# taz.de -- Zum 125. Geburtstag von Ernst Bloch: Utopie verbindet | |
> Vorbild für Rudi Dutschke, Vordenker einer ganzen Generation von | |
> Akademikern: Ernst Bloch lehrte eine an den Marxismus angelehnte | |
> Philosophie. Es lohnt sich, sie zu reaktivieren. | |
Bild: Aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden: der Tübinger Philoso… | |
Der Begriff Heimat ist ein schwieriger. Dabei kann es so einfach sein: | |
Diese Zeilen beispielsweise sind im Rudi-Dutschke-Haus entstanden, das in | |
der Rudi-Dutschke-Straße beheimatet ist. Der prominente Namenspatron ist | |
bis heute Idol einer Linken, die sich auf theoretische Fundamente beruft, | |
ohne sich im intellektuellen Elfenbeinturm zu verschanzen. Damit steht | |
Dutschke in der Tradition eines Denkers, der - trotz einiger | |
Veranstaltungen anlässlich von dessen 125. Geburtstag am 8. Juli - aus dem | |
Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden ist: sein Lehrer und Freund, der | |
Philosoph Ernst Bloch. | |
Das an den Marxismus angelehnte Werk Blochs dürfte für viele heute als | |
überlebt gelten. Bloch philosophierte über die "Konkrete Utopie", die in | |
einem Geschichtsprozess zur Entfaltung gelangen müsse. Da der Ausgang der | |
menschlichen Geschichte ungewiss sei, benötige der nach Veränderung | |
strebende Mensch einen radikalen Optimismus und unerschütterliche Hoffnung. | |
Das Fundament dafür sah Bloch in einer Koalition der utopischen Geschwister | |
Marxismus und Christentum. Eine ideale Gesellschaft, die dem Reich Gottes | |
auf Erden gleiche, war sein Traum. | |
Bloch sah seine Berufung in der Dialektik des scheinbar Wesensfremden. So | |
machte der Marxist bei seinem utopischen Entwurf auch vor Vokabeln wie | |
"Reich", "Volk" oder "Heimat" nicht halt. In seinem Hauptwerk, "Das Prinzip | |
Hoffnung", etwa fabulierte der Philosoph, mit dem Eintreten der Utopie | |
entstehe "in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin | |
noch niemand war: Heimat". Wäre unsere Gegenwart ein Fußballspiel, Bloch | |
stünde deutlich im Abseits. | |
Ganz anders Rudi Dutschke, einer seiner aufmerksamsten Schüler. Dabei sind | |
die Schnittmengen, die Dutschke mit seinem väterlichen Lehrmeister | |
verbinden, offenkundig. Noch 1978, ein Jahr nach dem Tod Blochs, erklärte | |
Dutschke: "Ich bin ein Sozialist, der in der christlichen Tradition steht. | |
Ich bin stolz auf diese Tradition. Ich sehe Christentum als spezifischen | |
Ausdruck der Hoffnungen und Träume der Menschheit." In Dutschke, der einem | |
protestantischen Elternhaus entstammte und sich zeitlebens mit dem | |
Christentum auseinandersetzte, personifizierte sich Blochs Idee einer | |
"Konkreten Utopie": aktiver Revolutionär mit dem utopischen Fernziel, eine | |
"Welt zu gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat". Dutschke lebte | |
den Versuch einer Annäherung zwischen Theorie und Praxis. | |
Kein tiefgehendes Verständnis von Dutschkes theoretischem Flickenteppich | |
aus Marx, Lenin, Lukács und Marcuse ist nötig, um euphorische Ausbrüche wie | |
die seines Biografen Jürgen Miermeister hervorzurufen: "Er ist ein | |
Auserwählter, ein Charismatiker, ein Prophet der neuen Zeit, einer besseren | |
Welt, ja, ein wenig der weltliche, verkehrte Jesus selbst, neuer, moderner, | |
militanter Messias." Kein Wunder, dass Ernst Bloch, der Theoretiker eines | |
utopischen Messianismus, zu Beginn der Studentenbewegung auf den jungen | |
Dutschke aufmerksam wurde. | |
Mit Bloch teilte Dutschke auch die Verwendung problematischer Begriffe und | |
Positionen. 1977 fragte Dutschke: "Warum denken deutsche Linke nicht | |
national?" Ihn als "Nationalrevolutionär" zu missbrauchen, wie es Dutschkes | |
ehemaliger Mitstreiter Bernd Rabehl im Zuge seiner eigenen Hinwendung zur | |
Neuen Rechten tat, ist sicher unzulässig. Dass sich Dutschkes Diktum | |
"Geschichte ist machbar" zuallererst auf einen historischen Wandel der | |
(wiedervereinigten) deutschen Nation bezog, steht außer Frage. Blochs Werk | |
und Dutschkes Beitrag entsprangen dem Willen, politisches Handeln nicht an | |
starren, scheinbar unüberwindbaren Grenzen zu orientieren. | |
Und doch scheint es, als seien sie an ihren utopischen Grenzen gescheitert. | |
Es scheint. Denn auch wenn ihre Begriffe heute befremdlich und ihr | |
Gesellschaftsideal wirklichkeitsfern anmuten, bleibt das Denken eines | |
utopischen Ideals genauso notwendig wie die Hoffnung auf das Unzeitgemäße. | |
7 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Tobias Nolte | |
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