| # taz.de -- taz-Serie "Wohnen im Welterbe" (3): Imagegewinn und Mieterfrust | |
| > In der Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg zeigen sich Vorteile und | |
| > Probleme, die der Denkmalschutz und ein möglicher Welterbe-Titel mit sich | |
| > bringen. | |
| Das Credo der Moderne - Licht, Luft und Sonne - hat in der Wohnstadt Carl | |
| Legien einen ganz besonderen Beigeschmack. 2004 war es, da rückten | |
| Grünflächenarbeiter mit Kettensägen in der Erich-Weinert-Straße in | |
| Prenzlauer Berg an. Im Auftrag des Eigentümers Baubecon sollten sie mehr | |
| als 160 Bäume fällen. Der Grund: Weil die Siedlung des Architekten Bruno | |
| Taut zu den sechs Kandidaten für das Unesco-Welterbe zählt, sollte der | |
| ursprüngliche Zustand der Freiflächen - Licht, Luft und Sonne - | |
| wiederhergestellt werden. Die Mieter gingen auf die Barrikaden, der Bezirk | |
| genehmigte die Fällung von nur 71 angeblich kranken Bäumen, der Senat | |
| lenkte ein. Es müsse neu überdacht werden, ob das Weltkulturerbe wichtiger | |
| ist als die Belange der Bürger, sagte damals die Sprecherin von | |
| Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). | |
| Auch wenn die Wohnstadt Carl Legien, mit Abstand der städtischste der sechs | |
| Welterbe-Kandidaten, längst saniert ist, steht das Thema Wohnen im Welterbe | |
| und Denkmalschutz weiterhin auf der Tagesordnung. Inzwischen gibt es aber | |
| nicht nur Ärger, sondern auch Euphorie. "Die Carl Legien ist ein Renner", | |
| freut sich Christian Scheffler, Vertreter des neuen Eigentümers Pirelli, | |
| der die 1.100 Wohnungen von der Baubecon gekauft hat. "Vor allem junge | |
| Studenten zieht es hierher." Lehrstand gebe es nicht in der | |
| Erich-Weinert-Straße. "Wer wegzieht", so Scheffler, "hat einen Nachmieter. | |
| Wenn nicht, dann gibt es eine Warteliste." Zwei Dinge sind es, die für | |
| Scheffler den Erfolg der Wohnstadt ausmachen: die Qualität der Siedlung und | |
| der niedrige Mietpreis. "Im Vergleich zum Kollwitzplatz sind wir günstig." | |
| Was aber wird, wenn die Wohnstadt Carl Legien neben weiteren fünf | |
| Siedlungen der klassischen Moderne kommende Woche mit dem | |
| Unesco-Welterbe-Titel geadelt würde? "Einen Welterbe-Zuschlag", versichert | |
| Scheffler, "wird es nicht geben. Das Einzige, was es gäbe, wäre ein | |
| Imagegewinn." | |
| Den gibt es jetzt schon. Architekturstudenten, Reisegruppen, | |
| Diplomatengattinnen, Modernefans - alle zieht es an die | |
| Erich-Weinert-Straße. Was sie finden, ist tatsächlich ohne Vergleich. Am | |
| Rande der Mietskasernen in den dicht bebauten Gründerzeitquartieren hat es | |
| Bruno Taut 1929/30 geschafft, eine Siedlung zu bauen, die durchaus das | |
| Attribut "städtisch" verdient. Gleichwohl bieten die als U auf beiden | |
| Seiten der Erich-Weinert-Straße angeordneten Blöcke eine Leichtigkeit und | |
| Offenheit, die es gut und gerne mit den zahlreichen Stadtrandsiedlungen der | |
| Moderne auf sich nehmen kann. In den 30er-Jahren war das Ensemble mit | |
| seinen 1.100 Wohnungen eine tatsächliche Alternative zu den Mietskasernen. | |
| Und das keine vier Kilometer vom Alexanderplatz entfernt. | |
| Eines aber suchen die Taut-Fans vergeblich - ein kleines Museum oder einen | |
| Infopoint. Anders als in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die nicht als | |
| Welterbe nominiert wurde, werden Touristen in Prenzlauer Berg allein | |
| gelassen. Zwar denkt der Eigentümer Pirelli über einen solchen Service nach | |
| - aber nur für den Fall, dass die Siedlung wirklich den Welterbe-Stempel | |
| bekommt. Wenn nicht, bleibt sie, was sie bis dahin war - ein Geheimtipp für | |
| alle, für die "Stadt" mehr bedeutet als Hackescher Markt oder | |
| Kollwitzplatz. | |
| Einheitlich soll es sein | |
| Bleiben wird auch das Thema, das Mieter, Eigentümer und Denkmalschützer | |
| seit langem beschäftigt. Wie passt man ein Denkmal den veränderten | |
| Bedürfnissen ans Wohnen an, ohne das, was es zum Denkmal gemacht hat, aufs | |
| Spiel zu setzen? Für Manfred Kühne, bis vor wenigen Wochen Leiter der | |
| obersten Denkmalbehörde Berlins, ist dies jedes Mal eine neue | |
| Herausforderung. "Natürlich kann im Denkmal nicht jeder seine Fenster | |
| streichen, wie er will", sagt Kühne. "Schließlich leben gerade Siedlungen | |
| wie Carl Legien von ihrem geschlossenen Bild." Gleichwohl gelte es, bei | |
| Konflikten immer wieder nach Kompromissen zu suchen. Die Fahrradständer, | |
| die in der Wohnstadt inzwischen montiert wurden, sind deshalb keine Ware | |
| von der Stange, sondern elegante Bügel - ganz im Geist der Moderne. | |
| Ganz im Geist der 20er-Jahre - für viele Berliner ist das inzwischen Kult, | |
| hat Kühne beobachtet. "Charaktervolle Gebäude und Siedlungen werden immer | |
| mehr nachgefragt", sagt er. "Es gibt sogar Mieter, die streichen ihre | |
| Wohnungen in den Originalfarben von Bruno Taut, kräftig rot oder tiefblau." | |
| Für Kühne ist die Attraktivität der klassischen Moderne inzwischen nur | |
| vergleichbar mit der Wiederentdeckung der Mietskasernen vor 30 Jahren. | |
| Freilich sind dieser Wiederentdeckung Grenzen gesetzt. Die meisten | |
| Wohnungen sind klein, die Raumfolge entspricht dem Wohn- und Familienideal | |
| der 20er-Jahre: großes Wohnzimmer, kleine Kinderzimmer, kleine Küche. Gut | |
| möglich, dass auf den Denkmalschutz neben dem Thema altersgerechtes Wohnen | |
| auch das Thema Wohnungszusammenlegungen zukommt. | |
| Weniger optimistisch ist da Andreas Otto. Der grüne Abgeordnete, der im | |
| Wahlkreis ein Direktmandat zum Abgeordnetenhaus gewonnen hat, zweifelt an | |
| der Kompromissfähigkeit vieler Denkmalschützer. "Nicht nur bei den | |
| Baumfällungen war der Denkmalschutz äußerst hartleibig", sagt er. "Auch bei | |
| der Wärmedämmung hätte ich mir mehr Flexibilität gewünscht." Überhaupt ist | |
| für Otto der Welterbe-Titel nicht das Maß aller Dinge. "Wenn man im Ausland | |
| von Prenzlauer Berg spricht, dann fällt einem nicht gerade die klassische | |
| Moderne ein. "Das Leben in der Carl-Legien-Siedlung ist schon ein anderes | |
| als in der Gründerzeit", sagt er. | |
| Das wird wohl auch so bleiben, wenn die Siedlung zum Welterbe wird. Erst | |
| vor kurzem hat das Tautcafé geschlossen. Zu wenige Gäste. | |
| Eigentümervertreter Scheffler weiß, warum. "Den Älteren in der Siedlung war | |
| es zu flippig, den Jüngeren nicht szenig genug." | |
| 3 Jul 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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