Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Griechenland-Wahl in Berlin I: Die Hoffnung ist da
> Alexandra Iliopoulou glaubt an Alexis Tsipras. Doch nicht nur die Politik
> müsse sich ändern, sondern auch die Griechen
Bild: Die Griechenland-Wahl beschäftigt Europa.
„Er trägt keine Krawatte, das macht ihn sympathisch. Ich traue keinen
Griechen mit Krawatten“, sagt Alexandra Iliopoulou, während sie sich am
Küchentisch eine Zigarette dreht. Der Grieche ohne Krawatte, das ist Alexis
Tsipras. Die Männer mit den Krawatten, das sind die Politiker der
Traditionsparteien Nea Dimokratia und Pasok, die laut Iliopoulou
Griechenland abwechselnd in den Ruin getrieben haben.
Gerade hat Iliopoulou noch ihren Facebook-Status aktualisiert: „Die
Spannung steigt! #Griechenlandentscheidet!“, ist auf dem Laptopbildschirm
zu lesen. Die Tochter ist im Kino, Iliopoulou will im Haus der hellenischen
Gemeinde in Steglitz den Wahlausgang mitverfolgen.
Auf dem Weg von Mitte nach Steglitz spricht sie von ihren Erwartungen an
Tsipras, dessen Wahlsieg bereits am frühen Sonntagabend so gut wie sicher
scheint. Natürlich, das Ende der Sparpolitik sei wichtig, in ganz Europa.
Dass am falschen Ende gespart werde, merke sie auch hier in Berlin, wenn
bei ihrer Tochter wegen fehlender Lehrkräfte der Unterricht ausfiele. Aber
die Griechen seien nicht nur im Kontext von Austerität zu betrachten, etwa
in der Einstellung zu Steuern. „Die Griechen müssen endlich merken, dass
sie von Steuern auch profitieren. Dann würden sie auch nicht so viel
hinterziehen.“
Sie ist keine radikale Linke, die große Reden schwingt. Erst seit kurzem
engagiert sie sich für das Wahlrecht für Griechen im Ausland – ihr
Wahlrecht. Eine Forderung im Programm von Syriza. Von Kulturvereinen hält
sie sich jedoch sonst eher fern. Zu viel Diaspora-Wehmut, zu viele
Loblieder auf das gesegnete Heimatland. „Ich bin weder Fleisch noch Fisch.
Weder Griechin noch Deutsche“, sagt Iliopoulou.
Ihr Verhältnis zu Griechenland ist so komplex wie ihre Biografie: 1967
kommt Iliopoulou im badischen Bruchsal zur Welt, 1975 zieht die
Gastarbeiterfamilie zurück nach Athen, das ihr damals wie „ein fremdes
Universum, gefangen in den 50ern“ vorkommt. Mit 21 die Rückkehr nach
Deutschland, sie verdient ihr Geld mit Medienjobs und landet auf ihrem
Label „Betrug Schallplatten“ mit Peter Lichts „Sonnendeck“ einen verita…
Hit.
2006 lockt sie ein vermeintliches Jobangebot nach Athen, dort muss sie sich
allerdings als Freiberuflerin durchschlagen, zuletzt bei einem Musiksender.
Die Eigentümer, Oligarchen aus dem Öl- und Bankengeschäft, hätten sie
zuletzt nur noch alle drei Monate bezahlt, „wenn die nächste Tranche aus
dem Rettungspaket kam“. 2012 kommt sie nach Berlin – das Überleben in
Griechenland wurde für sie als Alleinerziehende unmöglich.
Am Eingang des Gemeindehauses, einem Backsteinbau nahe der S-Bahn, herrscht
Wirtshausatmosphäre: alle Tische besetzt, der Lärmpegel hoch. Über
Rotweingläser, Bifteki und Salatteller hinweg diskutiert eine Gruppe junger
Griechen mit Vollbärten über Atheismus. Ein Großvater spielt mit seiner
Enkelin Tavli, das griechische Backgammon. Das Geschehen auf dem Bildschirm
wird nur nebenbei verfolgt; die neuesten Hochrechnungen werden
eingeblendet, die bereits einen Vorsprung für Syriza anzeigen. Im
Gemeindehaus prostet man sich lächelnd zu. „Wirklich ausgelassen wird es
hier erst, wenn die Alten ins Bett gehen“, sagt Iliopoulou.
Gerade hat sie mit Freundinnen an einem der Tische Platz genommen, als ein
deutsches Kamerateam auf sie zukommt. Sie soll die Parteien aufzählen,
deren Sitzverteilung gerade auf dem Bildschirm gezeigt wird. „Zuerst kommt
Syriza, dann Nea Dimokratia, viel weiter hinten erst Pasok …,“ erklärt sie
geduldig. „Pasok? Das sind diese Nazi-Rechtspopulisten, oder?“, fällt ihr
der Journalist ins Wort. Die Freundinnen lachen. „Haben wir schon die
absolute Mehrheit?“, fragt ein älterer Syriza-Anhänger in die Runde. „Bis
das bekannt ist, liegst du schon längst im Bett!“, ruft ihm einer am
Nebentisch zu.
Als Pablo Iglesias von der spanischen Podemos-Bewegung auf dem Bildschirm
auftaucht, gibt es erstmals Szenenapplaus. „Syriza, Podemos, venceremos!“,
grüßt er seine Gesinnungsgenossen in Griechenland. „Sí, sí, sí! Nos vamo…
Madrid!“, ruft der Vollbarttisch in Steglitz zurück.
Bis Alexis Tsipras sich um 22 Uhr selbst äußern wird, wartet Alexandra
Iliopoulou nicht mehr ab: „Ich muss schauen, dass meine Tochter ins Bett
kommt.“ Dann will sie sich vielleicht noch einmal aus dem Haus schleichen.
Im Karl-Liebknecht-Haus wird noch gefeiert.
Glaubt sie an den Wandel in Griechenland, in Europa? „Die Griechen müssen
erst lernen, bei sich selbst anzufangen. Das wird mehr als vier Jahre
dauern. Syrizas Botschaft ist erst mal die Hoffnung“, sagt Iliopoulou.
26 Jan 2015
## AUTOREN
Quentin Lichtblau
## TAGS
Wahlen
Syriza
Griechenland
Griechenland
Wahl
Pasok
## ARTIKEL ZUM THEMA
Griechenland-Wahl in Berlin II: Die Melancholie bleibt
Früher half er Gastarbeitern. Heute ist Herr Bakalios zu integriert, um an
Griechenlands linke Zukunft zu glauben
Euphorie auf Athens Straßen: Tränen in den Augen
Am Tag nach der Wahl überwiegt bei den Anhängern des Siegers die Euphorie.
Parteichef Alexis Tsipras werde sein Programm schon durchziehen.
Kommentar Griechenland-Wahl: Kein guter Anfang
Syriza-Wähler sind enttäuscht über die Zusammenarbeit mit den Rechten. Will
Tsipras Neuwahlen erzwingen und so doch noch die absolute Mehrheit
gewinnen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.