# taz.de -- Wiederbelebte Doku-Reihe: Plastische Einblicke | |
> Zwischen regionalem Kuschel-Report und den großen Themen des Tages ist | |
> der preisgekrönten Reihe „Unter deutschen Dächern“ der TV-Sendeplatz | |
> abhandengekommen. | |
Bild: Paul, wegen Totschlags angeklagt, versucht zu lernen, Konflikte nicht meh… | |
BREMEN taz | Wie leben die anderen? Fragen wie diese treiben | |
Dokumentarfilmer dazu an, nicht das Spektakuläre, sondern den Alltag so | |
wahrhaftig wie möglich mit der Kamera einzufangen. Dies ist das | |
Grundprinzip der Doku-Reihe „Unter deutschen Dächern“, die seit 1979 Radio | |
Bremen produziert, bisher sind rund 130 Folgen entstanden. | |
Die erste zeigte den Betrieb auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, es gab aber | |
auch Sendungen über die Playboy-Redaktion, das größte Tierheim oder auch | |
den größten LKW-Rastplatz des Landes, Pflegefälle in einem Altenheim und | |
Massentierhaltung in Südoldenburg. Günther Wallraffs Film „Ganz unten“ li… | |
in der Reihe, 2002 sendete man eine dreiteilige Langzeitbeobachtung über | |
eine Familie mit Neonazi-Sohn. | |
Dafür gab es regelmäßig Grimmepreise, gleichwohl schien das Format zuletzt | |
nicht mehr zeitgemäß. In den dritten Programmen der ARD sind offenbar | |
gefälligere Dokumentationen gefragt, im Ersten die Sendeplätze für | |
„größere“, politisch aktuelle Themen reserviert. Da ist es alles andere a… | |
selbstverständlich, wenn Radio Bremen nun neue Folgen von „Unter Deutschen | |
Dächern“ produziert hat. | |
Die erste Folge „Brautschau“ von Anke Plautz über das boomende Geschäft m… | |
Hochzeiten lief in der Vorwoche im NDR-Fernsehen und kann noch in der | |
ARD-Mediathek gesehen werden. Auch sonst bemühen sich die Produzenten | |
darum, auf möglichst vielen Plattformen präsent zu sein: Auf | |
[1][www.unterdeutschendaechern.de] gibt es Hintergrundinformationen sowie | |
ein Logbuch über die Dreharbeiten, dazu Diskussionen mit den Regisseuren. | |
Man setzt auf Facebook und Twitter, und in der regionalen | |
Nachrichtensendung „Buten und Binnen“ werden weiterführende Berichte über | |
die Themen der Reihe gezeigt. | |
So soll dort seit Anfang dieser Woche eine Serie über verschiedene Aspekte | |
des Lebens in Gefängnissen Interesse an der 30-Minuten-Reportage | |
„Freiheitsentzug“ wecken, die am Freitag um 21.15 Uhr das NDR-Fernsehen | |
ausstrahlt. Ein Jahr lang hat Silvia Palmigiano vier Insassen der | |
Justizvollzugsanstalt in Vechta mit der Kamera begleitet. Dort sitzen nur | |
so genannte Jungtäter ein, die nicht älter als 24 Jahre sind. Die meisten | |
müssen lange Haftstrafen absitzen, haben noch keine Knast-Karrieren hinter | |
sich – und so bleibt den meisten Insassen ein Rest Hoffnung auf ein Leben | |
nach dem Knast. | |
So etwa der 25-jährige Paul, des Totschlags schuldig gesprochen, zwölf | |
Jahre Haft. Er versucht sein Leben in den Griff zu bekommen, durch | |
Therapie, eine Ausbildung und viel Sporttraining, und spricht darüber | |
erstaunlich abgeklärt und optimistisch. Maurice und Dennis haben im | |
Gefängnis eigene Rap-Videoclips produzieren gelernt und treten inzwischen | |
in anderen JVAs auf. Der wegen eines Überfalls für mehrere Jahre | |
einsitzende Benni schließlich wird im Laufe der Dreharbeiten von seiner | |
Verlobten verlassen – und man kann sehen, wie er sich auch körperlich | |
verändert. | |
Die vier erzählen, unter welchen Bedingungen sie im Knast leben, vor allem | |
aber von ihren Plänen, Hoffnungen und Ängsten. Die Kamera zeigt, wie die | |
Protagonisten regelmäßig Krafttraining machen, ihre Körper stählen – noch | |
im fortschrittlichsten Gefängnis gilt die Macht des Stärkeren. | |
Vom Erwachsenwerden erzählt auch Dirk Meißner in seinem Film „Disconacht“ | |
(6. Februar): Er filmte Stammgäste und eine 18-jährige Barfrau in der | |
Großdisco „Index“ in Schüttdorf bei Bad Bentheim und fing dabei viel | |
Lebensgefühl der Jugendlichen ein. Dabei wird die Disco selbst immer mehr | |
zu einem Relikt aus früheren Zeiten, denn dort treffen sich zwar die | |
Jugendlichen wie wohl schon ihre Eltern, um zu feiern, zu tanzen und sich | |
kennenzulernen. Aber die neuen elektronischen Medien spielen dabei heute | |
eine große Rolle – man merkt, wie erstaunt der Filmemacher selbst über | |
diese Entwicklung ist: „Was für eine Frage“ bekommt er zur Antwort auf die | |
Frage, ob etwas auf Facebook gestellt werde. | |
Einer von Meißners Protagonisten bastelt sich aus seinen Youtube-Auftritten | |
bereits eine Karriere zusammen: Hendrik Nitsch hat mit Comedy-Videos eine | |
Fangemeinde im Internet für sich gewonnen, und inzwischen produziert er die | |
so professionell, dass er sich mit ein paar Freunden eine Kamera-Drohne | |
angeschafft hat, die sie beim Dreh – von Meißner in bester | |
Film-im-Film-Tradition aufgenommen – stolz präsentieren. | |
Die Schülerin Sina arbeitet am Wochenende am Tresen und erzählt, wie sie | |
aufdringliche Jungs abblitzen lässt und sich über ihren neuen Führerschein | |
freut. Meißner versucht, Stimmungen einzufangen, und dazu gehören dann auch | |
betrunkene Jugendliche, die von bevorstehenden Abi-Klausuren lallen. | |
„Handicap“ beschließt am 20. Februar die Reihe erst mal wieder. Darin | |
stellt Susanne Brahms die Produkte und drei Kunden der Firma Otto Bock in | |
Duderstadt bei Göttingen vor. Das mittelständische Unternehmen ist | |
Weltmarktführer für Prothetik, und hat sich auf High-Tech-Prothesen von | |
Beinen und Händen spezialisiert. Die drei Protagonisten dieser Doku sind | |
gleichermaßen ambitionierte wie sportliche Ausnahmepatienten, die die | |
Möglichkeiten und Grenzen der neusten Prothesen gut deutlich machen. | |
Die 53-jährige Elke Wegner etwa war Marathonläuferin, bevor sie bei einem | |
Autounfall ihr Bein verlor. Leon Schäfer, 17, verlor ein Bein nach einer | |
Krebserkrankung und ist heute Weltmeister im Hochsprung für Beinamputierte. | |
Hamid Hajizada wiederum wurde im Nahen Osten ein Bein von einer Landmine | |
zerfetzt. Inzwischen arbeitet er bei Bock und zeigt in einem Werbeclip, wie | |
natürlich er sich mit Prothese bewegen kann. Plastisch schildern sie die | |
Schwierigkeiten eines Lebens mit einem fehlenden Bein. Der Film macht | |
deutlich, mit welcher Anstrengung und Leidensfähigkeit sie anstreben, was | |
für die meisten Menschen ganz selbstverständlich ist – so leben die | |
anderen. | |
## | |
29 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.unterdeutschendaechern.de | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Radio Bremen | |
Dokumentarfilm | |
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