# taz.de -- Nationalismus in Indien: Da brannte die Kirche lichterloh | |
> Seit dem Wahlsieg Modis häufen sich Angriffe auf religiöse Minderheiten | |
> in Indien. Extremisten wollen das Land in einen Hindustaat verwandeln. | |
Bild: 80 Prozent der Inder sind Hindus. | |
DELHI taz | Langsam schreitet der Priester Anthony Francis in Richtung | |
Altar. Glasscherben zerbrechen unter seinen Sohlen. Mühsam steigt er über | |
verkohlte Holzbalken. An der Kopfseite des Kirchenschiffs hängt Jesus | |
Christus am Kreuz, sein schmächtiger Körper ist verkohlt, Arme und Beine | |
verbrannt. Die Augen von Pfarrer Francis blicken auf das, was von seiner | |
Kirche übrig geblieben ist. Was er sieht, kann er kaum in Worte fassen. | |
Immer wieder versagt ihm die Stimme, seine Sätze enden im Nichts. „Schauen | |
sie … Schauen Sie …“ | |
In der Sankt-Sebastian-Kirche im Osten Delhis sind die Innenwände bis unter | |
die Decken kohlschwarz verbrannt, von den Heiligen-Skulpturen sind nur | |
Aschehäufchen geblieben. „Das war kein Unfall“, sagt Pfarrer Francis, „Es | |
war ein gezielter Anschlag auf unsere Kirche, auf uns Christen und auf | |
unseren Glauben.“ | |
Es ist kurz vor 19 Uhr, draußen senkt sich langsam die Dunkelheit über die | |
kleine katholische Kirche in Delhis Bezirk Dilshad Garden. Ungefähr zur | |
selben Zeit hatte Pfarrer Francis auch am 30. November 2014 seine Kirche | |
verlassen. Es war ein Sonntag, wie so oft waren auch an jenem Tag die dicht | |
aufgestellten Kirchenbänke voll besetzt. Am nächsten Morgen sollte Pfarrer | |
Francis im Nachbarbezirk predigen. Doch alles kam anders. | |
Frühmorgens rief der Wachmann seiner Kirche an und sagte, es sei ein | |
kleines Feuer ausgebrochen, das er löschen wolle. Als Pfarrer Francis kurze | |
Zeit später ankam, brannte das Kirchenschiff bereits lichterloh. Es roch | |
nach Kerosin. Das war am 1. Dezember 2014. Der Übergriff auf die | |
Sankt-Sebastian-Kirche blieb kein Einzelfall. Allein in Delhi kam es | |
innerhalb von wenigen Wochen zu fünf Angriffen auf christliche | |
Einrichtungen. Mal wurde Feuer gelegt, mal warf ein Unbekannter während der | |
Messe einen Stein durch das Fenster. Im Westen Delhis wurde eine | |
Marienstatue vom Sockel gestoßen, Fenster wurden eingeschlagen. | |
Im Süden der Stadt drangen Unbekannte in die Sakristei einer Kirche ein, | |
öffneten den Tabernakel und warfen die Hostien auf den Boden. Weil in jenem | |
Fall auch ein DVD-Spieler gestohlen wurde, untersucht die Polizei den Fall | |
als „Diebstahl“ und „Einbruch“. | |
## Eine geeinte Hindu-Nation | |
Schon in der Vergangenheit gab es vereinzelt Übergriffe auf Kirchen, doch | |
seit dem Wahlsieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) | |
bei der indischen Parlamentswahl im Mai 2014 haben die Vorfälle zugenommen. | |
„Wir Christen fühlen uns unsicher, unser Glaube ist in Gefahr“, sagt der | |
Erzbischof von Delhi, Anil Joseph Thomas Couto. | |
Laut dem offiziellen Zensus von 2001 leben etwa 24 Millionen Christen in | |
Indien, sie machen rund 2,3 Prozent der Bevölkerung aus. In der Hauptstadt | |
sind es sogar nur 0,4 Prozent der Einwohner. Trotzdem sind sie damit nach | |
dem Hinduismus (80,5 Prozent) und dem Islam (13,4 Prozent) die drittgrößte | |
Glaubensrichtung auf dem Subkontinent Indien. „Das Ziel der aktuellen | |
Regierung und der einflussreichen Hindu-Gruppen ist Hindutva. Das sagen sie | |
ganz offen“, sagt Erzbischof Couto. | |
Hindutva ist ein politisches Konzept mit dem Ziel, eine geeinte | |
Hindu-Nation (wieder)herzustellen. Die Anhänger der Bewegung sind der | |
Meinung, dass alle Menschen ursprünglich Hindus gewesen seien, einige im | |
Verlauf der Jahre durch Fehlentwicklungen aber zu einer anderen Religion | |
übergetreten seien. Durch die Kampagne „Ghar wapsi“ (Heimkehr) wollen sie | |
die „Fehlgeleiteten“ nun zurück in die Hindu-Gemeinschaft holen. | |
## Andersgläubige als Bastarde beschimpft | |
Auf ihrer Mission kennen sie kaum Grenzen: So beschimpfte die Ministerin | |
für Lebensmittelindustrie unlängst Andersgläubige in Indien als Bastarde. | |
Der bekannte Hindu-Gelehrte Vasudevanand Saraswati forderte vor einigen | |
Wochen Hindus auf, selbst im Privatleben an den eigenen Machterhalt zu | |
denken. „Dank der Einigkeit der Hindus ist Modi Ministerpräsident geworden. | |
Um ihre Mehrheit zu wahren, sollte jede Hindu-Familie zehn Kinder haben“, | |
sagte er. Die hinduistische Jugendorganisation Bajrang Dal fordert | |
Hindu-Männer auf, gezielt Christinnen und Musliminnen zu heiraten, damit | |
diese konvertieren. | |
Immer wieder wird in verschiedenen Teilen des Landes von | |
Massenkonvertierungen berichtet, bei denen Tausende Muslime und Christen in | |
die „Familie der Hindus“ zurückgeholt werden, meist unter Zwang. Die | |
Organisation Hindu Jagran Saniti hingegen verspricht freiwilligen | |
Konvertiten ein Haus. Einer ihrer Funktionäre kündigte an, 2021 werde | |
Indien wieder ein reiner Hindu-Staat sein. | |
Der Erzbischof von Delhi blickt mit Sorge auf den Umgang der regierenden | |
Hindu-Partei mit den Minderheiten in Indien. „Es geht nicht nur um uns | |
Christen, auch Muslime, Sikhs, Jains oder Parsen werden attackiert.“ | |
Hindutva stehe klar im Gegensatz zur indischen Verfassung, in der allen | |
Glaubensrichtungen die freie Ausübung ihrer Religion garantiert wird. Doch | |
die Wirklichkeit sei eine andere, beklagt Couto. „Der säkulare Charakter | |
Indiens ist in großer Gefahr.“ | |
Seit seinem überwältigenden Wahlsieg im Mai 2014 gilt Premierminister Modi | |
als der starke Mann Indiens. Schon vor seinem Wahlsieg hatten viele vor | |
einem Anstieg religiöser Gewalt gewarnt, schließlich stammt Modi aus der | |
einflussreichen Hardliner-Gruppe Rahtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Die | |
„Nationale Freiwilligenorganisation“ setzt sich vehement für die Dominanz | |
der Hindus in Indien ein und gilt als ideologische Speerspitze der | |
Regierungspartei BJP. | |
Während sich die Minderheiten in seinem Land bedroht fühlten, schwieg der | |
Regierungschef lange Zeit zu diesem Thema. „Wir haben ihn mehrfach | |
aufgefordert, seinen Truppen Einhalt zu gebieten, sie zurückzurufen und die | |
Religionsfreiheit in Indien zu verteidigen“, sagt Couto. So mancher glaubte | |
darin die stille Zustimmung Modis zu sehen. | |
## Heer religiöser Hardliner | |
Doch Indiens Premierminister hat sein Schweigen gebrochen. Im Parlament | |
sagte Modi: „Niemand hat das Recht, andere wegen ihrer Religion zu | |
diskriminieren.“ Er werde alles unternehmen, um die Religionsfreiheit in | |
Indien zu sichern. „Meine Regierung hat nur eine Religion – Indien zuerst. | |
Und nur eine Ideologie: Indien und die Verfassung über alles.“ | |
Erzbischof Couto ist dennoch misstrauisch. Aus seiner Sicht habe Modi nur | |
aus machtpolitischen Gründen gehandelt und auf die krachende Niederlage | |
seiner Partei bei der Wahl in Delhi Anfang Februar reagiert. Dort konnte | |
die Partei des Premierministers gerade einmal drei Sitze erringen. | |
Haushoher Sieger war die Aam Aadmi Partei von Arvind Kejriwal, die 67 von | |
70 Sitzen gewann. „Kejriwal hat sich deutlich für das friedliche | |
Miteinander aller Glaubensrichtungen in Indien ausgesprochen“, sagt Couto. | |
„Die indischen Wähler haben Modi gezeigt, dass sie keinen Kampf der | |
Religionen wollen.“ | |
Viele loben Modis Rede hingegen als ein „großes innenpolitisches Signal“ an | |
die Minderheiten in Indien. Was auf den ersten Blick wie eine | |
Selbstverständlichkeit wirkt, ist für Modi ein gewagtes Manöver: Mit seinem | |
klaren Bekenntnis stellt er sich gegen das religiöse Establishment, auf | |
dessen Unterstützung er angewiesen ist. Alles deutet auf einen Machtkampf | |
um die ideologische Deutungshoheit hin: Narendra Modi hat sich vorerst als | |
Pragmatiker positioniert, ihm gegenüber steht ein breites Heer religiöser | |
Hindu-Hardliner. Sie haben bereits angekündigt, ihre Kampagne fortzusetzen. | |
13 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Radunski | |
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