| # taz.de -- Die Wahrheit: Schopenhauer-Kekse | |
| > Wehe, es ist mal wieder aus: Dieses unglaublich leckere, extrem delikate | |
| > Gebäck, das sich Schopenhauer-Kekse nennt. | |
| Bild: Philosophie gestern und heute: Kant war das Bierdeckelproblem bekannt. | |
| Mit den Schopenhauer-Keksen geht das so: Am Anfang sitzt man allein zu | |
| Hause und denkt: „Mmmh, jetzt hätte ich aber Appetit auf | |
| Schopenhauer-Kekse!“ Und dann guckt man auch schon, ob nicht noch irgendwo | |
| in der Wohnung leckere Schopenhauer-Kekse zu finden sind. Sind sie aber | |
| nicht. | |
| Hat doch der Letzte, der die letzten Schopenhauer-Kekse aus der letzten | |
| Schopenhauer-Kekse-Packung genommen hat, einfach keine neuen | |
| Schopenhauer-Kekse gekauft. Das macht einen erst mal richtig unleidlich. | |
| Und weil man weiß, dass man allein wohnt, weiß man auch, dass man selbst | |
| das war mit dem Aufessen und dem Vergessen und das macht die Sache auch | |
| nicht besser. | |
| „Komm!“, sagt man sich da aufmunternd, „renn doch einfach los und hol dir | |
| neue.“ Und schon rennt man los und holt sich neue. Vorher noch Schuhe und | |
| Jacke anziehen und dann geht’s ab. Geht dann aber doch nichts ab. | |
| Schopenhauer-Kekse sind nämlich beim Supermarkt um die Ecke gerade | |
| ausverkauft. „Sind aber bestellt! Müssten morgen wieder da sein“, | |
| versichert der Filialleiter leutselig. Das macht die Schopenhauer-Keks | |
| jetzt aber auch nicht fett. Muss man eben den Bus nehmen und zum | |
| Kekse-Center in der Hegelstraße fahren. Geht ja immerhin um | |
| Schopenhauer-Kekse. | |
| Während man so auf den Bus wartet, entdeckt man an der Haltestelle | |
| plötzlich eine alte Frau mit Schopenhauer-Keksen. Ein gezielter Tritt, ein | |
| geübter Griff und schon wäre man die alte Frau los und im Besitz der Kekse. | |
| Macht man aber nicht. Aus Mitleid. Weiß man doch nur zu genau, wie das wäre | |
| als alte Frau, und plötzlich schlägt und beraubt jemand einen, alles nur | |
| wegen der Schopenhauer-Kekse. | |
| „O, ich sehe gerade, Sie essen Schopenhauer-Kekse. Wo haben Sie die denn | |
| her?“, fragt man stattdessen freundlich. „Vom Kiosk!“, antwortet die Alte | |
| herzhaft mampfend, „sind doch jetzt Schopenhauer-Kekse-Wochen da.“ Und | |
| gleich sind der Bus und das Kekse-Center in der Hegelstraße vergessen, und | |
| schon steht man am nächsten Kiosk, eine Vorratspackung Schopenhauer-Kekse | |
| kaufen. | |
| Wieder zu Hause, ist die Freude groß: Schuhe und Jacke werden gar nicht | |
| erst ausgezogen, einfach nur aufs Sofa gesetzt und Schopenhauer-Kekse | |
| gegessen. Das ist es. Und dann, als man den letzten Schopenhauer-Keks | |
| gerade verspeist und mit dem befeuchteten Zeigefinger auch noch die letzten | |
| Krümel der Schopenhauer-Kekse aufgelesen und dann abgeleckt hat, | |
| beschleicht einen plötzlich so ein Gefühl der Leere. „Das soll alles | |
| gewesen sein?“, denkt man. Fast fühlt man sich ein bisschen betrogen und | |
| gar nicht erfüllt, wie man das doch so gern hätte. | |
| Da nützt es auch nichts, dass plötzlich der Nachbar hereinschneit und ruft: | |
| „Guck mal, ich habe eine Packung Schopenhauer-Kekse mitgebracht!“ | |
| Schopenhauer-Kekse! Pah! Der Nachbar kann wirklich froh sein, wenn er in | |
| Zukunft noch mein Freund ist. Und dann, nachdem der Nachbar wieder gegangen | |
| ist, fühlt man sich noch ein bisschen leerer und unerfüllter. So ist das | |
| mit den Schopenhauer-Keksen. Zum Glück sind noch ein paar | |
| Nietzsche-Biskuits da. | |
| 22 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Ullrich | |
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