# taz.de -- Wissenschaft auf der Hannover Messe: Deutschlands heimliche Science… | |
> In der Halle 2 auf der Industriemesse in Hannover stellen zahlreiche | |
> deutsche Forschungsinstitutionen ihre Projekte vor. | |
Bild: Die Wissenschaft sucht auf der Messe auch den Kontakt zu den interessiert… | |
HANNOVER taz | In Deutschland gibt es keine nationale Wissenschaftsmesse. | |
Die einzige Veranstaltung, die diese Lücke ein wenig zu schließen vermag, | |
ist die Halle 2 „Forschung und Technologie“ auf der Hannover Messe, die | |
Feitag zu Ende geht. Wissenschaftler aus Hochschulen und | |
Forschungsinstituten der Republik suchen auf der weltgrößten Industriemesse | |
den Kontakt zur Wirtschaft. Das Modell funktioniert. | |
Mohsen Bagheri, Ingenieur an der Fachhochschule Aachen, steht am | |
Gemeinschaftsstand des Landes Nordrhein-Westfalen neben einem Modell einer | |
Windkraftanlage und ist ein bisschen nervös. In wenigen Minuten wird der | |
Wirtschaftsminister des Kohlelands, Garrelt Duin, aufkreuzen, um sich über | |
eine Innovation für die Energie aus der Luft zu informieren. | |
Bagheri hat einen Kletterroboter entwickelt, der die Wartung der riesigen | |
Rotormaschinen verbessern soll. Der Forscher zeigt auf die kleine | |
Modellkabine an einem Rotorblatt. „Heute kann die Wartung maximal in acht | |
Monaten im Jahr stattfinden und ist extrem von der jeweiligen Wetterlage | |
abhängig, was wirtschaftlich und zeitlich natürlich sehr ineffizient ist.“ | |
Der Aachener Kletterroboter Smart kraxelt mit seiner wettergeschützten | |
Kabine den Mast hoch zur gewünschten Stelle, wo die Wartungstechniker im | |
Innern mit ihren Inspektionen beginnen. „Damit können wir die Verfügbarkeit | |
steigern und sind bis zu neunmal effektiver im Vergleich zu den | |
konventionellen Methoden“, sagt Bagheri. „Wir wollen die Zukunft des | |
Windkraftservices mit dem Smart-Kletterroboter mitgestalten und | |
revolutionieren.“ | |
## Huckepack mit den Bundesländern | |
Unter ihrem markanten Dach ist die Halle 2 am Nordeingang der Hannover | |
Messe dicht bepackt mit derlei Zukunftsentwürfen für die Industrie von | |
morgen. Angewandte Forschung zeigt hier an 39 Ständen ihre Laborergebnisse, | |
die für die Wirtschaft interessant sein können: Technologietransfer im | |
Marktplatzformat. | |
Ein Großteil der Halle ist von Gemeinschaftsständen der Bundesländer | |
belegt, die ihre Hochschulen und Forschungsinstitute „huckepack“ mitnehmen. | |
Auch aus Kostengründen, die Messe ist nicht billig. 220 Euro verlangt die | |
Messegesellschaft pro Quadratmeter Ausstellungsfläche für fünf Tage. Das | |
summiert sich auf 50.000 bis 100.000 Euro, ohne Personalkosten und | |
Unterbringung. | |
An Bundesländern sind in diesem Jahr Niedersachsen, Baden-Württemberg, NRW, | |
Bayern, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und das Saarland vertreten, | |
außerdem die Fraunhofer-Gesellschaft und die Bundesministerien für | |
Forschung und Wirtschaft. Eigene Themenstände gibt es für Energie, | |
Adaptronik und Nanotechnik. Von den gut 220.000 Besuchern der Hannover | |
Messe finden etwa 50.000 auch den Weg in die Innovations-Halle 2. | |
## Kooperationen im Blick | |
Nach Meinung der Forscher lohnt sich der Aufwand. „Dieser überregionale | |
Auftritt hilft uns sehr“, sagt Maschinenbauprofessor Ulrich Berger von der | |
Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg. Der Hauptzweck liegt aus seiner | |
Sicht nicht in schnellen Drittmittel-Forschungsaufträgen aus der Industrie, | |
sondern in der „Anbahnung von Kooperationen“. | |
Auch die kommunikative Rückmeldung aus Wirtschaft sei nicht unwichtig. | |
„Öfters hören wir: Werdet verständlicher“, berichtet Berger. | |
Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer schätzt die internationalen | |
Kontaktmöglichkeiten. „Vorhin hatte ich ein Treffen mit Forschern aus | |
Taiwan“, sagt der Chef der größten anwendungsorientierten | |
Forschungsorganisation in Deutschland. „Ohne die Messeplattform wäre das | |
nicht zustande gekommen.“ Fraunhofer zeigt in Halle 2 seine Vision der | |
„Zukunftsfabrik“ und ist auch in weiteren Hallen mit Ständen zu den Themen | |
Oberflächentechnik, Simulation und maritime Technologien präsent. | |
## Die TU Berlin war die Vorreiterin | |
Wer hat’s erfunden? Die Spur führt zum Stand B33 Berlin-Brandenburg. 1982 | |
war es, als die TU Berlin erstmals einen Stand auf der Hannover Messe | |
buchte, was bald von anderen Universitäten kopiert wurde. Später kamen die | |
Wissenschaftsministerien der Länder mit Gemeinschaftsständen hinzu. „Heute | |
gibt es einen richtigen Markt für die Präsentation von Wissenschaft auf | |
Messen“, erklärt Thorsten Knoll von der TUB Servicegesellschaft, die die | |
Messeauftritte von Anfang an organisierte. | |
„Das Geschäft ist in den letzten Jahren professioneller geworden“, stellt | |
er fest. Das vorherige „trockene Schaulaufen der Wissenschaftler“ ist etwa | |
um die Vorstellung von Gründerfirmen aus der Uni ergänzt worden, die so den | |
direkten Weg zu Markt und Kunden finden. | |
Wie Technologietransfer wirkt, lässt sich Knoll zufolge auch beim Blick auf | |
die Drittmittelbilanz seiner Uni ablesen, die sich in den letzten Jahren | |
von 30 auf 140 Millionen Euro steigerte. | |
Gerd Wassenberg, der das Forum „tech transfer“ in der Halle 2 organisiert, | |
hat einen Wandel von der gesellschaftlichen Orientierung zur | |
wirtschaftlichen Nützlichkeit festgestellt. | |
„Die ersten Messeauftritte von Forschern waren noch von der Aufforderung | |
Helmut Schmidts geprägt, die Wissenschaft müsse ihren Elfenbeinturm | |
verlassen“, erinnert sich der Professor an der Westfälischen Hochschule | |
Bocholt. Dann habe in Hannover wie auch auf anderen Wirtschaftsmessen die | |
Ausrichtung auf den Innovationsbedarf der mittelständischen Unternehmen | |
immer stärker Platz gegriffen. | |
## Eine viel zu breite Zielgruppe | |
Diese erfolgreiche Ausrichtung auf die Zielgruppe der Wirtschaft ist nach | |
Meinung von Harald Kötter auch der Grund dafür, dass es keine eigenständige | |
Wissenschaftsmesse in Deutschland gibt. „Diese hätte eine viel zu breite | |
Zielgruppe anzusprechen“, bemerkt der Sprecher des Auma (Ausstellungs- und | |
Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft). Für zahlreiche potenzielle | |
Besucher wäre der Aufwand einer Fahrt zur nationalen „ScienceFair“ im | |
Verhältnis zum Nutzen zu hoch. | |
Bei einigen Forschungsmanagern steckt wahrscheinlich auch noch die | |
Schreckerfahrung der „Innovationsmesse“ in Leipzig im Hinterkopf. In den | |
späten 90er Jahren wurden die deutschen Wissenschaftsorganisationen von den | |
sie finanzierenden Bundesministerien gedrängt, auf dem Leipziger | |
Messegelände die nationale Leistungsschau der deutschen Wissenschaft | |
aufzubauen. Doch das Angebot fand kaum Interessenten. Die Aussteller | |
besuchten sich überwiegend gegenseitig. | |
[1][Die Zeit beschrieb ihren damaligen Messebesuch mit: „Reise durch | |
Absurdistan“.] Es war bis heute der Abgesang auf eine deutsche | |
Wissenschaftsmesse. | |
17 Apr 2015 | |
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## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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Hannover Messe | |
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