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> In der Kunst findet Textiles endlich Anerkennung. Das Kunsthaus Dahlem | |
> stellt Objekte von Sofie Dawo mit Werken der Künstlergruppe ZERO und | |
> Zeitgenössischem von Haleh Redjaian in Dialog | |
Bild: Das Weichplastische: Sofie Dawo, Ohne Titel, 1977; Baumwoll-Cordonnet, Sm… | |
Von Tom Mustroph | |
Textilkunst war lange Zeit eine vom White-Cube-Mainstream wenig beachtete | |
Kunstform, ausgeführt vornehmlich von Frauen und unter schwerstem | |
Dekorationsverdacht. Das ändert sich gerade. Große Ausstellungshäuser wie | |
etwa das Museum of Modern Art und das Barbican Centre entdecken die Knüpf- | |
und Webkunst neu. Und auch das kleine, aber feine [1][Kunsthaus Dahlem] | |
spielt da mit. | |
In der Ausstellung „Vom Faden zur Form – Sofie Dawos Textilkunst zwischen | |
Zero und Konkretion“ wird nicht nur das Werk der vor allen in den 1960er | |
bis 1980er Jahren aktiven Künstlerin und Kunstpädagogin Sofie Dawo | |
vorgestellt. Kuratorin Petra Gördüren rückt es auch in den thematischen | |
Zusammenhang mit der zeitgleich operierenden [2][Künstlerbewegung ZERO]. | |
Und dass auch zeitgenössische Künstler*innen Fäden und Gewebe ganz neu | |
interpretieren können, zeigt sich in der Intervention von [3][Haleh | |
Redjaian]. | |
Redjaian knüpft zarte geometrische Gewebe aus mal horizontal, mal vertikal | |
und mal diagonal gespannten Fäden, die sich im Ausstellungsraum ausbreiten. | |
Tritt man in die luftigen Installationen hinein, scheint sich das Gewebe | |
wie ein Flor über die Ausstellungsstücke an den Wänden zu legen. Manchmal | |
verbinden sich die Linien und Raster aber auch mit den dahinter | |
befindlichen Arbeiten. Denn mit Linien und Rastern, mit abstrakten | |
geometrischen Elementen arbeitete schließlich auch Dawo. | |
Die Ausstellung zeichnet dabei nach, wie die Künstlerin von zunächst | |
abbildenden Versuchen immer mehr zu einer Arbeitsweise gelang, die die | |
Gestaltung aus dem Material selbst ableitet. 1960 übertrug sie noch | |
Experimente mit Tinte, Lineal und Papier auf gewebte Materialien. Zieht man | |
etwa mit einem Lineal Tinte über Papier, dann entstehen unregelmäßige | |
Streifen, die sich im rechten Winkel von der Ursprungslinie entfernen. | |
Derartige Muster webte Dawo in ihre frühen Arbeiten ein. Dass das damals | |
state of the art war, demonstriert Gördüren unter anderem mit der | |
Gegenüberstellung von Papierarbeiten des ZERO-Künstlers Erwin Thorn. Auch | |
er entwickelte Rasterstrukturen auf Papier, allerdings durch Reißen und | |
Einbrennen. Ebenso operierte Nanda Vigo – auch sie eine ZERO-Künstlerin – | |
mit abstrakten Formen, ebenfalls [4][Herman de Vries]. Nur waren die | |
Bildträger andere. Vigo nutzte Aluminium und Glas, de Vries weiß lackiertes | |
Holz. Dawos Arbeiten auf diese Art zu kontextualisieren, ergibt Sinn. Und | |
es zeigt auch, dass solche Experimente in den 1960er Jahren weit verbreitet | |
waren und dabei Materialien und Baustoffe unterschiedlichster Art verwendet | |
wurden. | |
Bei Dawo kann man in späteren Jahren auch Ausflüge ins Dreidimensionale | |
beobachten. Sie ließ in den 1970er Jahren lange Fäden aus ihren | |
Wandbehängen heraushängen. Das führte nicht nur zu einer Art Schüttelfrisur | |
dieser textilen Objekte. Weht etwas Luft durch den Raum, bewegen sich die | |
Fäden sogar. Weitere Versuche der Dreidimensionalität sind Schlaufen, die | |
Dawo einknüpft, etwa in einer orange leuchtenden Arbeit aus dem Jahre 1977. | |
In einem anderen Wandbehang verdickt sie Fäden zu Wülsten, die dann zu | |
Erhabenheiten auf dem Untergrund führen und bei seitlichem Lichteinfall | |
Schatten werfen. | |
„Lichtwirkung und Schattenverlauf waren auch der Künstlergruppe ZERO als | |
gestalterisches Mittel sehr wichtig“, erläutert Kuratorin Petra Gordüren | |
den Bezug. Und bei all dem Drängen aus der Fläche ins Objekthafte darf | |
natürlich auch ein Exponat des wohl bekanntesten Protagonisten der | |
ZERO-Gruppe nicht fehlen: [5][Günther Uecker] ist ganz prominent mit einem | |
seiner Nagelbilder gleich am Eingang der Ausstellung platziert. | |
Gördüren ist mit der Neubewertung des Werks von Sofie Dawo ein | |
eindrucksvoller Ausstellungsessay geglückt. „Wir hatten schon seit längerem | |
die Idee, dass wir in unserem Raum, der ja für Hartplastisches gebaut | |
wurde, mal etwas Weichplastisches, Textiles machen sollten“, erläutert sie. | |
Das Haus war ursprünglich das Atelier von Arno Breker, der mit seinen | |
heldenhaften und überdimensional großen Steinfiguren zum Lieblingsbildhauer | |
Adolf Hitlers wurde. Später arbeitete der ebenfalls harten Materialien | |
verbundene Bernhard Heiliger in diesen Räumen. Dawos Werk sorgt da | |
tatsächlich für einen starken Kontrast. | |
Gördüren sind bei ihrer Suchbewegung nach dem Weichplastischen inzwischen | |
derart viele Werke und Künstler*innen (meist Frauen) untergekommen, dass | |
sie gleich an ganze Ausstellungsserien zur Textilkunst in Zukunft denkt. | |
Mit dieser Idee wäre sie vorn mit dabei. Ins Museum of Modern Art in New | |
York kommt im nächsten Jahr die Großausstellung „Woven Histories: Textiles | |
and Modern Abstraction“, die die Bedeutung von Textilkunst in der Moderne | |
neu vermessen will. Und im Londoner Barbican Center ist schon jetzt | |
„Unravel: The Power and Politics of Textiles in Art“ zu sehen. | |
„Vom Faden zur Form – Sofie Dawos Textilkunst zwischen Zero und | |
Konkretion“, Kunsthaus Dahlem, bis 20. Mai | |
7 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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