# taz.de -- das portrait: Teilweise wird Lemmy Kilmister Norddeutscher | |
Bild: Lemmy Kilmister lebt nicht mehr. Und seine Asche ist AscheFoto: Harald Ti… | |
Musik muss nicht schön sein. Musik muss vielmehr eine Antwort auf ihre | |
Epoche finden: Der 1945 in England geborene und kurz nach seinem 70. | |
Geburtstag in Los Angeles gestorbene Lemmy Kilmister hatte nach eigenem | |
Bekunden dem Zeitalter der Massenvernichtung zu entsprechen. Akustisch | |
plausibler als mit seiner 1975 gegründeten Band Motörhead und der | |
Musikrichtung, die der Sänger und E-Bassist mit ihr geprägt hat – den | |
Ausdruck Heavy Metal mochte er nicht – ist das wohl niemandem gelungen. | |
Maximale Lautstärke, im Wortsinn martialische Lichttechnik und eine | |
konsequent geschmackverletzende Kostümierung auf der Bühne – es gab | |
Auftritte in SS-Uniformen in den frühen Jahren und auch später noch trug | |
der Mann ein Eisernes Kreuz aus WK I als Anhänger an der Kette – waren | |
dabei stets lesbar als Ausdruck eines extrem grimmigen schwarzen Humors. | |
Zahlreiche Interviews lassen als dessen Fundament eine tiefe Verachtung für | |
Rassismus und Faschismen erkennen. | |
Dieses performative Programm ist nun in Schleswig-Holstein in gewisser | |
Weise fortgeschrieben worden. Durch eine Zeremonie, die jede Schwelle zu | |
Kitsch ignoriert, ist der tote Kilmister posthum ein bisschen in | |
Norddeutschland eingebürgert worden. Kilmister war zwar Anfang 2016 auf dem | |
kalifornischen Forest-Lawn-Memorial-Friedhof beigesetzt worden. Er hatte | |
aber auch verfügt, dass ein Teil seiner Asche in eine bis heute unbekannte | |
Zahl mit dem Schriftzug „Lemmy“ gravierter Patronenhülsen gefüllt und an | |
nahe Freundinnen und Freunde verschickt wurde. Eine davon ist nun in Wacken | |
geöffnet und ihr Inhalt – naja, man sagt so verstreut, aber treffender wäre | |
in diesem Fall doch eher: in den Matsch gekippt worden, im Rahmen des | |
Wacken Open Airs. | |
Dort fühlt man sich geehrt. „Die Rückkehr von Lemmy ist eine unglaubliche | |
Auszeichnung – ihre Bedeutung ist kaum in Worte zu fassen“, so | |
Festival-Chef Thomas Jensen. Umgekehrt war auch das WOA als eines der | |
größten Heavy-Metal-Festivals der Welt wichtig für die Band: Seit 1997 war | |
sie hier in steter Regelmäßigkeit aufgetreten, hatte 2011 dort ein | |
Live-Album eingespielt und war bei einem gesundheitsbedingtem | |
Konzertabbruch 2013 vielleicht erstmals unmittelbar mit der Sterblichkeit | |
ihres Frontmanns konfrontiert. Gitarrist Phil Campbell und Schlagzeuger | |
Mikkey Dee, die neben Kilmister zu Motörhead gehörten, sollten bei dem | |
Festakt dabei sein, und auch der ehemalige Bandmanager Todd Singermann | |
beglaubigte ihn: Wacken sei „für Lemmy ein geliebtes Stück Heimat“ gewese… | |
so zitiert ihn das Rolling Stone Magazine. „Wir sind überglücklich, dass er | |
hier für immer einen Platz findet.“ | |
So weit, so passend. Zugleich aber konterkariert die Aktion die konsequent | |
agnostische Haltung des überzeugten Atheisten Kilmister. „For there is no | |
Heaven in the sky“, hatte er 2006 im Song „God Was Never On Your Side“ | |
seine Absage an jede Jenseitsvorstellung auf eine kunstvoll-aphoristische | |
Formel gebracht, die sinngemäß bedeutet, dass da kein Paradies im Himmel | |
ist. Ein Vers, der alles Aufhebens um die Asche eines Leichnams als | |
seltsames Zinnober erscheinen lässt, und als makabren Scherz. Benno | |
Schirrmeister | |
3 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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