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# taz.de -- Montagsinterview: "Der Begriff Lesbe ist politisch"
> Maria do Mar Castro Varela ist Professorin, Lesbe und Tochter spanischer
> Gastarbeiter. Doch sie mag die Fokussierung auf solch zugeschriebene
> Eindeutigkeiten nicht.
Bild: "Gucken Sie mich an. Entspreche ich dem, was Sie sich unter Professorin v…
taz: Frau Castro Varela, Sie sind Interviewpartnerin, weil bald CSD ist und
weil Sie lesbisch sind. Wie finden Sie das?
Maria do Mar Castro Varela: Das finde ich bedenklich. Sie legen mich damit
aufs Lesbischsein fest und heften mir das als Etikett an. So was ist
schwierig. Ich bin ja auch Professorin. Und Tochter spanischer
Gastarbeiter. Klassenbewusster Arbeiter. Vor allem bin ich eine politisch
denkende Frau.
Warum lassen Sie sich dennoch auf das Interview ein?
Mit den Zuschreibungen ist es ja so eine Sache. Auf der einen Seite müsste
ich ein Interview ablehnen, wenn ich, bloß weil ich lesbisch bin,
interviewt werden soll. Auf der anderen Seite würde ich, ohne es zu wollen,
durch die Ablehnung wieder etwas stabilisieren.
Was?
Ich würde damit signalisieren, dass ich vielleicht doch nicht lesbisch bin
oder es nicht sein will. Trotzdem ist es bedenklich, weil das Etikett
Lesbischsein so außerordentlich wenig über mich sagt. Und weil ich
natürlich nicht so gern funktionalisiert werde.
Tochter spanischer Gastarbeiter, Professorin, Lesbe - wie gehen Sie mit
diesen Zuschreibungen um?
Ich nehme sie zur Kenntnis und versuche ihnen zu widerstehen, indem ich
herausarbeite, wie wenig sie von mir preisgeben. Die Philosophin Judith
Butler hat mal gesagt: "Wenn ich sage, ich bin lesbisch, dann wissen Sie,
dass ich lesbisch bin, aber Sie wissen nicht, was lesbisch meint." Die
Obsession, die sich dahinter verbirgt, Menschen festzulegen, ist schon
absurd. Da bleibt einem nicht viel, als die Zuschreibungen zu unterlaufen.
Identität ist doch nichts Festgelegtes. Man kann sich ändern. Darf es auch.
Ich bin heute eine andere als mit 19 Jahren, als ich mich zum ersten Mal in
eine Frau verliebte.
Wie unterlaufen Sie Zuschreibungen?
Gucken Sie mich an. Entspreche ich dem, was Sie sich unter Professorin
vorstellen?
Nicht wirklich.
Ich will nicht festgelegt werden, und ich will mich auch nicht selber
festlegen. Sich selbst nicht festlegen, ist übrigens etwas ganz anderes,
als sich politisch nicht zu positionieren oder Zuschreibungen zu negieren.
Es würde keinen Sinn machen zu sagen: Nein, ich bin keine Lesbe. Das wäre
kontraproduktiv. Aber ich will, dass man versteht, dass ich den Begriff
Lesbe als politisches Statement benutzte. Und nicht als eins, das etwas
darüber sagt, was ich in meiner Freizeit zu Hause tue.
Sind Zuschreibungen für Sie demnach Studienmaterial für gesellschaftliche
Analysen?
Ich will wissen, wie es zu den Bezeichnungen kommt. Ich erkläre es an einem
anderen Beispiel: Ich kam mit drei Jahren nach Deutschland. Bis ich zehn
war, nannte man mich Gastarbeiterkind. Danach war der Begriff nicht mehr so
stimmig. Also wurde ich Ausländerkind. Als ich Abitur machte, wurde ich
Bildungsinländerin. Während meiner Studienzeit wurde ich zur Migrantin und
heute bin ich eine Frau mit Migrationshintergrund. Das ist doch
interessant. Wer lässt sich so etwas einfallen. Wie wirkt das auf mich? Was
sagt es über die öffentliche Wahrnehmung?
Haben Sie - wie das Beispiel zeigt - schon als Kind gelernt, die Welt aus
mehr als einer Perspektive zu betrachten?
Ich habe schon als Kind gemerkt, dass man mich auf Kontexte festlegen will,
und ich habe das schon damals als gewalttätig empfunden. Mir gefiel das
Wort Ausländerin nicht, und ich wurde schon als Kind mit Steinen beworfen.
Als wir in eine andere Siedlung zogen, wo mehrheitlich Deutsche wohnten,
wollte man mit mir und meinem Bruder zuerst auch nicht spielen. Es gibt
allerdings eine noch viel dramatischere Erfahrung.
Welche?
Auf dem Weg zur Schule standen einmal Jungs am Straßenrand, die einen
Backstein in der erhobenen Hand hielten. Da sagte einer: "Nein, die kannste
vorbeilassen, das ist ne Deutsche." Ich bin vorbeigegangen, aber ich
vergesse das Schamgefühl nie, das ich hatte, weil ich nichts gesagt hatte.
Ich schämte mich, weil ich fand, dass ich meine Eltern verraten hatte. Und
weil ich nichts unternommen habe, um den nächsten, der vielleicht nicht als
deutsch durchging, zu schützen.
Was lernten Sie aus solchen Erfahrungen?
Es hat mich zu einer Suchenden gemacht. Eine Zeitlang dachte ich dann, ich
will nicht mehr in Deutschland leben. Ich will dahin zurück, wo ich
herkomme.
Hatten Sie eine Vorstellung von Heimat?
Wir sind jedes Jahr nach Galicien gefahren, wo meine Eltern herkamen. Die
Familie dort, die Sprache, das habe ich mir so zusammengebaut als Heimat.
Ich habe deshalb neben dem deutschen, auch das spanische Abitur gemacht.
Tatsächlich bin ich auch einmal ausgewandert, war aber einen Monat darauf
schon wieder in Köln. Erst später verstand ich, dass ich etwas suchen kann,
aber nicht unbedingt etwas finden muss.
Was ist der Vorteil, wenn man sich nicht auf eine Sicht auf die Dinge
verlässt?
Vereinfacht könnte man sagen: Man sieht mehr. Man ist nicht immer nur
fokussiert auf Eindeutigkeit, auf Klarheit. Ich habe dadurch keine Angst
vor Veränderungen, sondern ich sehe ihnen entgegen. Ich bin in Unruhe
versetzt, aber nicht beunruhigt davon. Und wenn ich Festlegungen
widerstehe, ist damit auch die Versuchung kleiner, andere festzulegen. Das
finde ich spannend.
Sie sind Kind von Gastarbeitern und heute Professorin - ein erstaunlicher
Weg.
Wenn man sieht, wie viele das in Deutschland geschafft haben, ist es schon
erstaunlich. Als ich zum ersten Mal zur Berufsberatung ging, wollte ich
Dolmetscherin werden. "Das ist nichts für dich", antwortete die Beraterin.
"Gut, was ist dann was für mich?" "Schuhverkäuferin", sagte sie. Da waren
selbst meine Eltern sauer, als ich es ihnen erzählte. "Die kennt dich doch
nicht, wie kommt die darauf?", fragte meine Mutter. Für sie als Arbeiterin
wäre es schon was Tolles gewesen, wenn ich einen Job im Büro oder in einer
Bank gewählt hätte. Hauptsache etwas Statushöheres. An Professorin musste
sie sich allerdings erst gewöhnen. "Warum ist Lesen Arbeit?", fragt sie.
"Wieso bekommt man fürs Reden Geld?" - Diese Neukodierungen von Arbeit
finde ich auch sehr interessant.
Kommt es in Ihrer beruflichen Praxis vor, dass Sie nicht wegen Ihrer
Forschungen und Theorien als Wissenschaftlerin gefragt sind, sondern weil
Sie Migrantin sind?
Ich saß schon auf Podien, da stand unter meinem Namen: Migrantin. Bei den
anderen stand: Soziologe, Politologe oder sonst ein Beruf. Im Grunde bin
ich dankbar für solche Ausrutscher. Ich benutze so etwas sofort, um in die
Diskussion einzusteigen. Das ist ja wirklich auch ein Problem: Wenn da auf
dem Schild "Migrantin" steht, bin ich als Repräsentantin für eine ganze
Gruppe eingeladen. Von denen mich die meisten womöglich gar nicht als
Repräsentantin sehen wollen.
Warum nicht?
Die einen, weil sie sagen: "Die ist doch Europäerin - dann ist sie gar
keine Migrantin mehr." Die anderen weil sie sagen: "Die ist ja lesbisch -
wie kann sie da für die Migranten reden, das ist ja völlig absurd." Die
Dritten meinen: "Ach, Professorin ist sie - da hat sie doch keine Ahnung,
wie es uns Migranten wirklich geht." Und alle Einwände haben ihre
Berechtigung. Denn das ist das Dilemma der Repräsentation.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender- und Queer-Studien. Warum ist
Geschlecht eigentlich so ein heikles Thema?
An sich ist es kein heikles Thema. Aber die wissenschaftliche und die
politische Debatte machen es zu einem. Heute redet man gern von Gender,
weil man nicht mehr darüber reden will, dass es faktische Diskriminierung
von Frauen qua Geschlecht gibt. Das finde ich einigermaßen problematisch.
Sehr viele Studentinnen beharren auch darauf, dass sie nicht diskriminiert
werden. Sie glauben tatsächlich, dass sie als Frauen alles erreichen
können, was Männer erreichen.
Viele Untersuchungen sprechen dagegen.
Sie wollen trotzdem dran glauben, weil man eben nicht gern als Opfer
wahrgenommen wird. Gleichzeitig nimmt die Gewalt an Frauen nicht ab. Im
Gegenteil. Fatal ist, dass gerade in Westeuropa die Unterdrückung der Frau
faktisch herkunftsbezogen diskutiert wird. Man sagt: In muslimischen
Gemeinschaften gibt es sie, aber bei uns nicht. In dem Augenblick können
sich selbst konservative Politiker als feministisch konstruieren. Da wird
es dann wirklich absurd.
Sind Sie - und das wäre eine weitere Zuschreibung - eigentlich Feministin?
Für mich ist das eine politische Kategorie, und ich sage sie mit dem
gleichen Risiko, wie ich sage: Ich bin Lesbe. Man kann bestimmte Dinge
nicht analysieren, ohne die Kategorie Geschlecht zu berücksichtigen. Etwa
wird bezogen auf die Migrationsgeschichte in Deutschland immer angenommen,
dass nur junge, körperlich fitte Männer hierher kamen. Das hat so aber nie
gestimmt. Es sind auch viele Frauen migriert. Und schwule Männer. Ich habe
mal bei Stollwerck, der Schokoladenfabrik, gearbeitet. Da waren mindestens
80 Prozent Gastarbeiterinnen an den Bändern. Sie haben auch mal einen
wilden Streik angezettelt. So etwas taucht in der Forschung kaum auf.
Daraus ergeben sich aber ganz andere Fragen nach den Gründen der Anwerbung,
der Funktionalisierung von Arbeitskraft, der Ethnisierung und
Vergeschlechtlichung des Arbeitsmarkts.
Sie sagten einmal, Sie seien auch eine queere Feministin. Was meinen Sie
damit?
Die Queer-Theorie problematisiert die Konstruktion von
Zweigeschlechtlichkeit und experimentiert sehr stark mit Uneindeutigkeit,
ausgehend von Sexualität, Begehren, Begehrensökonomie zwar, aber nicht nur.
Das fand ich schon immer sehr spannend. Uneindeutigkeit unterläuft Macht
und Herrschaftsprinzipien. Dies strategisch herauszuarbeiten, darum geht es
mir.
Utopieforschung machen Sie auch. Sie sagen, alle Aufbruchsbewegungen
basieren darauf, dass das Bestehende infrage gestellt und utopisch
weiterentwickelt wird. Ist damit immer eine positive Entwicklung verbunden?
Kommt darauf an, was Sie mit positiv meinen. Es geht nicht darum, dass
alles stetig besser wird. Utopisch denken bedeutet, ein anderes sich
vorstellen zu können. Eine andere Gesellschaftsstruktur. Ernst Bloch, ein
wichtiger Philosoph, sagte: Man muss eine Hoffnung haben, aber Hoffnung
muss enttäuscht werden. Sonst scheitert die Utopie, die eng verknüpft ist
mit dem Willen zur Veränderung. Sich gar keine Veränderungen vorzustellen,
das können sich nur die leisten, die am meisten vom So-wie-es-ist
profitieren. Und einige Leute können sich nie zurücklehnen und sagen, ist
doch gut, wie es ist. Das wird transparent, wenn man sich mit Utopien
beschäftigt.
Zurück zum Christopher Street Day. Der findet in diesem Jahr zum 30. Mal in
Berlin statt. Hat er noch utopisches Potenzial?
Hatte er je utopisches Potenzial? Er hat auf der symbolischen Ebene eine
wichtige Bedeutung. Wobei es sich natürlich bei der Party, die zudem
Allianzen mit neoliberalen Akteuren in Politik und Wirtschaft nicht scheut,
wohl um eine besondere Form von Symbolik handelt.
16 Jun 2008
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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