in der | |
Tat mehr als fraglich. Einerseits, so der Staatssekretär, fehlten noch | |
Zwischenberichte über das wirtschaftliche Funktionieren der Anlage. | |
Andererseits – und das klingt nach einem K.-o.-Argument – sei kein | |
Weiterbetrieb möglich, solange die Stellungnahme des Bezirks negativ | |
ausfalle. | |
Eine solche Stellungnahme gibt es nämlich. Sie stammt noch aus der Zeit vor | |
der Pilotphase und liefert einen Katalog von Bedenken, vor allem | |
ästhetischer Natur: Die Anlage sei ein „exponiert wirkender Solitär“, der | |
sich „nicht behutsam in die … von Verstellungen weitestgehend freie | |
Flusslandschaft“ einfüge. Der Speicher reduziere die knappen | |
Naherholungsflächen im Bezirk, möglicherweise komme es zu | |
Geruchsbelästigungen, vielleicht würden gar „Müll und andere Dinge“ | |
angeschwemmt. Es müsse „befürchtet werden, dass hier ein städtebaulich | |
unerwünschter Präzedenzfall geschaffen wird, der nicht mehr aufhaltbare | |
oder umkehrbare Entwicklungen einleitet und eine schleichende Umnutzung (…) | |
eines Gewässers zu einem städtebaulich nicht erwünschten neuen ’Baufeld‘ | |
begünstigt“. | |
Offenbar wurden dem Projekt von Anfang an Steine in den Weg gelegt. Es | |
hatte jahrelangen bürokratischen Hickhack gegeben, bis Steeg das | |
Pilotvorhaben verwirklichen konnte – übrigens mit millionenschwerer | |
Förderung des Bundesforschungsministeriums. Erklären kann sich der | |
Ingenieur die ablehnende Haltung bis heute nicht: „Alle zwischenzeitlichen | |
Anfragen an den Bezirk wurden ähnlich beantwortet“, sagt er. Dabei sei die | |
Funktionalität belegt, und die mitunter erhobene Behauptung, unterirdische | |
Überlaufspeicher am Ufer seien billiger, sei nicht belegt. Auch habe der | |
neue Eigentümer des Ufergrundstücks – der Hamburger Projektentwickler Otto | |
Wulff – nichts gegen die Anlage: „Die haben mir sogar angeboten, bei der | |
Begrünung der Plattform behilflich zu sein!“ | |
Zu Beginn der Pilotphase standen sogar schon Topfpflanzen auf dem Ponton, | |
die dann aber auf Weisung des Bezirks wieder abgeräumt werden mussten. Kein | |
Betriebsfremder solle sich auf dem „Sonnendeck“ aufhalten. In der Antwort | |
der Senatsverwaltung auf Pirat Magalskis Anfrage heißt es dazu, man hätte | |
eben „erst Betriebserfahrungen“ sammeln müssen, „bevor eine öffentliche | |
Nutzung hätte zugelassen werden können“. Eine eher fadenscheinige | |
Begründung, zumal ja gerade der Effekt einer solchen Nutzung auf die Anlage | |
interessant gewesen wäre. | |
Ob Anwohner und Touristen wirklich ein kahles Ufer einer schwimmenden | |
Chill-out-Zone bevorzugen würden, ist fraglich. Vermutlich dürfte Pirat | |
Magalski eher den Nerv der Zeit treffen: „Der Naherholungswert ließe sich | |
klar verbessern, wenn man auf der Plattform ein Käffchen trinken könnte“, | |
glaubt er und bedauert, dass der Bezirk das Projekt nicht unterstützt. „Wir | |
würden uns freuen, wenn die Anlage in Serie ginge und es irgendwann mehrere | |
dieser Objekte gäbe.“ Die ablehnende Haltung sei „absolut nicht | |
nachvollziehbar“. | |
Magalski hofft auf ein klärendes Gespräch mit den grünen Spitzenpolitikern | |
im Bezirk, angefragt sei es bereits. Sollte Bau- und Umweltstadtrat Hans | |
Panhoff unter den Gesprächspartnern sein, dürfte es schwierig werden. Denn | |
Panhoff hält wenig von solchen Utopien: „Wir vertreten die Position, dass | |
das keine öffentlich betretbaren Flächen sind“, so der Politiker gegenüber | |
der taz. „Wenn sie die begehbar machen wollen, wird gleich ein Bauwerk | |
draus. Damit können wir uns nicht anfreunden.“ | |
Vor allem scheint Panhoff die Sorge umzutreiben, dass eine positive | |
Bewertung des Projekts einen Rattenschwanz an Folgeanträgen nach sich | |
zieht: „Betrachtet man das Prinzip, das Herr Steeg entwickelt hat, | |
systemisch, braucht man viele dieser Anlagen. Und da hätten wir in der Tat | |
städtebauliche Bedenken.“ | |
12 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prösser | |
## TAGS | |
Fischsterben | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umweltproblem Kanalisation: Starkregen verpestet Landwehrkanal | |
Berlins Mischkanalisation verursacht Fischsterben. Wasserbetriebe sanieren | |
das System, für ein Ende der Abwassereinleitungen reicht es aber nicht. | |
Die Grünen in Hamburg: Frei von Charisma und Hoffnung | |
Die Ökopartei in der Hansestadt ist ratlos: Über untere zweistellige | |
Ergebnisse kommt sie nicht hinaus. Besserung ist im Februar nicht in Sicht. |