# taz.de -- Heimkehr nach Klinikaufenthalten: Der Ötzi von Emden | |
> „Bernie“ aus Bernuthsfeld ist mehr als 1.200 Jahre alt und die einzige | |
> Moorleiche Ostfrieslands. | |
Bild: Auf einen Mantel gebettet: Die Moorleiche "Bernie" hatte gebrochene Rippe… | |
EMDEN taz | Augen hat Bernie nicht. Aber dieses Lächeln: ironisch, wissend, | |
abgeklärt. „Bernie“ ist die einzige vollständig erhaltene Moorleiche in | |
Ostfriesland und etwa 1.200 Jahre alt. Schon vor seinem Tod im frühen | |
Mittelalter hat er einiges erlebt, wie ein aktueller wissenschaftlicher | |
Zwischenbericht erzählt. Ostfriesen interessiert dagegen nur, wann die | |
ledrige Moormumie wieder „nach Hause“, sprich nach Emden, kommt. Denn zur | |
Zeit friert Bernie in der Uniklinik Hamburg. | |
In Emden hätte er es nicht besser. Wie er im Landesmuseum präsentiert | |
werden soll, ist nicht klar. „Wir hatten vor, ein Haus hinter dem Museum | |
für die Präsentation aller Funde mit und um Bernie herzurichten“, sagt | |
Museumsleiter Wolfgang Jahn. Dazu fehle aber noch das Geld. | |
## Schädelbruch post mortem | |
Geht es nach Jahn, soll Bernie „würdig und menschlich“ dargestellt werden. | |
2016, bei dem Event „Land der Entdeckung“, an dem sich alle ostfriesischen | |
Museen beteiligen, soll Bernie im Mittelpunkt stehen. | |
Bernie wurde per Zufall von den Brüdern de Jonge aus Tannenhausen bei | |
Aurich an einem nebligen Morgen am 24. Mai 1907 aus dem Torf gestochen. Die | |
beiden rammten ihre Spaten in das Moor Hogehahn in Bernuthsfeld. Den | |
Schreck der Torfstecher, als es knackte, kann man leicht nachempfinden. Die | |
de Jonges gerieten in Panik, verschleppten die Leiche an einen anderen Ort | |
und vergruben sie wieder. | |
Die Legende hält sich bis heute, Bernie sei erschlagen worden: | |
Schädelbruch. „Wir wissen heute, der Schädelbruch wurde Bernie post mortem | |
zugefügt. Einen Mord im Moor hat es nie gegeben“, versichert Museumsleiter | |
Jahn – sehr zum Schaden regionaler KrimiautorInnen. | |
Bernie hatte viele Leiden: Krankheiten wie Nasennebenhöhlenentzündung, | |
Krebs und gebrochene Rippen. Tot geschlagen wurde er nicht. Trotzdem | |
mussten die de Jonges auf den Schreck erst mal einen trinken. Oder es war | |
zufällig elf Uhr und da genehmigen sich Ostfriesen erst mal einen | |
„Elfürtje“, einen kleinen Schnaps vorweg. | |
Bei dem einen Schnaps schien es nicht geblieben zu sein. Denn das Gerücht, | |
im Moor sei eine Leiche gefunden worden, verbreitete sich in Untereichsfeld | |
in Windeseile. So wurde Bernie zum Objekt polizeilicher Ermittlungen. | |
Später wurde er dann der Gesellschaft für Altertumsforschung in Emden | |
übergeben und landete im Emder Landesmuseum. | |
Wegen der „Verlagerung“ der Moorleiche durch die Brüder de Jonge ist bis | |
heute der genaue Fundort unklar. Man fand Haarteile, ein Patchwork und | |
einen Mantel. Gamaschen hatte er wohl auch um die Waden gewickelt. Einige | |
Teile sind gut erhalten, andere sind Restfetzen. | |
Ob Bernie in ein gut gepolstertes Grab gebettet wurde oder einfach wegen | |
seiner „ungewöhnlichen“ Krankheit Krebs abseits bestattet wurde, ist | |
ebenfalls unklar. Auf einem „normalen“ Friedhof lag er jedenfalls nicht. | |
Bernie hat eine Tour de Force durch Rechtsmedizin, Kliniken und Labore in | |
ganz Deutschland hinter sich. Er wurde angekratzt, angebohrt und | |
durchleuchtet. Alles wollte man von ihm wissen. Wie haben die Menschen im | |
frühen Mittelalter gelebt, was haben sie gegessen, wie haben sie sich | |
gekleidet, woran sind sie gestorben? | |
„Wir hätten gerne alle norddeutschen Moorleichen“, sagt Jahn. Insgesamt | |
gibt es an der Küste 23 mehr oder weniger gut erhaltene Funde. Diese würde | |
Jahn gerne miteinander vergleichen und erforschen. „Aber es fehlt uns das | |
Geld“, bedauert er. | |
## Mit 60 ungewöhnlich alt | |
Mit den Forschungen um Bernie ist er zufrieden. Wir wissen inzwischen, er | |
aß mehr Gemüse als Fleisch, wurde mit bis zu 60 Jahren ungewöhnlich alt und | |
wurde mindestens ein Jahr lang bis zu seinem Tod gepflegt. Seine | |
Bewegungsfreiheit war zum Schluss durch eine Arthrose stark eingeschränkt. | |
Seine allerletzte Unruhestätte wird Bernie ab 2016 im Ostfriesischen | |
Landesmuseum in Emden finden. Jahn hofft, dass der Emder Rat nächste Woche | |
beschließt, mehr als 200.000 Euro für die Präsentation Bernies locker | |
machen. „Bernie ist spektakulär“, sagt Jahn. „Und natürlich erwarten wir | |
viele Besucher, wenn Bernie wieder unter unserem Dach ist. Wir werden ihm | |
eine würdige Ruhestätte einrichten.“ In Frieden ruhen wird Bernie also | |
nicht. | |
Ein wichtiges Problem ist allerdings nicht gelöst: Ist Bernie wirklich | |
Ostfriese? Bis zum 6. Jahrhundert lebten Chauken an der Norddeutschen | |
Küste. Danach drangen Friesen aus den Niederlanden bis zur Elbe vor. | |
Chauken waren friedliebend und blieben am Liebsten für sich. Friesen | |
langten schon mal gerne zu. Sie vertrieben die Chauken. | |
Für sich blieben die Friesen allerdings auch – bis heute, mit einer eigenen | |
Sprache und eigenen Bräuchen. Da machte sich Bernie natürlich als Ur-Ossi | |
besonders gut. Zumal der alte Herr wohl kein Wüterich sondern Bauer war. | |
„Wir können keine klare zeitliche Eingrenzung für Bernies Leben geben“, | |
bedauert Jahn. „Eine eindeutige Stammeszugehörigkeit anzugeben, ist auch | |
nicht möglich.“ Das ist bitter. Dann bleibt nur Otto als echter | |
„Ostfriesenjung“. Sein Museum liegt gleich gegenüber dem Landesmuseum. | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
## TAGS | |
Emden | |
Steinzeit | |
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