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# taz.de -- Die Wahrheit: Grumpfl, grumpfl, geil!
> Die Zukunft gehört den Neo-Neandertalern. Verunsichert durch die Moderne,
> haben sie ihr bisheriges Leben über Bord geworfen.
Bild: Der bärtige Mumpfl, mit dem alles begann, lebt inzwischen im Neandertal-…
Lasse Nettekoven, Museumsführer im paläontologischen Museum Neandertal,
schreitet zur Pforte und erwartet den üblichen Mix aus Schülern und
Hobby-Paläontologen. Ein sonderbarer bärtiger Mann steht unter den
Üblichen. Die ganze Führung über schweigend, aufmerksam zuhörend, nur
gelegentlich hörbar ein- und ausatmend. Als alle gehen, legt er kurz seine
kraftvolle Hand auf Lasse Nettekovens Arm und sagt: „Wir mehr“.
Eine Woche später erscheint er wieder, begleitet von zwei weiteren
Bartträgern. Binnen einem Monat muss Lasse Nettekoven bereits drei
Führungen statt einer machen, mit immer mehr Bartträgern. Dann tauchen die
ersten Buttons und Transparente auf. Schließlich stehen Tausende der
Bärtlinge vor der Tür – manche in Bärenfelle gehüllt, manche mit einem
erlegten Wildschwein über der Schulter: Die neo-neolitische Bewegung ist
geboren.
Vor allem junge Menschen schließen sich der Richtung an. Zahlreiche
Akademiker finden hier eine neue Heimat. Verunsichert durch die Forderungen
der Moderne, haben sie ihr bisheriges Leben über Bord geworfen.
Was die Neo-Neandertaler wollen, erschließt sich nicht auf Anhieb. Denn
einer ihrer Grundsätze ist, sich sprachlich vage auszudrücken. Später
einmal wird es einer ihrer nachrückenden Vordenker so beschreiben: „Sage
nicht, was du auch grunzen kannst.“
Inhaltlich geht es darum, sich wieder auf die „neandertalitischen Werte“
rückzubesinnen und ein reines und unverfälschtes Leben zu leben – so wie es
war, bevor durch die erste Zuwanderungswelle der Menschheitsgeschichte, das
Eindringen des Cro-Magnon-Menschen, das ganze Durcheinander begann.
Politisch träumt man von der Errichtung eines Groß-Neandertals in den
Siedlungsgrenzen von 50.000 v. Chr. „Wir sind tolant“, betont Hargh Mumpfl,
jener erste neo-neolithische Besucher der Ausgrabungsstätte, der sich recht
bald schon als charismatischer Führer der Bewegung entpuppt. In Vorgriff
auf eine neo-neolithische Sprache ergänzt er, „jeder dersuns apsst isssns
willkrrrrr.“
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen schaut dem Treiben einige Zeit
ratlos zu, nicht sicher, ob es sich um die Reanimation von Brauchtum
handelt oder ein gefährliches politisches Phänomen. Als sie dann endlich
mit ganzer staatlicher Härte gegen die neo-neolithische Bewegung vorgeht,
ist es längst zu spät.
Ganz Europa scheint auf diese Erneuerung gewartet zu haben. Überall im
prähistorisch-neandertalischen Siedlungsraum entwickeln sich binnen
kürzester Zeit neolithische Organisationen. Es entstehen Sprachschulen, in
denen Kinder „Grumpfl“ lernen, eine Neu-Lautung der vermuteten
neolithischen Ursprache. Sie üben, Faustkeile zu schnitzen, Fallen
auszuheben und Gegner mit der Keule zu erschlagen. Auch viele Frauen
schließen sich der neolithischen Bewegung an. „Mann derwo keult boageil“,
hört man sie, in noch etwas fehlerhaftem Grumpfl, in die Kameras der
Fernsehteams grumpfln.
Die Medien, neolitisch „Lüpisse“ genannt, schäumen selbstverständlich.
Intellektuelle und politisch denkende Menschen gießen kübelweise Häme und
Spott über der neuen Bewegung aus. Aber auch Erlasse von Kultusministern,
schulische Aufklärungskampagnen und warnende Fernsehspots lassen die
neolithische Bewegung nur interessanter erscheinen und befeuern deren
Zulauf. Das Klima in Europa kippt. Schon bald gibt es nur noch „wir“ und
„die“. „Wir“ sind die Neolithen, und „die“ sind alle anderen, der
Einfachheit halber „Cro-Magnons“ genannt. Cro-Magnon, neolithisch „Crrm�…
wird zum Synonym für alles, was nicht neolithisch ist.
Flüchtlingswohnheime, Moscheen, Kirchen und Klöster werden gestürmt und
geplündert. Crrms – also alle, die zufällig in der Nähe sind – werden mit
Keulen erschlagen. Antike Statuen und Hochhäuser werden zerstört und zu
Faustkeilen verarbeitet. Bibliotheken, Museen, Theater, alles muss dran
glauben: „Crrm s grrr isch Wutt tot gutt.“
Europa implodiert, die Moderne löst sich auf. Das neolithische Großreich
erstreckt sich von der Atlantikküste bis zur kasachischen Steppe, vom
arktischen Eis bis an den Bosporus.
Ein bisschen ratlos sind die Neo-Bewegten, wie man mit dem Internet umgehen
soll. Manche wollen es als Crrm abschaffen, andere möchten die Jugend durch
neolithische Onlineactionspiele an sich binden. Schließlich erklärt man das
Debis-Rechenzentrum in Frankfurt zum Hallawalla, einigt sich auf einen
Kanon neolithisch korrekter Onlinespiele und macht das Videospiel „Pong“
aus den siebziger Jahren zum Unterrichtsfach.
Schon wenige Jahre später ist, als Folge der Entcrrrrmmung, die Bevölkerung
Europas auf nur einige Hunderttausend geschrumpft. Die Menschen wohnen in
Höhlen und Jurten, das Sprach- und Denkvermögen, um alle Crrrrmanismen
bereinigt, glänzt in der Reinheit prähistorischer Mammutjäger. Die Welt ist
fast vollständig grumpfl.
Lasse Nettekoven, der Führer aus dem paläontologischen Museum Neandertal,
hat derweil eine steile Karriere hinter sich. Er wird als „Lalo“ (Lasse der
Prophet) verehrt. Man gräbt ihm zu Ehren Löcher in den Boden, füllt sie mit
Knochen und nennt sie Lalolo. Mumpfl, jener Bärtige mit dem alles begann,
zieht ins Museum und bewohnt dort fortan eine der Gipshöhlen. Er wird als
heiliger Mupfl angebetet und steigt zur zentralen Gottheit auf. Als solche
ernährt er sich von Bibern und Störchen und hat Sex, wann immer er will.
Der Rest liegt im Dunkel der prähistorischen Zukunft begraben.
16 Mar 2015
## AUTOREN
Jakob Reil
## TAGS
Steinzeit
Neandertaler
Berlin
Wahrheit
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