# taz.de -- Immer mehr Schuldner: „Ein Umzug kann schon reichen“ | |
> Die Zahl der überschuldeten Berliner stieg auch 2014. Viele können | |
> unerwartete Ausgaben nicht stemmen, sagt Susanne Fairlie von der | |
> Schuldnerberatung | |
Bild: Wo sich bei manchen die Scheine häufen, herrscht bei vielen anderen Ebbe… | |
taz: Frau Fairlie, jeder achte Berliner gilt als überschuldet. Das sind | |
370.000 Menschen. Was bedeutet „überschuldet“? | |
Susanne Fairlie: Dass man seine Verbindlichkeiten aus den laufenden | |
Einkünften nicht mehr bezahlen kann. Die Leute kommen ihren | |
Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach, selbst wenn sie sich in ihrem | |
Lebensstandard einschränken, weil sie dafür zu wenige Einkünfte haben. | |
Wie hoch sind die Schulden üblicherweise? | |
Die durchschnittliche Schuldenhöhe derer, die wir beraten, liegt bei 32.000 | |
Euro. Aber zu uns kommen natürlich auch nur die problematischen Fälle. Wer | |
1.000 Euro Schulden hat, geht nicht zur Beratung. | |
Dem Schuldneratlas zufolge steigen die Zahlen in Berlin. 2014 waren wieder | |
4.000 Menschen mehr überschuldet. Sind die Hartz-IV-Sätze zu niedrig? Oder | |
wirtschaften die Leute einfach zu schlecht? | |
Da gibt es verschiedene Gründe. Zum einen nehmen die prekären | |
Arbeitsverhältnisse zu. Wenn man in der Zeitarbeit oder in Teilzeit | |
beschäftigt ist, verdient man wenig oder unsicher. Da kommt man leicht in | |
eine finanzielle Schieflage. Laut Statistischem Bundesamt kann sich ein | |
Drittel der Deutschen unerwartete Ausgaben von mehr als 940 Euro nicht mehr | |
leisten. Das gilt auch in Berlin. Ein Umzug oder eine Waschmaschine, die | |
kaputtgeht, können schon zu einer Überschuldung führen. Viele unserer | |
Klienten sind auch Aufstocker oder empfangen Hartz IV. Das Jobcenter | |
übernimmt Anschaffungen oft nicht mehr, das muss man über den normalen Satz | |
finanzieren, was nicht einfach ist. | |
Der Schlendrian ist also nicht das Problem? | |
Jedenfalls nicht das größte Problem. In unseren Beratungen ist nur bei | |
jedem fünften Fall eine unwirtschaftliche Haushaltsführung die Ursache für | |
die Überschuldung. | |
Vor allem in Wedding und Neukölln leben viele überschuldete Menschen. | |
Zuletzt stiegen die Zahlen auch in den Ostberliner Randbezirken wie Marzahn | |
und Hellersdorf. Eine Folge der Gentrifizierung? | |
Ja. Immer mehr arme Leute ziehen in diese Bezirke. Wir merken zum Beispiel | |
in Kreuzberg, dass viele sich dort ihre Miete nicht mehr leisten können. | |
Wir versuchen schon, den Wohnraum zu retten. Viele von ihnen müssen ihren | |
heiß geliebten Kiez dennoch verlassen. | |
Im Schuldneratlas wird von „generationsübergreifender Überschuldung“ | |
gesprochen. Ist Verschuldung vererbbar? | |
Rein materiell gesehen nicht. Erbschaften, die Schulden beinhalten, kann | |
man ausschlagen. Aber der Umgang mit Geld wird innerhalb einer Familie | |
sicherlich erlernt. Deshalb wäre mehr Prävention auch so wichtig. Aber | |
dafür gibt es leider kaum Mittel. | |
Seit vergangenem Sommer gelten neue Regelungen bei der Privatinsolvenz. Wer | |
eine Insolvenz anmeldet, bekommt die Schulden nicht mehr unbedingt erst | |
nach sechs Jahren erlassen. Wenn er einen bestimmten Anteil gezahlt hat, | |
geht das schon nach drei oder fünf Jahren. Für viele Überschuldete eine | |
Chance? | |
Alle fragen nach dieser Möglichkeit und wollen es gern machen. Das Problem | |
ist, dass man bei der Variante mit drei Jahren 35 Prozent der Schulden plus | |
die Verfahrenskosten bezahlen muss. Da kommen Summen raus, die eher 70 | |
Prozent der Forderungen bedeuten. Das ist so viel, das kann bei uns gar | |
keiner in Anspruch nehmen. Nach fünf Jahren muss man nur die | |
Verfahrenskosten zahlen. Das ist schon realistischer. | |
14 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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