# taz.de -- Neues Album von Sufjan Stevens: Kreuz ohne Schatten | |
> Der Singer-Songwriter Sufjan Stevens versucht auf seinem Album „Carrie & | |
> Lowell“ den Tod seiner Mutter zu verstehen. Er hat sie kaum gekannt. | |
Bild: Sufjan Stevens schreibt auf „Carrie & Lowell“ Songs als Trauerarbeit. | |
Sufjan Stevens hätte allen Grund gehabt, zornige Musik zu machen: Songs | |
voller Vorwürfe und Anklagen, eine späte Abrechnung in Albumlänge. Seine | |
Mutter, Carrie Stevens, hat die Familie verlassen, als Sufjan ein Jahr alt | |
war. Aufgewachsen ist der Singer-Songwriter mit seinem Vater und den | |
Brüdern, seine Mutter hat er kaum gesehen. | |
Carrie Stevens war depressiv, nahm Drogen, wurde alkoholabhängig. Im | |
vergangenen Jahr ist sie gestorben. Aber Sufjan Stevens hat kein wütendes | |
Album über sie gemacht. „Carrie & Lowell“ ist ganz fein, vorsichtig und | |
offenherzig geworden. Songs als Trauerarbeit. | |
Die melancholischen Texte wären schwer zu ertragen, würde Stevens sie nicht | |
in einen hochkonzentrierten Sound verpacken. Vorbei die Zeit der jubelnden | |
Chöre, der sich überschlagenden Schellenkränze und süffigen | |
Streicherarrangements, die Stevens’ Sound früher geprägt haben. | |
## Jeder Ton ist bewusst gesetzt | |
„Carrie & Lowell“ ist sein bisher reduziertestes Werk geworden. Er spielt | |
zielsicher Riffs auf seiner Akustikgitarre, jeder Ton ist bewusst gesetzt. | |
Sparsame Melodien umschmeicheln die Texte und nehmen ihnen so die Schwere. | |
Geblieben ist Stevens’ Gesang, den er jetzt oft allein stehen lässt – mal | |
brüchig, mal breitwandig. Das alles ist von einer so bedrückenden, aber | |
schönen Tragik, dass man meint, da sei ein neuer Elliott Smith am Werk. | |
Sufjan Stevens hat sein Debütalbum 2001 veröffentlicht, lange bevor | |
akustische Gitarren und sopranesker Männergesang en vogue waren. Hinter | |
jedem seiner Alben steht ein Masterplan. Sein Debüt handelte von Tieren im | |
Chinesischen Horoskop. | |
Danach verfolgte er die größenwahnsinnige Idee, jedem US-Bundesstaat ein | |
Konzeptalbum zu widmen. „Michigan“ (2003) und „Illinois“ (2005) hat er | |
verwirklicht. Und die Singleauskopplung „Chicago“ hat ihn damals | |
international bekannt gemacht. Weiter kam er bisher nicht, auch wenn | |
„Carrie & Lowell“ durchaus als Hommage an den Bundesstaat Oregon verstanden | |
werden kann, in dem Stevens als Kind einige Zeit mit seiner Mutter | |
verbracht hat. | |
## Erinnerungen an seine Mutter | |
Eigentlich, so erklärte Stevens gegenüber dem Onlinemagazin Pitchfork, | |
seien das die einzigen Erinnerungen an seine Mutter. | |
Nun, Jahrzehnte später, versucht Sufjan Stevens, dieser Frau eine Stimme | |
und ein Gesicht zu geben. Auf „Carrie & Lowell“ schlüpft er mehrmals in | |
ihre Rolle und spricht aus ihrer Perspektive – zumindest so, wie er sie | |
sich vorstellt. „I’m sorry I left / But it was for the best / Though it | |
never felt right“, singt er da etwa. Ein Sohn, der versucht, seine Mutter | |
zu verstehen. | |
Stevens hat unter der Trennung gelitten, noch heute hört man in seiner | |
Stimme den Schmerz. In der Zeit nach ihrem Tod habe er sich nach Exzessen | |
gesehnt, hat Stevens Pitchfork erzählt. Auf dem Album gibt er diesen | |
Gedanken Raum, singt von Selbstmordgedanken und Gewaltfantasien. „Again | |
I’ve lost my strength completely / Oh be near me“, fleht er im Auftaktsong | |
„Death with dignity“. | |
## Religiöse Anspielungen | |
Er tut das nie anklagend, seine Stimme klingt melancholisch. In den Texten | |
klingen Demut und Verzeihen an, aber auch – und nicht zum ersten Mal bei | |
Stevens – religiöse Anspielungen. „Jesus I need you be near me“, singt e… | |
Ein Song heißt „No Shade in the Shadow of the Cross“, nicht einmal das | |
Kreuz spendet ihm den heilsamen Schatten. | |
Manchmal fühlt man sich beim Zuhören wie ein Eindringling, der ein | |
Zwiegespräch zwischen Mutter und Sohn belauscht oder heimlich Tagebuch | |
liest. Wie fühlt es sich erst an, wenn Stevens über intime Gefühle, für die | |
viele noch nicht einmal Worte finden, vor großem Publikum singt? In den | |
Texten wird der zweite Part des Albumtitels: „Lowell“ ausgespart. Es ist | |
ein Mann, der für einige Zeit mit Carrie zusammen war und für Sufjan zum | |
Vaterersatz wurde. | |
Auf dem Album ist ihm keine einzige Zeile gewidmet, nur das Cover gibt | |
Aufschluss, – es zeigt ein Familienfoto von Carrie und Lowell. Bis heute | |
steht Sufjan ihm allerdings sehr nah: Er ist Chef von Asthmatic Kitty | |
Records, dem Label, das Stevens’ Musik veröffentlicht. | |
12 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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90er Jahre | |
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