# taz.de -- Kafka im Ballett: Josef K. tanzt gegen den Apparat an | |
> Choreograf Mauro Bigonzetti hat Kafkas „Der Prozess“ in der Staatsoper | |
> Hannover in ein gefälliges Tanzstück verwandelt und sich dabei weit von | |
> der Vorlage entfernt. | |
Bild: Aufgeladener Tanz inmitten von Akten: erotische Begegnung zwischen Josef … | |
HANNOVER taz | In einem Gewand aus Zeitungspapier tritt sie auf. Verführt | |
sie Josef K.? Ist sie die Anklage, die Schuld, das ausstehende Urteil? Die | |
im Programmheft unglücklich Newspaper Girl genannte Solistin Steffi | |
Waschina ist die spannendste, weil rätselhafteste Figur in der | |
Kafka-Adaption des italienischen Choreografen. Eine Truhe zieht sie hinter | |
sich her, quer über die Bühne. Josef K. verweigert sie den Einblick. | |
Das mystisch inszenierte Zeitungsmädchen mit der silbernen Krone verknüpft | |
die neun Szenen: Sie ist dabei, als K. angeklagt wird, und sie ist im | |
Zimmer des Malers. Immer wieder versucht K., sich ihr zu nähern. Oder ist | |
sie es, die ihn sirenenhaft in die auswegslosen Mühlen dubioser Wärter, | |
Gerichtsdiener und Vollstrecker lockt? | |
Bei der Premiere von „Der Prozess“ an der Staatsoper Hannover überzeugt der | |
Tänzer Denis Piza als Protagonist Josef K. ab der ersten Szene. Die Anklage | |
gegen ihn wird hier von drei grau behüteten Herren in eleganter | |
Synchronizität vollzogen. K.s Ringen um Macht und Ohnmacht bekommt bereits | |
hier eine Poesie. Leider schafft die Inszenierung es aber nicht, diese | |
konsequent über den neunzigminütigen Abend zu halten. | |
Das vielköpfige, durchweg solide Ensemble verkörpert die Angestellten der | |
Bank. An Tischen sitzen sie und vollziehen stupide ihren rhythmischen | |
Kreislauf von Gesten. Ihre immer gleiche Routine, die das Individuum in der | |
Masse verschwinden lässt. Nur K. sticht heraus, sucht nach Bedeutung, | |
kämpft an gegen die Willkür der Gesellschaft, des Apparats, dem er qua | |
seiner Verhaftung ausgeliefert zu sein scheint. Dabei bleibt er | |
selbstbewusst. Doch nicht nur seine Körperlichkeit legt aktiven Widerstand | |
gegen das Gericht nahe. Denis Piza zeigt eine verzweifelte, doch bestimmte | |
Rebellion eines Individuums gegen das Übermächtige, das in Kafkas Fragment | |
nicht so deutlich und niemals eindeutig wird. Schließlich geht dieser in | |
der Romanvorlage freiwillig, teilweise gar unaufgefordert zu den | |
Gerichtsterminen. K. selbst wählt die Ohnmacht und ergibt sich letztendlich | |
in sie. | |
## Von Buxtehude bis Monteverdi | |
Getanzt wird zeitgenössisch. Die wenigen SolistInnen bewegen sich reduziert | |
und in klaren Schemata, ohne dem Rätselhaften Raum zu lassen: Kommissare | |
verhaften, Wäscherinnen waschen, K. verzweifelt. Ausschnitte aus Henryk | |
Góreckis dritter Sinfonie der Klagelieder bilden einen düsteren Rahmen, den | |
der 54-jährige Bigonzetti mit italienischen Wiegenliedern von Tarquinio | |
Merula und Alter Musik von Buxtehude bis Monteverdi anreichert. Der | |
Kontrast zwischen der Musik aus dem 16. Jahrhundert zu gegenwärtiger | |
Tanzkunst bildet einen überraschend runden Bogen. Obwohl in der | |
Musikauswahl scheinbar weder ein inhaltlicher, noch ein stilistischer Bezug | |
zum Roman hergestellt worden ist. | |
Schwarzweiß ist die Ästhetik der Produktion, das Bühnenbild wird von | |
Grautönen bestimmt. Das Großraumbüro in der Bank bekommt durch eine | |
Fluchtpunktprojektion eine erschreckend einengende, weil endlos scheinende | |
Tiefe. Ein mächtiges Portal am hinteren Ende der Bühne verstärkt diesen | |
Eindruck. Leider lässt Bigonzetti die Möglichkeiten jenes Tores – womöglich | |
die Pforte zum Gericht; die Schwelle zwischen Schuld und Unschuld – nicht | |
ausspielen. Die Videoprojektionen werden überstrapaziert: Im Zimmer des | |
Malers brechen plötzlich blutrote und kanariengelbe Farbflüsse durch das | |
bis dahin konsequent farblose Licht und Videodesign. Auch der kolossale | |
Dom, der an die Wand geworfen wird, ist unnötig, zumal die Szene im Dom, in | |
der K. die Türhüterparabel erzählt wird, hier gänzlich fehlt. | |
## Obskure Verstrickungen | |
Seine erotischen Begegnungen stellen hingegen einen wichtigen Bestandteil | |
der Inszenierung dar. Neben dem immer wiederkehrenden Newspaper Girl und | |
einem gelungen aufgeladenen Tanz zwischen den Akten, erfindet Bigonzetti | |
Wäscherinnen, die dem Protagonisten mit ihren Waschbrettern den Takt | |
schlagen, ihn verführen, ihn bedrängen. Spätestens hier wird klar, dass der | |
Choreograf Kafkas Prozess nicht gerecht werden kann. Er hatte nie zum Ziel, | |
eine werktreue Adaption zu zeigen. Überhaupt stellt sich die Frage, ob die | |
obskuren Verstrickungen eines solch dichten Textes in die Körperlichkeit | |
des modernen Tanztheaters übersetzt werden können. Es wäre ein zu hehres | |
Ziel, alle politischen, psychoanalytischen, biografischen Deutungsversuche | |
des posthum veröffentlichten Fragments durch Ballett allein darzustellen. | |
Entsprechend wird die Inszenierung der Undurchsichtigkeit, der die | |
LeserInnen Kafkas ausgesetzt sind, nicht gerecht. Zu eindeutig ist, was die | |
Besucher in Hannover erwartet: die leere Bühne mit klaren Symmetrien, die | |
gefällige Ästhetik der Tanzenden, die Reduzierung der kafkaschen | |
Vielschichtigkeit auf einen unzweideutigen Plot, in dem Josef K. wie ein | |
Don Quijote zwecklos gegen die Mühlen eines übermächtigen Apparats kämpft, | |
denen er letztlich zum Opfer fällt. | |
Am Vorabend seines 31. Geburtstages wird K. abgeführt, um mit einem | |
Messerstich „wie ein Hund“ hingerichtet zu werden. „Die Ballett-Literatur | |
ist schon voller Messerstecher“, sagt Bigonzetti und lässt K. stattdessen | |
kurzerhand an Zeitungspapier ersticken, das das Newspaper Girl ihm in den | |
Rachen schiebt. Massen an Zeitungen regnen vom Bühnenhimmel, Piza wird wie | |
ein Spielball über den Bühnenboden gerollt, die letzten Akkorde von | |
Góreckis Klageliedern brausen auf. Dieses Ende ist alles andere als | |
kafkaesk. | |
Auch für das Newspaper Girl bietet sich keine schlüssige Erklärung an. | |
Mauro Bigonzetti betont zwar, sie „repräsentiere die Medien mit ihren | |
zahllosen Meldungen, mit ihrem enormen Einfluss“. Doch worin wurzelt diese | |
konfuse Medienkritik? Die Verknüpfung zur Romanvorlage fehlt. Das | |
Experiment, Kafka in Bewegung zu übersetzen, wurde nicht ausgeschöpft. So | |
zumindest steht es laut Bigonzetti „schwarz auf weiß geschrieben“, von | |
Zeitungsleuten, die „manchmal unbedacht, oft aber in voller Absicht Rufmord | |
verüben“. | |
## nächste Aufführungen: 15., 18. April, Staatsoper Hannover | |
13 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Kornelius Friz | |
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