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# taz.de -- Journalist wird Möbelverkäufer: Kein Wir, weit und breit
> Er war Starjournalist. Dann wurde er Einrichtungsberater. Sein Buch
> „Möbelhaus“ bringt die Antisolidarisierung der deutschen Gesellschaft auf
> den Punkt.
Bild: Der Konsument ist nicht nur unsolidarisch, auch er ist Menschenfeind
Herr …? „Keine Namen, bitte“, sagt er hastig, nachdem er die Filiale einer
Café-Kette neben einem Hauptbahnhof betreten hat. Auch keine Städtenamen.
Keine Personenbeschreibung. Ihn auf keinen Fall mit dem echten Namen
ansprechen, der ihn zur journalistischen Marke gemacht hat. Er ist jetzt
„Robert Kisch“. Er hat ein Buch über sein neues Leben als Möbelverkäufer
geschrieben. Und er will nicht, dass sein Möbelhaus ihm nachweisen kann,
dass er das war. „Tatsachenroman“ hat der Verlag sicherheitshalber auf den
Titel geschrieben. Erfunden sei nichts, sagt Kisch. „Alles ist so. Leider.“
„Möbelhaus“ ist ein wichtiges Buch; nicht weil es literarische Grenzen
sprengt, nicht weil es als Sachbuch undercover die Ausbeutung in einem
Unternehmen oder einer Branche aufdeckt, sondern viel besser: weil es
anhand einer einfachen Geschichte einen blinden Fleck der Gesellschaft
beschreibt und dabei ihre kulturelle und moralische Verwahrlosung. Und die
Schuldfrage nicht einfach an den Kapitalismus auslagert – obwohl der Reflex
naheliegt. „Es gibt nicht den einen Bösen“, sagt Kisch.
„Möbelhaus“ steht auch nicht für den Absturz eines Einzelnen, sondern für
eine Entwicklung, die sich noch relativ unsichtbar vollzieht. Vielleicht
sogar für eine Zukunft, in der größere Teile der akademischen
Mittelschichtsarbeitsplätze von heute durch die Digitalisierung
verschwinden.
Die Kalifornisierung der Arbeit, in den USA bereits sehr sichtbar, ist die
Reduzierung auf Top- und Sklavenarbeit. Der Angestellte wird in die
einfache Dienstleistung durchgereicht. Weil Produktivität hier im Gegensatz
zum gnadenlosen Fließband nicht mit Geschwindigkeit steigerbar ist, hatten
Philosophen das einst als humanen Fortschritt begrüßt. Sie kannten Kischs
Möbelhaus nicht.
## Leben mit Gleichgültigkeit
Sicher gibt es auch Kollegen, für die Möbel verkaufen eine relative
Aufstiegschance ist. Aber es ist auch ein Ort, an dem sich die Abgestürzten
treffen, die die alte Angestelltengesellschaft bereits abgeworfen hat. Nix
mehr mit Schreibtisch, bisschen telefonieren und sich ärgern, wie hart
alles ist. Bei hoher Sicherheit, genug Geld und einer ordentlichen
Arbeitswürde. Das hier ist echt hart.
Kisch, Ende vierzig, war ein preisgekrönter Journalist. Einer, der nicht
Nachrichten verwaltete, sondern Geschichten suchte – oder sich in den
Geschichten. Große Magazingeschichten. Jenseits der Routine und der Budgets
einer Nachrichtenredaktion. Frei, gefragt, sehr gut verdienend. Er gehörte
zu denen, die aufbrechen wollten.
„Da muss was passieren“, sei das Gefühl gewesen, „in allen Schichten, au…
vielleicht CDU“. Irgendwann ließ er sich doch lieber anstellen, aber das
Magazin ging den Bach runter. Dann noch mal, aber dieses Magazin erschien
erst gar nicht mehr. Dann wurden die Aufträge noch weniger, bis es einfach
nicht mehr ging. Jedenfalls nicht mit Familie. Er wurde Möbelverkäufer.
Früher dachte er, er sei der Einzige, der log, wenn er Journalistenkollegen
sagte, dass alles prima laufe. Seit er selbst sensibilisiert ist, sieht er
die freiberufliche Schattenwelt, die andere ignorieren. Aber es geht nicht
um die Anklage einer Branche, die keine Antworten hat, seit die
Anzeigenerlöse nicht mehr von selbst vom Himmel fallen. Was einen berührt,
ist die Gleichgültigkeit derer, die noch drin sind.
## Verkäufer kämpfen um Kunden
Im Kern der Geschichte aber steht die Brutalität von Dienstleistung auf
Provisionsbasis und ihre Folgen für den Einzelnen und die Gemeinschaft. Der
sogenannte Familienbetrieb propagiert ein Gemeinschafts-„Wir“ und überträ…
das Risiko weitgehend auf die Verkäufer, „Einrichtungsfachberater“ genannt.
Was dazu führt, dass die Verkäufer untereinander komplett unsolidarisch
sind und sich um die Kunden balgen, weil sie bei extrem niedrigem
Grundgehalt die Provisionen brauchen, um überleben zu können.
Ein weiterer propagierter Wert des Betriebs lautet: Niemand wird gekündigt.
Das stimmt. Man wird nur gemobbt, bis man „freiwillig“ geht.
Der ganze psychologische Überbau ist eine Pervertierung des Freiheits-,
Verantwortungs- und Leistungsbegriffs. Sie fragen bei der Einstellung, wie
viel man verdienen will. Aber wer das dann nicht verdient und also nicht
genügend verkauft, ist selbst schuld. Weil er zu negativ ist. Wer einen
Kunden ohne Kauf ziehen lässt, ist negativ. Wer Überstunden abbauen will,
ist negativ. Wer krank wird, ist supernegativ. Achtzig Prozent wollen schon
bald nur noch weg. Doch sie sind eben nicht frei, denn sie haben keine
Alternative. Außer sterben.
Die Verkäufer haben indes auch keine Werte. Ist auch schwierig. Der
Betriebsrat, sagt Kisch, ist ein Witz. Und sie sind keine ausgebildeten
Arbeiter, sondern Versprengte, die voraussetzungslos anfangen können und
daher problemlos ersetzt werden. Sie werden strategisch isoliert. Aber sie
wehren sich auch null, formieren sich nicht, sondern reduzieren sich wie
gewünscht auf das Ich und auf Zynismus. Ihren Neid, ihren Hass, ihre
Schadenfreude konzentrieren sie auf andere Verkäufer, nicht auf die Chefs.
Und sie verachten die Kunden genauso, wie die Kunden sie verachten.
## Woanders ist es immer billiger
Die Werte der Kunden (also unsere) sind besonders verlogen. Was immer an
gesinnungsmoralischen Kaffeetafeln geschwafelt wird, am Ende geht es nur um
den Preis. „Billig, billig, billig“, sagt Kisch. Was ein niedriger Preis
beinhaltet, etwa Kinderarbeit, „davon wollen sie nichts hören“.
Die Internetrecherche ist ein Ermächtigungsinstrument des Konsumenten, aber
das Netz mit seiner Unendlichkeit macht viele komplett kirre. Wenn sie bei
Kisch das sechzehnte Angebot auf ihren Schreibblock notiert haben, hilft
ihnen das auch nicht, denn für welchen Preis sie auch kaufen – irgendwo ist
es irgendwann noch billiger.
Das Internet, gern als Solidaritätsinstrument verstanden, das Gesellschaft
vernetzt, ist auch ein gewaltiger Treiber der Individualisierung und
Entsolidarisierung. Die Macht der Internetrecherche trifft als Erstes nicht
den Unternehmer, sondern den geknechteten Verkäufer. Der Onlineanbieter ist
auch in der Möbelbranche der Parasit, dessen Geschäft darauf beruht, dass
der Kunde sich bei Kisch auf dessen Kosten beraten lässt und dann online
kauft, wo es billiger ist.
Der Konsument ist nicht nur unsolidarisch, auch er ist Menschenfeind. Aus
seiner Sicht ist der Verkäufer eine Null oder ein Betrüger, der ihn
reinlegen will. Er will und muss rauspressen, was geht. Sonst, denkt er,
ist er selbst der Dumme. Was nicht immer falsch ist. Nur eben nicht die
ganze Geschichte. Kisch bringt die Sicht des Verkäufers ein, die meistens
ausgeblendet bleibt.
Die Auswirkungen auf das Leben sind bei Kisch nicht rein ökonomische. Er
steigt als Mensch ab.
## Leben ohne Ironie
„Ich bin nicht mehr auf Augenhöhe“, nennt er das. Als Journalist habe er
sich stets auf Augenhöhe gefühlt, selbst während eines Interviews mit einem
Super-Vorstandsvorsitzenden. Im Leben sowieso. Jetzt steht er klar unter
den Vorgesetzten und vor allem unter den Kunden. „Die mögen auch mal nett
sein“, sagt er, „aber letztlich ist man kein Mensch.“ Irgendwann ist er im
Buch auch nicht mehr auf Augenhöhe mit seiner Frau. Zur Antisolidarisierung
der alten und neuen Berufskollegen, des Arbeitgebers und der Kunden kommt
die private Antisolidarisierung. Die Frau verlässt den Möbelverkäufer.
„Der einzige Vorteil der Trennung“, sagt er: „Nur so konnte ich das Buch
schreiben.“
Falls das jetzt ironisch klingt; das ist es überhaupt nicht. Ein
fundamentaler Unterschied zwischen Kischs alter und neuer Arbeit ist die
Abwesenheit von Ironie und Leichtigkeit. Festangestellte Journalisten, so
sieht er das, sind „prinzipiell kommentarbereit“, vorn dran bei allen
kritischen Diskursen, aber letztlich leben sie ruhig gestellt in einer
ironischen Blase, in der jeder interne Redaktionspups mehr zählt als die
Erschütterungen der echten Welt. Er war genauso, als er fidel aus der Blase
in die absurde Gesellschaft schaute, um ihr gute Geschichten abzujagen.
Oder als er in Talkshows ironisch über Probleme von Leuten parlierte, die
keine Probleme haben.
Jetzt ist er außen, und der Spaß ist ihm vergangen. Und zwar sowas von. Der
Job macht ihn müde und fertig und würdelos. Der Kopf ist nicht mehr frei.
Nur leer. Immer wenn er einen aus der anderen Atmosphäre trifft, prallen
die Welten aufeinander. Nur, dass der andere es nicht merkt.
In einer Zeit, in der Journalisten jede idiosynkratische Befindlichkeit als
Grundlage für ein unterhaltendes Sachbuch nehmen, hat er Wirklichkeit
erlebt, nicht abgesaugt. Und damit zwangsläufig eine komplett unironische
Erzählung schreiben müssen, die eine unangenehme Wahrheit über unsere
Gesellschaft enthüllt, weit über die Ausbeutung durch Unternehmer hinaus.
Noch mal im Schnelldurchlauf: Antisolidarität, Ignoranz, Verachtung. Kein
Wir, weit und breit.
Was tun? Wahrzunehmen, wie sich das System beschleunigt und an seiner
Entschleunigung zu arbeiten, würde schon helfen, sagt er. Das ist der
fromme Wunsch. Die tiefere Wahrheit des Robert Kisch ist, dass man
irgendwann alles zu Markte tragen muss, was man anzubieten hat.
Und wenn es das eigene Elend ist.
22 Feb 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
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Solidarität
Möbelhaus
Brüste
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