| # taz.de -- Sozialkrimi „Unter Verdacht“: Das Geschäft mit den Toten | |
| > Die internen Ermittler Prohacek und Langner spüren einem Pflegebetrüger | |
| > nach, untersuchen aber eigentlich das Innere des Polizeiapparats. | |
| Bild: Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger, re.) will Peter Söllner (Marc Oliv… | |
| Ausgeliefert zu sein ist ein gesellschaftliches Schicksal geworden, das | |
| Millionen Alte und Pflegebedürftige in Deutschland teilen. Zunehmend | |
| erleben das auch alternde Einwanderer. Sie sind im doppelten Sinne | |
| ausgeliefert: ihren Pflegekräften und einer Gesellschaft, die ihre Kultur | |
| nicht versteht, ihre Muttersprache nicht spricht – und gerade zur | |
| Muttersprache kehren viele im hohen Alter zurück. Als Unverstandene sind | |
| sie eine gute Klientel für Missbrauch und mafiöse Machenschaften. | |
| „Grauzone“ heißt die Folge der Krimiserie „Unter Verdacht“, die Arte am | |
| Freitagabend zeigt. Sie führt die KomissarInnen Eva Prohacek (Senta Berger) | |
| und André Langner (Rudolf Krause) in die Münchner Vorstadt, in die | |
| Wohnblöcke, in denen viele Russlanddeutsche wohnen. Sie werden in | |
| „Grauzone“ Opfer eines perfiden Betrugs. | |
| Zu Beginn sind Prohacek und ihr Kollege Langner mit einem vermeintlichen | |
| Routinefall beschäftigt: Der Kollege Peter Söllner (Marc Oliver Schulze) | |
| ist den Immobilienhai und Landtagspolitiker Hubert Cuntze (Jürgen Tarrach) | |
| bei einer Alkoholkontrolle etwas zu ruppig angegangen und fällt seit | |
| Längerem als unzuverlässig auf. | |
| Etwas erschütternd Tragikomisches hat dieses Anfangsszenario, nicht nur | |
| weil der Dienststellenchef der beiden, Dr. Reiter (Gerd Anthoff), seine | |
| Münchner Spezlwirtschaft bedienen muss und im Auftrag des Abgeordneten den | |
| ganzen Fall kleinreden möchte. Hinzu kommt die Nachricht, dass der Bruder | |
| des Problemkollegen Söllner in einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt | |
| ist. Ein sehr unbefriedigendes Wirrwar also, das nur die mütterliche, etwas | |
| hemdsärmlige Kommissarin – eine gewohnt souveräne Senta Berger – entwirrt, | |
| indem sie ihre Neugier auf die sozialen Hintergründe des Falls lenkt: Der | |
| entgleiste Polizist pflegt seine querschnittsgelähmte Frau. | |
| Bald kommt Prohacek auch dem vermeintlichen Unfall des Bruders auf die | |
| Spur: Dieser war beim Sozialreferat München beschäftigt und forschte in den | |
| Wohnungen von russlanddeutschen Pflegebedürftigen einer Betrugsmafia | |
| hinterher, die vor Gewalt nicht zurückschreckt. Söllner wird selbst zum | |
| Gejagten. Und die ursprünglich gegen ihn ermittelnden Kollegen Prohacek und | |
| Langner kämpfen auf seiner Seite gegen ein dreistes Komplott. | |
| ## Polizisten, die Polizisten ins Visier nehmen | |
| So viel zum Stoff, der herkömmlich, reichlich konstruiert und ziemlich | |
| krimischablonenhaft wirkt. Doch das ist nicht das Entscheidende in der | |
| inzwischen vierten „Unter Verdacht“-Folge des Regisseurs Andreas Herzog. | |
| Hier, in der internen Ermittlung, geht es ja sprichwörtlich um die | |
| Metaebene: Polizisten, die Polizisten ins Visier nehmen. | |
| Die Dramatik der Handlung, die Menschlichkeit der Figuren speist sich so | |
| konsequent wie in keinem anderen deutschen Krimiformat aus dem Inneren des | |
| Polizeiapparats. | |
| Längst bildet ja in so gut wie jedem „Tatort“ eine emotionale Verstrickung | |
| von Räuber und Gendarm den atmosphärischen Überbau. Hier stehen die | |
| Beziehungen selbst im Vordergrund. Sie verdichten sich zu einem Knäuel an | |
| Konflikten und zeigen sich in Details: Die Komik zwischen der | |
| scharfsinnig-überlegenen Kommissarin Prohacek und ihrem störrischen | |
| Kollegen Langner, herrlich gespielt als grundbiedere Witzfigur, die | |
| nervtötende Penetranz, mit dem der Dienststellenleiter Reiter (Gerd Anthoff | |
| in cholerischer Hochform) den beiden in das Handwerk pfuschen will. | |
| All das ist darstellerisch prägnant und filmisch spannend: Die | |
| lakonisch-kühle Kameraführung von Wolfgang Aichholzer trägt dazu bei, dass | |
| sich diese Konflikte von Augenblicken in ihrer vollen Unvereinbarkeit | |
| bestens entfalten. | |
| Am Ende leistet sich Regisseur Herzog ein zehnminütiges Verhörfinale – | |
| kammerspielhaft dürfen hier die Charaktere in ihrer Verschwiegenheit und | |
| klüngelnden Münchner Schmierigkeit all ihre Register ziehen. | |
| Was bei diesem Krimi zweifellos vernachlässigt wird, ist der soziale | |
| Hintergrund des Falls, der bisher im Unterhaltungsfernsehen kaum beachtet | |
| wird: Altern in einem migrantischen Milieu böte einen fruchtbaren Stoff für | |
| ein echtes Sozialdrama. | |
| 13 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Krone | |
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