| # taz.de -- Grenzstreit im östlichen Mittelmeer | |
| > Im Konflikt mit Athen spielt die Türkei mit dem Feuer – und mit dem | |
| > Völkerrecht. Durch ihre Usurpation eines umstrittenen Seegebiets fordert | |
| > sie nicht nur Griechenland, sondern die gesamte EU heraus. Das bedeutet | |
| > allerdings nicht, dass alle griechischen Ansprüche in der Region legitim | |
| > und rechtens sind. | |
| Bild: Cañada de Jorge-1, La Gomera, 2006, Ditone Print, 155 x 280 cm | |
| von Niels Kadritzke | |
| Es war eine der gefährlichsten maritimen Kollisionen der letzten Jahre: Am | |
| 14. August kam es im östlichen Mittelmeer zu einer Karambolage zwischen der | |
| türkische Fregatte „Kemal Reis“ und der griechischen Fregatte „Limnos“. | |
| Das türkische Kriegsschiff gehörte zum Geleitzug des Forschungsschiffs | |
| „Oruç Reis“, das in einem Seegebiet 110 Seemeilen (etwa 200 Kilometer) | |
| südlich der türkischen Küste mit seismischen Untersuchungen des | |
| Meeresbodens beauftragt war. Das Operationsgebiet liegt nach Auffassung | |
| Ankaras innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Türkei. | |
| Das griechische Kriegsschiff beschattete die türkische Miniflotte, deren | |
| Explorationsmission aus Athener Sicht illegal war. Denn Athen beansprucht | |
| dasselbe Seegebiet für die griechische AWZ. | |
| Der Kontakt zwischen den Fregatten der beiden Nato-Staaten endete | |
| glimpflich: Die „Kemal Reis“, die der „Limnos“ seitlich vor den Bug | |
| gefahren war, wurde durch den Zusammenstoß im Heckbereich beschädigt. Die | |
| „Limnos“ blieb heil, was es der Regierung in Athen erlaubte, die Kollision | |
| als „Manövrierfehler“ des türkischen Kapitäns herunterzuspielen. Anders | |
| der türkische Präsident Erdoğan: Er nutzte die Episode für PR-Zwecke und | |
| erklärte seinem Volk, die „Kemal Reis“ habe der frechen griechischen | |
| Fregatte die richtige Antwort gegeben. Den Blechschaden seiner Fregatte | |
| erwähnte er nicht. | |
| Der Vorfall vom 14. August war der Auftakt zu einer Konfrontation, die bis | |
| heute andauert und inzwischen immer komplexer geworden ist. Seit Anfang | |
| September sind auch französische und italienische Kriegsschiffe vor Ort, | |
| und Kampfflugzeuge aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten | |
| kooperieren mit der griechischen Luftwaffe. Im östlichen Mittelmeer | |
| herrscht Alarmstufe Rot. | |
| ## Gasfelder undWirtschaftszonen | |
| Dabei war die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung zu Beginn der | |
| Krise gering. Am 14. August beschränkten sich die Kontrahenten darauf, die | |
| gegnerischen Schiffe zum Verlassen der „eigenen“ AWZ aufzufordern, was von | |
| beiden Seiten ignoriert wurde. Dennoch blieb eine militärische Eskalation | |
| aus. Es erschien völlig absurd, ausgerechnet im August einen Schießkrieg zu | |
| beginnen und die wenigen ausländischen Touristen zu vertreiben, die beiden | |
| Ländern im Coronasommer verblieben sind. | |
| Zudem herrscht beim griechischen wie beim türkischen Militär eine höllische | |
| Angst vor dem Virus. Schon der normale Kasernenbetrieb ist dadurch | |
| einschränkt. Deshalb hatten sich der türkische und der griechische | |
| Verteidigungsminister am 15. April auf die Absage ihrer jeweiligen | |
| Frühjahrsmanöver verständigt, um ihre Soldaten „nicht dem Coronavirus | |
| auszusetzen“. | |
| Die hohen Offiziere beider Seiten kennen sich auch persönlich, als | |
| professionelle Kollegen auf der Nato-Ebene. Der griechische Admiral a. D. | |
| Evangelos Apostolakis, Generalstabschef unter der linken Tsipras-Regierung, | |
| sagt über seine türkischen Gegenspieler: „Ich weiß genau, dass auch die | |
| keinen militärischen Konflikt wollen, denn der nutzt keiner Seite.“[1] | |
| Die große Frage ist allerdings, welchen Nutzen sich die Erdoğan-Regierung | |
| von der Krise im östlichen Mittelmeer verspricht. Ihr erklärtes Ziel ist | |
| es, die türkischen Ansprüche auf eine großräumige ausschließliche | |
| Wirtschaftszone durchzusetzen, die auf Kosten der griechischen | |
| AWZ-Ansprüche gehen würde. Beide Seiten haben vor allem die unter dem | |
| Meeresboden vermuteten Erdöl und Erdgasvorkommen im Auge. | |
| Jedoch weiß man heute weder in Ankara noch in Athen, wie hoch der | |
| Streitwert dieser Ressourcen ist. Über den kann man angesichts der | |
| politischen und ökonomischen Weltlage nur spekulieren. Sicher ist aber: | |
| Angesichts des globalen Trends zu erneuerbaren Energien, die der | |
| beschleunigte Klimawandel erzwingt, ist Erdgas aus den Tiefen des östlichen | |
| Mittelmeers ein Auslaufmodell. Und auf dem Weltmarkt wird es nie | |
| konkurrenzfähig sein, weil die Förder- und Transferkosten einfach zu hoch | |
| liegen. Selbst der Energieimporteur Türkei muss kal- | |
| 10 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Niels Kadritzke | |
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