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# taz.de -- Antiterrorgesetze in Kanada: Gegen Demokratie und Rechtsstaat
> Der konservative Premier will die Antiterrorgesetze noch verschärfen.
> Rechtsprofessoren und hochrangige Politiker warnen vor einem
> Polizeistaat.
Bild: Symbolisiert das Ahornblatt bald ein Überwachungsregime?
EDMONTON taz | Vor gut vier Monaten versetzte ein bewaffneter Mann die
kanadische Hauptstadt Ottawa in Angst und Schrecken. Der Täter erschoss
einen Wachsoldaten, stürmte ins Parlament und richtet dort beinahe ein
Blutbad an, hätte nicht ein Sicherheitsbeamter den zum Islam konvertierten
Mann im letzten Moment getötet.
Als Reaktion kündigte Premierminister Stephen Harper, seinerzeit beinahe
selbst Opfer des Anschlags, eine massive Verschärfung der Antiterrorgesetze
an – und löste damit eine heftige Debatte aus. Kritiker sehen Kanada auf
dem Weg in Polizeistaat. Über 100 der angesehensten Rechtsprofessoren des
Landes schlugen in einem offenen Brief Alarm. Das geplante Antiterrorpaket
sei „ein gefährliches Stück Gesetzgebung“, das die Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte in Kanada gefährde. „Wir
beschwören alle Abgeordneten, gegen das Gesetz zu stimmen“, schrieben sie
in dem Ende Februar datierten Brief.
Zuvor hatten in der Zeitung La Presse schon vier ehemalige Premierminister,
fünf pensionierte oberste Richter und zahlreiche Exkabinettsmitglieder
gegen das Gesetz Front gemacht und vor den Folgen einer zu großen
Machtfülle für die Sicherheitsorgane des Landes gewarnt. Ohne wirksame
Kontrolle drohten den Bürgern „verheerende persönliche Konsequenzen“. Zud…
stehe der Ruf Kanadas als Rechtsstaat auf dem Spiel.
Harper will die Befugnisse des Inlandsgeheimdienst CSIS und der Polizei
massiv ausweiten. Es ist bereits die dritte Verschärfung der
Antiterrorgesetze in zwei Jahren. Danach sollen die Beamten zukünftig
Verdächtige präventiv bis zu sieben Tage ohne Anklage festhalten dürfen,
wenn diese die nationale Sicherheit „gefährden könnten“. Zur Liste der
Gefahren zählt die Regierung laut Gesetz den internationalen Terror, aber
auch die „Störung der Infrastruktur“ und der „finanziellen und ökonomis…
Stabilität“ des Landes.
Der CSIS, bislang nur für das Überwachen und Sammeln von Informationen
zuständig, soll zukünftig zudem Aufgaben der Polizei übernehmen können. Bei
Verdacht soll er etwa Webseiten schließen, Pässe einziehen, Flugbuchungen
stornieren oder verdächtige Finanztransaktionen stoppen können. Die
Gerichte sollen bei einem Verdacht die Grundrechte aussetzen dürfen.
## Missbrauch durch Geheimdienste
Der konservative Premier hält die Maßnahmen für erforderlich: Die
Dschihadisten hätten seinem Land „den Krieg erklärt“, und Kanada habe ein
ernsthaftes Problem mit Terroristen.
Die Kritiker dagegen werfen Harper vor, nicht nur Terroristen, sondern
politische Gegner aller Art ins Visier nehmen zu wollen. „Genau genommen
ist das Gesetz kein Antiterrorgesetz“, kritisierte die Zeitung The Globe
and Mail in einem Leitartikel. Vielmehr ermächtige es die Behörden, gegen
jeden vorzugehen, den die Regierung als Gefahr ansehe.
Harper selbst steht im Herbst vor Parlamentswahlen und setzt angesichts
niedriger Ölpreise und einer schwächelnden Wirtschaft ganz auf das Thema
Innere Sicherheit. Zunächst schien die Strategie auch aufzugehen. Kurz nach
seiner Antiterror-Pressekonferenz maß eine Umfrage eine Zustimmung von rund
80 Prozent zu dem Gesetz.
Seit immer mehr Details bekannt werden, sieht das Meinungsklima
differenzierter aus. Drei von vier Kanadiern sagen jetzt, dass sie stärker
vor einem Missbrauch durch ihre Geheimdienste geschützt werden wollen.
Ursprünglich wollte der Premier das Paket im Eilverfahren durch das
Parlament peitschen – nun soll es doch eine längere Debatte geben.
10 Mar 2015
## AUTOREN
Jörg Michel
## TAGS
Polizei
Kanada
Antiterrorkampf
Stephen Harper
Kanada
Kanada
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