# taz.de -- Rätselhaftes: „Vielleicht ist das etwas Deutsches“ | |
> Stefan Heine beliefert seit Jahren Zeitungen und Zeitschriften mit | |
> Rätseln. Dass das Zahlenrätsel Sudoku nach Deutschland kam, ist auch ihm | |
> zu verdanken. | |
Bild: Rätsel lösen zu wollen unterscheidet den Menschen vom Tier: Glaubt zumi… | |
taz: Herr Heine, warum rätselt der Mensch? | |
Stefan Heine: Dazu habe ich eine wilde These. Das Rätselmachen und -lösen | |
ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Tier und Mensch. Das ist | |
bestimmt nicht der einzige Unterschied, aber ein wichtiger. Das Reh will ja | |
nicht wissen, was hinter dem Wald ist. Es entwickelt keine Werkzeuge oder | |
stellt seine Ernährung um. Aber das ist ja das, was der Mensch macht. Und | |
alles, was man noch nicht weiß, ist ein Rätsel. Wenn man nicht weiß, wie | |
man eine Nuss aufkriegt, und man nimmt einen Stein und haut sie auf, hat | |
man ein Rätsel gelöst. | |
Das können manche Tiere aber auch. | |
Aber nicht in dem Maße, wie ein Mensch das kann. Neugier ist beim Rätseln | |
auch sehr wichtig. Und beim Sudoku ist es auch so, dass es darum geht, dass | |
man es voll macht. Vielleicht ist das etwas Deutsches, dass man Ordnung ins | |
Chaos bringt und dass man etwas fertig bringt. Auch beim Kreuzworträtsel | |
ist es oft so, dass ein Wort fehlt. Das macht unzufrieden. | |
Was macht denn ein gutes Rätsel aus? | |
Dass es Spaß macht, dass es eindeutig ist, dass man es lösen kann. Und | |
klar, beim Kreuzworträtsel, was ja eigentlich Schwedenrätsel heißt, da gibt | |
es ein paar Sachen: Erst mal muss der Wortschatz nett sein, es dürfen keine | |
doofen Fragen sein. Es muss eine gute Mischung sein aus Synonymen und | |
Wissen. | |
Wie wird man Rätselmacher? | |
Ich bin durch Zufall dazu gekommen. Ich hatte ein Marktforschungsinstitut | |
und eines Abends waren wir zum Grillen bei der Mutter meines Partners. Sie | |
erzählte, dass sie ihren Kummerkasten eingestellt hatte. Sie hatte diesen | |
Kummerkasten sieben Jahre für ein Anzeigenblatt geschrieben. Da haben Leser | |
Fragen gestellt und sie hatte immer recht lange geantwortet, das war schön | |
zu lesen. Ich fragte sie, warum sie die Texte nicht auch anderen Zeitungen | |
anbietet. Und sie sagte: „Ich höre ja auf, weil ich keine Zeit mehr habe.“ | |
Und dann haben mein Partner und ich uns überlegt, dass wir das einfach mal | |
ausprobieren. | |
Was ausprobieren? | |
Diese Texte zu verkaufen. Wir haben uns dann die Adressen von etwa 700 | |
Anzeigenblättern besorgt, eine kleine Firma gegründet, eine Faxantwort | |
gestaltet und ein Muster rausgeschickt und waren ganz erstaunt, dass wir | |
nach einer Woche drei Abonnenten hatten, die das veröffentlichen wollten. | |
Aber wie kommt man vom Kummerkasten zum Rätsel? | |
Als das ein Erfolg zu werden drohte, meinte meine damalige Freundin: „Oh, | |
da fange ich doch an, Horoskope zu schreiben, vielleicht wollen die das ja | |
auch haben.“ Diese Horoskope haben wir dann mit angeboten und sie wurden | |
noch viel mehr gebucht. Wir haben uns dann überlegt, was wir den Zeitungen | |
und Zeitschriften noch zuliefern können, und Rätsel waren naheliegend. Dann | |
kam noch das Fernsehprogramm dazu und neue Videokassetten, die herauskamen, | |
CDs, Wetter und all so ein Krempel. | |
Das lief? | |
Ja, sehr gut sogar. Und irgendwann habe ich das Marktforschungsunternehmen | |
verkauft und diese Firma ganz übernommen. Ich habe nur die Rätsel behalten | |
und den ganzen anderen Kram beendet. Das ist jetzt 20 Jahre her. Seitdem | |
mache ich Rätsel. | |
Für wie viele Zeitungen in Deutschland? | |
So ungefähr 400. Und nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo deutsch | |
gesprochen wird, also auch für Chile oder Gran Canaria. Wie viele Rätsel | |
das genau sind, kann ich nicht sagen, so an die tausend … | |
Und bekommen alle die gleichen Rätsel? | |
Nein, seit man Rätsel am Computer machen kann, ist das nicht mehr so. Es | |
ist für uns einfacher, das immer wieder neu zu machen, anstatt zu schauen, | |
wo das Rätsel schon mal drin war. Dazu kommt die Problematik, dass wir | |
kontinuierlich am Wortschatz arbeiten. Zum Beispiel war Philipp Lahm bis | |
vor kurzem Nationalspieler, nun ist er eben ehemaliger Nationalspieler. | |
Muss man eigentlich schlau sein, um ein gutes Kreuzworträtsel zu lösen? | |
Nein, so viel Wissen braucht man gar nicht, das meiste sind Synonyme, auch | |
viele Abkürzungen sind dabei, man braucht oft ein sehr viel spezielles | |
Kreuzworträtselwissen. Es gibt so ein paar Klassiker wie den | |
südamerikanischen Goldhasen oder den Schutzapostel der Grönländer, den | |
spanischen Grenzfluss oder den germanischen Wurfspeer. Das sind Worte, mit | |
denen man im allgemeinen Leben gar nichts zu tun hat, die man aber in jedem | |
Kreuzworträtsel wiederfindet und die jede Oma aus dem Effeff dort einträgt. | |
Wie hat sich das Rätselmachen verändert, seit Sie anfingen? | |
Früher hat man Schwedenrätsel noch mit der Hand gemacht, zumindest zum | |
großen Teil, und ich kann nicht behaupten, dass mir das eine große Freude | |
war. Heute machen wir das meiste mit dem Computer. | |
Lösen Sie selbst noch Rätsel? | |
Na klar, ich muss zum einen kontrollieren, was ich tue, und da ich seit | |
fast zehn Jahren ehrenhalber die Rätsel der Deutschen Sudoku-Meisterschaft | |
mache, muss ich sie auch lösen können und gucken, ob die gut sind und ob | |
sie Spaß machen. | |
Sie gelten als derjenige, der Sudoku nach Deutschland gebracht hat. Stimmt | |
das? | |
Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich habe ordentlich dazu beigetragen. | |
Ich habe Sudoku schon 1999 im Programm gehabt und der Hype war 2005. Ohne | |
diesen Hype, der im Ausland entstanden ist, wäre Sudoku nie nach | |
Deutschland gekommen. | |
Was ist denn der Suduko-Hype? | |
Ein Freund aus London rief mich damals an und sagte: „Komm mich besuchen | |
und guck dir mal an, was hier passiert.“ Das war Ende 2004 oder Anfang 2005 | |
und er sagte: „Die Leute sind nicht ganz dicht. In Bus und Bahn ist es | |
überall still, sie sitzen über Büchern und Zeitschriften und rätseln, | |
irgend so ein komisches Zahlenrätsel.“ Und dann bin ich gleich | |
rübergeflogen und war in einem Frühstücksladen. Da waren 15 Leute inklusive | |
der Bedienung und – kein Witz – es war totenstill. Alle, auch die | |
Bedienung, haben Sudoku gelöst. Und im Februar waren die Rätsel im Guardian | |
und in anderen überregionalen Tageszeitungen, nur in Deutschland war noch | |
nichts davon zu spüren. | |
Und wie schwappte das zu uns? | |
Ich habe dann meine Kunden alle angerufen und gesagt: „Hier gibt es ein | |
neues Rätsel und das wird auch in Deutschland beliebt werden.“ Und die | |
sagten dann so: „Nee, lass uns in Ruhe, wollen wir nicht.“ Und zwei Monate | |
später, als alle anfingen, darüber zu berichten, da riefen sie wieder an | |
und sagten: „Herr Heine, wir brauchen dringend so ein japanisches Rätsel.“ | |
Und so ging es auch hier los. | |
Und nun gibt es sogar Weltmeisterschaften. | |
Im Winter 2005 habe ich zusammen mit der BZ in Berlin die erste deutsche | |
Sudoku-Meisterschaft ausgerufen, die war damals noch sehr klein und war | |
eigentlich eine kleine Berlin-Meisterschaft. | |
Wie funktioniert so eine Meisterschaft? | |
Das geht online los, mit einem Vorentscheid, also einer Qualifikation. Und | |
die Besten aus diesem Wettbewerb werden dann eingeladen in die Endrunde. | |
Die ist dieses Jahr sogar mal in Hamburg. | |
Und die Rätsel machen Sie? | |
Ja, seit ein paar Jahren mache ich sie mit einem guten Rätselmacher aus | |
Holland zusammen. | |
Selber mal mitgemacht? | |
Ne. Oh Gott, neee. | |
Warum nicht? | |
Weil ich viel zu langsam bin. Das sind Nerds, die sind alle sehr speziell. | |
Mir sind diese Menschen sehr angenehm und das ist jetzt meine zehnte | |
Weltmeisterschaft, zu der ich fahre. Aber manche haben schon autistische | |
Züge, oder rennen weg, wenn man sie anspricht. Ich trainiere aber die | |
deutschen Teilnehmer. | |
Wie kann man sich so ein Training vorstellen? | |
Zwei Wochen vor Beginn einer Meisterschaft wird bekanntgegeben, was für | |
Rätsel dabei sein sollen, also spezielle Sudokus. Und dann muss ich mir | |
Sudokus ausdenken und die Teilnehmer lösen die. | |
Sitzen Sie dann mit den Teilnehmern in einem Zimmer und rätseln? | |
Ja, letztes Jahr war das so. Eigentlich müssen das die Teilnehmer nicht | |
zusammen machen, weil ich denen ja die Rätsel maile, und dann übt jeder | |
hoffentlich alleine für sich. Aber es gibt auch Teamrunden, die gemeinsam | |
gelöst werden müssen. Und da muss man lernen, wie man innerhalb des Teams | |
kommuniziert, weil man nicht sprechen und keine Notizen machen darf. So | |
etwas kann man trainieren. | |
Sie sind also der Nationaltrainer des Sudoku? | |
Richtig. Der Jogi Löw des Sudoku. | |
Gibt es einen Starkult um Sie? | |
Nein. Die Teilnehmer wissen ja alle, dass ich die Sudokus nicht so schnell | |
lösen könnte wie sie selbst. Da gibt es kein jubelndes Publikum, das ist | |
eher eine Nerd-Veranstaltung. Wenn der Wettbewerb losgeht, gibt es für mich | |
nicht mehr viel zu tun. Ich sitze dann mit den anderen Captains rum und | |
tausche mich über Rätsel aus: Was läuft gut in Usbekistan? | |
Sind Sie in Deutschland der Rätsel-Monopolist und können Ihre Preise selbst | |
diktieren? | |
Nein, das wäre schön. Es gibt hier drei bis vier große Rätsel-Firmen und | |
so, wie es den Tageszeitungen gerade so geht, ist es nicht so, dass ich da | |
die Preise hochfahren könnte, eher im Gegenteil. Und auch online verdient | |
man mit Rätseln kein Geld, da gibt es viel zu viele Anbieter. | |
Aber Sie können davon leben? | |
Ja, allerdings nicht von der Meisterschaft, die kostet. | |
Echt? | |
Ja, das ist mein Hobby und ich mache das auch wegen der Reputation. Das | |
macht mir total viel Spaß. Das ist wie eine Familie, da treffen sich 300 | |
Idioten in der Pampa und haben Spaß. | |
Was ist Ihre genaue Berufsbezeichnung? | |
Rätselmacher. Aber ich mache das nicht alleine, ich habe drei Angestellte, | |
die das mit mir zusammen machen, ich sitze nicht allein in einem kleinen | |
Kämmerchen. | |
Wird man damit reich? | |
Nein. Aber Freiheit ist ja auch ein Reichtum. Ich kann das hier machen, | |
oder in unserem Wochenendhäuschen, ich verdiene nicht schlecht, bin | |
zufrieden damit, aber meine Frau arbeitet auch. Ich kann mein Leben aber | |
trotz 60-Stunden-Woche so gestalten, dass ich meine Kinder viel sehe und | |
dass es mir viele Freiheiten bietet. | |
1 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Annika Stenzel | |
## TAGS | |
Rätsel | |
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