# taz.de -- Irlands einzige Seilbahn: Dreißig Meter über dem Meer | |
> Dursey ist bei schwerer See nur mit einer alten Seilbahn zu erreichen. | |
> Für Touristen ist die Fahrt über den 375 Meter breiten Sund ein | |
> besonderes Abenteuer. | |
Bild: Etwas Mut gehört dazu, die Seilbahn nach Dursey Island zu besteigen. | |
Besonders vertrauenserweckend sieht der Stahlkasten nicht aus. Links und | |
rechts ist jeweils eine Bank für drei Personen angeschraubt, links oben | |
befindet sich eine Gegensprechanlage: „Im Notfall drücken Sie den silbernen | |
Knopf und sprechen mit der Bedienungsperson.“ | |
Um sicherzugehen, dass dieser Notfall nicht eintritt, hängt darunter eine | |
Weihwasserflasche und der Psalm 91: „Ob Tausend fallen zu deiner Seite und | |
Zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Du wirst | |
sehen und schauen, wie den Gottlosen vergolten wird. Denn der HERR ist | |
deine Zuversicht.“ | |
Der Kasten ist die einzige Seilbahn Irlands. Sie verbindet die Spitze der | |
Beara-Halbinsel in der südirischen Grafschaft Cork mit der Insel Dursey. | |
Paddy Sheehan, ein kleiner Mann mit grauen Haaren, ist seit 21 Jahren für | |
den Betrieb der Seilbahn zuständig. Der 55-Jährige ist auf Beara geboren. | |
In der Nähe der Seilbahnstation führt er mit seiner Frau Agnes eine kleine | |
Pension mit dem passenden Namen „Windy Point“. | |
Stürmisch ist es in der Gegend oft, doch erst bei Windstärke 8 kann die | |
Seilbahn nicht mehr fahren. „Wenn der Wind dann aus dem Westen kommt, | |
könnte er die Gondel anheben, sodass sie aus der Trosse springt“, sagt | |
Sheehan. Die Gondel ist vor ein paar Jahren ausgetauscht worden, die | |
Originalgondel steht im Garten eines Bauernhauses hundert Meter die Straße | |
hinauf und dient als Hühnerstall. | |
„Im Grunde müsste man die ganze Anlage generalüberholen und eine größere | |
Gondel anschaffen“, meint Sheehan. „Es passen ja nur sechs Menschen hinein, | |
und voriges Jahr hatten wir 9.000 Besucher. Viele konnten gar nicht | |
mitfahren.“ Die Inselbewohner haben Vorrang, für sie wurde die Seilbahn | |
1969 errichtet. Sie fahren kostenlos, Touristen zahlen 8 Euro. | |
## Tückische Strömungen | |
Die Seilbahn hat das Leben auf der Insel verändert. Früher waren die | |
Bewohner im Winter vom Festland praktisch abgeschnitten, denn der 375 Meter | |
breite Dursey-Sund ist aufgrund der tückischen Strömungen dann | |
unpassierbar. Dank der Seilbahn können sie zum Einkaufen oder zum Pub aufs | |
Festland hinüber. | |
Lediglich 2009 war die Seilbahn für zwei Monate außer Betrieb, weil das 40 | |
Jahre alte Seil erneuert werden musste. Die Abwanderung konnte die Seilbahn | |
jedoch nicht aufhalten. Inzwischen leben nur noch sechs Menschen ständig | |
auf Dursey. | |
Bis vor Kurzem hatten auch Tiere Vorrang vor Touristen. Auf der Insel | |
grasen rund 500 Schafe und 80 Kühe, neben den paar Einwohnern besitzen auch | |
neun Bauern vom Festland Weiden auf der Insel. Einmal sei eine Kuh, kaum | |
dass sie auf dem Festland war, wieder zurück zur Insel geschwommen, sagt | |
Sheehan. | |
## Tiere dürfen nicht in die Gondel | |
Vor zwei Jahren verbot die Grafschaftsverwaltung, Tiere mit der Seilbahn zu | |
transportieren. „Es ist schwierig für die Inselbewohner“, so Sheehan. „W… | |
sie ein krankes Tier haben, können sie es nicht mehr zum Tierarzt bringen, | |
sondern müssen es auf der Insel sterben lassen. Und sie können ihre Tiere | |
nicht mehr zum Viehmarkt bringen.“ Bevor die Seilbahn gebaut wurde, mussten | |
die Tiere schwimmen, was nicht immer gut ging. In der Gondel liegen unter | |
den Bänken allerdings frische Strohreste. Wird das Verbot nicht | |
eingehalten? Sheehan lächelt nur. | |
Man schwebt rund 30 Meter über dem Sund. Ein paar Seehunde drehen ihre | |
Runden, am Ufer nisten Steindohlen und Basstölpel, die größten Vögel im | |
Nordatlantik. Anfang der neunziger Jahre erklärte die irische Regierung den | |
Küstenstreifen zum ersten Wal- und Delfinschutzgebiet Europas. 24 | |
verschiedene Arten wurden gesichtet und auch einige Haie, aber nur die | |
harmloseren Arten. | |
Nach siebeneinhalb Minuten legt die Gondel auf Dursey an, ein Sensor bremst | |
sie rechtzeitig vor der Station ab. Hier sind die Passagiere auf sich | |
gestellt, sie müssen die Tür der Gondel öffnen und vorsichtig aussteigen. | |
Die Insel ist sechseinhalb Kilometer lang und anderthalb Kilometer breit. | |
Auf Irisch heißt sie Oileán Baoi. Sie ist vor allem braun, nur die Hügel | |
sind grün. Bäume gibt es nicht, auch keinen Laden, keine Kneipe und keinen | |
Handy-Empfang. | |
## Hundeverbot auf der Insel | |
Neben der Gondelstation auf der Insel parkt rund ein Dutzend Autos, die | |
meisten ohne TÜV und Versicherung. Eins davon ist das Postauto. Der | |
Briefträger versorgt die paar Menschen täglich mit Post. „Die Autos sind | |
mit Fischerbooten herübergebracht worden“, sagt Sheehan. „Man hat bei Flut | |
genau eine halbe Stunde Zeit, um an der einzigen Stelle anzulegen, wo die | |
Autos herunterfahren können. Die alten Leute wissen Bescheid, aber die | |
jüngeren haben keine Ahnung.“ Hunde sind wegen der Schafe nicht erlaubt. | |
Unter dem Verbotsschild steht: „Mancher Hund ist erschossen worden.“ | |
So klein und unbedeutend die Insel scheint, so hat sie doch eine lange | |
Geschichte. Schon zur Bronzezeit lebten hier Menschen. Vor tausend Jahren | |
herrschten die Wikinger in Irland. Sie benutzten Dursey als „Sklavendepot“. | |
Die irischen Sklaven wurden dort so lange gefangen gehalten, bis man genug | |
von ihnen für eine Schiffsladung nach Skandinavien zusammenhatte. | |
Nach den Wikingern kamen die Normannen. Ihre Eroberung Irlands war mit der | |
Schlacht von Kinsale im Dezember 1601 abgeschlossen. Der Häuptling der | |
Beara-Halbinsel, Donal Cam, hatte aufseiten der Rebellen gegen die Armee | |
Elisabeth’ I. gekämpft. Nach der Niederlage zog er sich nach Dursey zurück | |
und sicherte die Insel mit 40 Mann gegen eine Invasion. | |
Die kam ein Jahr später. Die Rebellen hatten den schwer bewaffneten | |
englischen Truppen nichts entgegenzusetzen und ergaben sich. Sie wurden auf | |
der Burg von Dunboy gehängt. Die englischen Invasoren töteten die 300 | |
Bewohner, die damals noch auf Dursey lebten. Sie verbrannten die Häuser und | |
die Kirche. Doch später siedelten sich wieder Menschen auf Dursey an. | |
## Die Schule musste schließen | |
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ausschließlich Irisch gesprochen. Als | |
der Schriftsteller Peadar Ó hAnnracháin 1906 auf die Insel kam, hatte sich | |
jedoch Englisch bereits durchgesetzt. Wer auswandern wollte, musste | |
Englisch können, und auf den weiterführenden Schulen auf dem Festland wurde | |
der Unterricht in Englisch abgehalten. | |
Eine Grundschule gab es seit 1857 auf Dursey, der erste Lehrer war ein | |
18-jähriger Referendar, er unterrichtete 32 Kinder. 1975 war die Zahl der | |
Schüler auf fünf geschrumpft. Da das Bildungsministerium ein Minimum von | |
sechs Kindern vorschreibt, musste die Schule schließen, die Kinder gingen | |
danach auf dem Festland zur Schule. | |
Von der Gondelstation führt eine einspurige Straße, die in der Mitte mit | |
Gras bewachsen ist, nach Südwesten. Links am Strand steht die Ruine einer | |
Franziskanerkapelle, im 16. Jahrhundert vom spanischen Bischof Bonaventure | |
gebaut, aber schon Anfang des 17. Jahrhunderts von Piraten überfallen und | |
zerstört. Am Westende der Kapelle sind die Nachfahren der Häuptlinge von | |
Beara beerdigt, wie ein Grabstein von 1787 ausweist. Nebenan liegt das Feld | |
„Pairc an Air“, das Massakerfeld, wo die Engländer die Inselbewohner | |
getötet hatten. | |
Es gibt drei Dörfer auf Dursey: Ballynacallagh, Kilmichael und | |
Tilickafinna. Es sind Geisterdörfer, bis auf die bewohnten Hütten und ein | |
paar Ferienhäuser sind die Häuser längst verlassen und zerfallen stetig. | |
Nach Kilmichael verengt sich die Straße und ist nur noch ein besserer | |
Trampelpfad. Ein Witzbold hat ein Geschwindigkeitsbegrenzungsschild | |
aufgestellt: 100 kmh. Am Ende des Weges, am Dursey Head, sieht man die | |
vorgelagerten drei Felsen: The Bull, The Cow, The Calf. | |
## Orientierungspunkt für die Nazis | |
Früher stand ein Leuchtturm auf dem Calf Rock, er wurde 1881 im Sturm | |
zerstört. 1889 errichtete man ihn wieder, diesmal auf dem Bullenfelsen. Er | |
diente den Nazis während des Zweiten Weltkriegs als Orientierungspunkt. | |
Ihre Flugzeuge starteten täglich in Mérignac bei Bordeaux zu | |
Wettererkundungen und flogen tief über den Bullenfelsen. | |
Dave Sheehan, der Leuchtturmwärter, ging jedes Mal hinaus und schwenkte ein | |
gelbes Tuch, die Piloten winkten und wackelten mit den Tragflächen der | |
zweimotorigen JU 88. Doch am 22. Juli 1943 verlor der 22-jährige Pilot Hans | |
Auschner im Nebel die Orientierung und flog in den Berg am Crow Head nicht | |
weit von der Stelle, wo heute die Gondelstation auf dem Festland steht. | |
Auschner und seine drei Besatzungsmitglieder wurden mit militärischen Ehren | |
zunächst auf dem Friedhof von Ballaghboy beigesetzt. | |
Vorsichtshalber hatte man einen katholischen und einen protestantischen | |
Pfarrer geholt, weil man nicht wusste, welchem Glauben die Toten | |
angehörten. 1950 wurden die vier auf den deutschen Friedhof von Glencree an | |
der Ostküste umgebettet. Unterhalb der Gondelstation hat die | |
Grafschaftsverwaltung eine Gedenktafel angebracht. | |
## Ein alter Wachturm | |
Auf dem Rückweg von Dursey Head gabelt sich die Straße. Der nördliche Weg | |
führt hinauf zum höchsten Punkt der Insel, 252 Meter über dem | |
Meeresspiegel, wo ein Wachtturm steht. Er wurde, wie viele andere Türme | |
entlang der Küste, während der napoleonischen Kriege als Frühwarnsystem | |
gebaut. Hinter dem Turm führt die Straße in einem Bogen wieder zur | |
Seilbahnstation. | |
Auf der anderen Seite des Sunds warten Paddy Sheehan und seine Frau bereits | |
auf die Gondel. Sie haben Eimer mit Viehfutter dabei. Sheehan besitzt 40 | |
Schafe auf Dursey. Um die Gondel zu bedienen, hat er einen Freund | |
mitgebracht, doch der macht das offenbar zum ersten Mal. Er drückt auf dem | |
großen Kontrollkasten auf einen Knopf und fragt: „Bewegt sie sich?“ Nein. | |
Er probiert weitere Knöpfe aus, plötzlich bewegt sich die Gondel, bleibt | |
aber nach zehn Metern wieder stehen. Sheehan gibt Anweisungen, doch durch | |
die veraltete Gegensprechanlage sind sie nicht zu verstehen. Nachdem die | |
Gondel ein paar Minuten in der Luft hängt, findet der Gehilfe den richtigen | |
Knopf, und die Sheehans schweben nach Dursey zu ihren Schafen. | |
3 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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