| # taz.de -- das porträt: Gerhard Wegner kämpft ehrenamtlich gegen Antisemitis… | |
| Gerhard Wegner ist der neue niedersächsische Landesbeauftragte gegen | |
| Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens – seit vergangener Woche | |
| endlich auch offiziell. De facto hat der pensionierte evangelische Theologe | |
| schon im Februar die inoffizielle Nachfolge von Franz Rainer Enste | |
| angetreten – als unabhängiges, unbezahltes Ehrenamt. Es sei sogar | |
| unmöglich, ihm zu kündigen, betont der 70-Jährige begeistert. Gut und | |
| wichtig findet er das, denn so müsse er sich vor niemandem rechtfertigen. | |
| Und: „Ich bin frei von persönlichen oder finanziellen Interessen und kann | |
| objektiv und unvoreingenommen agieren.“ | |
| In seiner neuen Rolle fungiert Wegner als zentraler Ansprechpartner für die | |
| jüdischen Verbände in Niedersachsen und für die dort lebenden Menschen | |
| jüdischen Glaubens. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Interessen der | |
| jüdischen Verbände gegenüber der Landesregierung zu vertreten. | |
| ## Beide Eltern waren aktive Nazis | |
| Für Antisemitismus ist Wegner sensibilisiert, seit er denken kann: Beide | |
| Eltern waren aktive Nationalsozialist*innen; die Mutter Führerin beim Bund | |
| Deutscher Mädel, der Vater Soldat in Russland. In seiner Schulzeit wurde | |
| die NS-Zeit intensiv thematisiert. „Uns wurden Bilder vom Holocaust gezeigt | |
| und ich habe diese mit nach Hause gebracht“, erzählt Wegner. Er habe diese | |
| seinen Eltern gezeigt und ihnen immer wieder Vorwürfe gemacht. Erst die | |
| TV-Serie „Holocaust“, welche ab dem Jahr 1979 in Deutschland ausgestrahlt | |
| wurde, wurde eine Basis für den Austausch mit seinen Eltern. Bis heute | |
| erinnert Wegner sich genau daran, wie sich seine Eltern den Vorwürfen nicht | |
| mehr entziehen konnten. Diese Auseinandersetzungen prägen ihn bis heute, | |
| die Vergangenheit wird er nicht los. | |
| Wegner wuchs auf der Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg auf. In den | |
| 1970er-Jahren zog es ihn für das Studium der Evangelischen Theologie nach | |
| Göttingen, wo er sich viel mit dem christlichen Antijudaismus | |
| auseinandersetzte. | |
| Im Vorfeld der Expo 2000 in Hannover traf Gerhard Wegner mit Ignatz Bubis | |
| zusammen, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in | |
| Deutschland. Noch heute schwärmt er von den interreligiösen Begegnungen. | |
| Gerhard Wegner ist gläubiger Christ. Darin sieht er auch für seine Funktion | |
| als Schutzbeauftragter jüdischen Lebens kein Problem. „Das Christentum ist | |
| nicht denkbar ohne das Judentum“, sagt er. Dass beide Religionen | |
| unmittelbar zusammenhängen, zeige sich in etlichen Geschichten und Mythen. | |
| Wichtig ist Wegner, die gesellschaftliche Sensibilisierung für | |
| Antisemitismus zu vertiefen. „Der Kampf gegen Antisemitismus gehört in die | |
| Fußgängerzonen hinein!“, redet sich Wegner in Rage. Er kämpft gegen die | |
| Normalisierung antisemitischer Buchlektüren, wie etwa „Soll und Haben“ von | |
| Gustav Freytag. Die Juden werden in diesem Roman in direkter Weise mit dem | |
| US-amerikanischen Imperialismus in Verbindung gebracht. „Vielen war und ist | |
| nicht klar, dass Antisemitismus stark mit Antiamerikanismus eng | |
| zusammenhängt.“ Das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ habe ebenfalls | |
| nichts mit „dem bösen Juden zu tun“, es handele sich laut Wegner um eine | |
| rechtliche Regelung aus der Bibel. „Es geht um Schadenersatz.“ | |
| Wegner will vermitteln, woran man Antisemitismus hier und heute erkennen | |
| kann. „Wenn es einen antisemitisch bedingten Vorfall gibt, ist es | |
| eigentlich schon zu spät.“ Lena Pinto | |
| 12 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Pinto | |
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