# taz.de -- Montagsinterview: Christoph Bach: "Eine unkonventionelle Lebensweis… | |
> Der Schauspieler Christoph Bach hat gelesen, gelesen und gelesen, um Rudi | |
> Dutschke zu verstehen. Er hat in ein Kissen gebrüllt, um so heiser zu | |
> werden wie der Studentenführer von 1968, den er jetzt in einem | |
> TV-Dokudrama spielt. Und er weiß: Einen Rebell wie Dutschke wird es kaum | |
> noch mal geben. | |
Bild: Klassisches Karohemd, Dreitagebart, revolutionärer Blick: Der Filmdutsch… | |
taz: Herr Bach, machen Sie doch mal, wie Dutschke immer machte! | |
Christoph Bach: Was meinen Sie? Ich soll ihn nachmachen? | |
Ja, logo. | |
Verstehe, sie wollen den Schauspieler bei der Arbeit. Na gut, aber nur weil | |
sie es sind: (Erhebt die Stimme, spricht heiser) | |
WIR-FÜHREN-DIE-AUSEINANDERSETZUNG-MIT-DEM-RÜCKEN-AN-DER-WAND-OHNE-ILLUSIONÄ | |
RE-HOFFNUNGEN-ABER-WIR-FÜHREN-SIE-PERMANENT-UND-HABEN-DIE-ÜBERZEUGUNG-DURCH | |
-UNUNTERBROCHENE-AUFKLÄRUNGSARBEIT… (senkt die Stimme) und so weiter und | |
sofort. Sie sehen: Die Stimme wird lauter, die Leute drehen sich um und | |
gucken. Das ist der typische Dutschke-Sound. | |
Sie sind für den Fernsehfilm in die Rolle des Studentenführers Rudi | |
Dutschke geschlüpft. Sie scheinen ihn also ganz gut zu kennen. Wie wird man | |
zu Dutschke? | |
Ich habe zunächst mal nur gelesen, gelesen, gelesen. Das war bei diesem | |
Charakter vielleicht auch gar nicht so verkehrt. In seiner Studienzeit hat | |
Dutschke manchmal 12 bis 14 Stunden am Tag gelesen. Er hatte ja immer diese | |
berühmte Tasche mit den vielen Büchern dabei. Bei meiner Recherche war ich | |
natürlich mit einer unüberschaubaren Materialfülle konfrontiert und bin | |
darin auch erst mal pflichtgemäß versunken. | |
Das ist eine sehr abstrakte Annäherung. Aber Sie mussten ihn ja auch | |
verkörperlichen. Wir haben von Schauspielerei keine Ahnung. Wie wird man | |
also ganz körperlich zu Rudi Dutschke? | |
Es gab durchaus Diskussionen darüber, wie stark ich hinter der Figur | |
verschwinden soll oder eben nicht. Wir haben uns dann aber dafür | |
entschieden, dass ich versuche, mich dem Original so weit wie möglich | |
anzunähern, ohne bei einer Karikatur zu landen. Also habe ich mir immer | |
wieder Mitschnitte seiner Reden angehört, weil ich diese Art zu sprechen | |
verstehen wollte. Sehr charakteristisch ist diese Heiserkeit in seiner | |
Stimme, auch als Verweis darauf, das war ein Mensch, der dauernd geredet | |
hat. Ab einem gewissen Punkt ist er ja fast täglich auf Veranstaltungen | |
aufgetreten. | |
Mussten Sie auch tägliche Reden halten, um heiser genug zu werden? | |
Ich habe angefangen, vor entsprechenden Szenen in ein Kopfkissen zu | |
brüllen. Nach ein paar Tagen war meine Stimme dann auf die gewünschte Weise | |
ramponiert. | |
Was machte denn Dutschkes Art zu reden aus? | |
Er ging zum Beispiel häufig am Ende eines Satzes mit der Betonung nicht | |
nach unten, sondern hob die Stimme noch einmal an. Das war ein geschicktes | |
Mittel, sich Raum zu nehmen, und verdeutlichte dem Zuhörer, dass da noch | |
was folgt und der Denkprozess noch nicht abgeschlossen ist. Das gibt allem | |
auch diese Dringlichkeit. Irgendwo habe ich eine Zeitzeugenaussage gelesen, | |
die behauptet hat, dass er diese Art zu sprechen auch in kleinerer Runde | |
nicht abgelegt hat. Aber wer weiß: Vielleicht war das auch nur ein | |
Seitenhieb. Genauso gibt es ja Stimmen, die ihn als sehr aufmerksamen | |
Zuhörer schildern. | |
Sie reden über eine Person, die Ihnen natürlich auch fremd ist. Sie sind 34 | |
Jahre alt. Wer ist Dutschke für Sie persönlich? | |
Tja, das ist die Frage! Es ist unmöglich, sich als Nachgeborener ein | |
einheitliches Bild zu machen. Das berührt ja auch das Konzept des Films. Er | |
war ja schon immer eine Projektionsfigur, mit der jeder etwas anderes | |
verbunden hat. Selbst seine engsten Weggefährten streiten sich im Film | |
darüber, ob Dutschke Humor hatte. | |
Und? Hatte er Humor? | |
Schwer zu sagen. Es gibt Tonbandaufnahmen, wo er seine Reden mit einem Witz | |
beginnt. Er begrüßt nicht nur die Genossinnen und Genossen, sondern heißt | |
neben den Antiautoritären auch alle Autoritären im Publikum herzlich | |
willkommen. Und dann hört man einen lachenden Saal. Für mich als | |
Schauspieler waren solche Entdeckungen wichtig. Eben nicht festzulegen: So | |
ist er gewesen. | |
Muss man ein politischer Mensch sein, um Dutschke verkörpern zu können? | |
Nein, nicht zwangsläufig. Aber es kann sicher nicht schaden. Ich persönlich | |
interessiere mich für Politik. | |
Was sind denn Ihre Formen von Politik? | |
Bei mir ging das zunächst einmal mehr über die Musik. Ich bin unter anderem | |
mit den Ausläufern von Punk und Hardcore sozialisiert worden. Also beides | |
Bewegungen, die im Rückblick natürlich irgendwie auch schon wieder vorbei | |
waren, als ich das als Teenager für mich entdeckt habe. | |
Beschreiben Sie mal, was daran für Sie politisch war. | |
Mich hat die Aufforderung darin angesprochen, eigene Sachen zu machen. Und | |
eben nicht im Hinblick auf eine kommerzielle Verwertung. So eine | |
Do-it-yourself-Philosophie konnte man damals noch ein bisschen subversiver | |
empfinden, als das heute vielleicht der Fall ist. Zudem bin ich ja im | |
schönen Süddeutschland in einer eher ruhigeren Gegend aufgewachsen, und da | |
war seinerzeit klassische Rockmusik und vor allem Heavy Metal in allen | |
wundersamen Spielarten weit verbreitet. Da waren natürlich Punk, Hardcore, | |
aber später auch viele andere Musikarten ein gutes Mittel, sich | |
abzugrenzen. | |
Was gehörte noch dazu ? | |
Wir haben unsere eigenen Fanzines [ein von Fans erstelltes Musikheft, d. | |
Red.] rausgebracht, was natürlich super war, um auch über unsere Region | |
hinaus Kontakte zu knüpfen. Wir sind viel auf Konzerte gegangen und haben | |
uns somit eher in der Szene autonomer Jugendzentren bewegt, wenn wir | |
ausgegangen sind - was einen natürlich auch geprägt hat. Wir haben etwa | |
Demonstrationen gegen die "Republikaner" mitorganisiert. | |
Viele Schauspielerkarrieren beruhen auf einem rebellischen Moment: jenem, | |
in dem man den Eltern erzählt, dass man Schauspieler werden will. Mussten | |
Sie sich Ihren Traum erobern? | |
Meine Eltern waren anfangs nicht unbedingt begeistert von der Vorstellung, | |
dass ihr Sohn tatsächlich Schauspieler werden will. Aber über diese erste | |
Skepsis hinaus fanden sie das alles natürlich auch aufregend. Aber sie | |
hätten sich sicher auch etwas Handfesteres vorstellen können. | |
Ist das heute immer noch so? | |
Nein, ganz im Gegenteil. Meine Eltern sind heute voll dabei und schauen | |
sich selbst die sonderbarsten Filme an, in denen ich mitspiele. Die | |
Gespräche darüber sind für mich sehr ergiebig, weil sie Zuschauer sind, die | |
sich einige dieser Sachen sonst eher nicht anschauen würden. | |
Der Film ist Ihre Profession. Gab es auf dem Weg dahin denn auch Nebenwege? | |
Dass ich Schauspieler werden wollte, war mir eigentlich schon ziemlich früh | |
klar. Trotzdem hab ich mir bis zur Bewerbung an der Schauspielschule ein | |
bisschen Zeit gelassen. Ich habe einige Semester Theater-, Film- und | |
Fernsehwissenschaft und Germanistik an der FU studiert: Hier ist die kleine | |
Überschneidung zu Rudi Dutschkes Biografie! Parallel dazu war ich aber auch | |
sehr damit beschäftigt, erst mal in Berlin anzukommen … | |
… und bei der Schauspielerei? | |
Ja. Gemeinsam mit Freunden hab ich eine sehr trashige Kung-Fu-Mini-Serie | |
entwickelt, die wir anfangs vor allem auf Kurzfilmfestivals gezeigt haben. | |
Etwas später wurde daraus ein regelmäßiger Einspieler in Christian Ulmens | |
Show "Unter Ulmen" auf MTV. Das hat großen Spaß gemacht. Es waren sehr | |
chaotische Drehs - immer mit dem unbedingten Willen zum Dilettantismus. | |
Steckte da etwas drin, was gesagt werden wollte ? | |
Ohne dem jetzt zu viel Aussage unterjubeln zu wollen, war es mit Sicherheit | |
auch ein Reflex auf eine als immer bizarrer empfundene Fernseherfahrung. Es | |
war der Versuch, den ganzen Wahnsinn noch zu toppen. | |
Was sind denn heute politische Formen für Sie? | |
Ich finde, dass es heute viel schwieriger geworden ist, noch einen | |
Standpunkt für eine Kritik "von außen" zu beziehen. Den Forderungen der | |
68er-Generation nach weniger Hierarchie und mehr Autonomie und | |
Mitbestimmung wurde ja entsprochen. Nur tauchen diese Forderungen heute als | |
Imperative in der Berufswelt auf: Sei kreativ, sei antiautoritär und so | |
weiter. Also eine Selbstverwirklichung unter ökonomischen Vorzeichen. Es | |
kann aber sehr verwirrend sein, wenn die Grenze zwischen Arbeit und Leben | |
so verschwimmt. | |
Sie sagen: Die Welt ist so komplex geworden, dass man sich nicht mehr | |
einfach gegen etwas stellen kann. Fühlen Sie sich gefangen von ihr? | |
Es gibt heute eben heute kein klassisches Schwarz gegen Weiß oder Gut gegen | |
Böse mehr. Das hat ja auch etwas sehr Befreiendes. Aber wenn Sie vor dem | |
Hintergrund von Rudi Dutschke heute nach politischen Bewegungen fragen, | |
dann sind die Antworten nicht einfach. | |
Wieso? | |
Es ist eben sehr schwer, diese vielfältigen Zwänge zu durchschauen. Ich | |
merke auch an mir selbst, dass ich in viele Widersprüche eingelassen bin. | |
Es ist aber auch eine Form von politischer Auseinandersetzung, sich solche | |
Dinge bewusst zu machen. | |
War das in Ihrer Jugend noch anders? | |
Na ja, sicher schaue ich heute auch mit einer gewissen Romantik auf meine | |
Jugendzeit, weil eine gewisse Naivität auch für klarere Fronten gesorgt | |
hat. Das muss ja auch überhaupt nicht schlecht oder unglaubwürdig sein. | |
Aber es ist irritierend zu begreifen, dass heute eben gerade antiautoritäre | |
und unkonventionelle Lebensweisen in vielen Berufen Einstellungskriterien | |
sein können. | |
In Ihrem Film haben Sie auch mit Zeitgenossen von Dutschke gearbeitet. Was | |
haben die Ihnen denn dazu erzählt? | |
Nach den Filmvorführungen kamen immer wieder Zeitgenossen von Dutschke auf | |
mich zu, die mir vorgehalten haben, dass unsere Generation ja total | |
unpolitisch wäre: "Ihr geht ja gar nicht mehr auf die Straße!" Ich finde | |
aber, dass dieser Vorwurf zu kurz greift. Die authentische Erfahrung von | |
Rebellion oder Einzigartigkeit ist heute nicht mehr so einfach zu haben. | |
Dafür gibt es ja viele Beispiele: Du kannst heute nicht mehr hippiemäßig | |
durch die Welt reisen und völlig unberührte Flecken entdecken. Wenn ich das | |
tue, riskiere ich, die letzten Regionen dem Abenteuertourismus | |
preiszugeben. Diese Erfahrung kann man auf vieles übertragen. | |
So wie Sie es schildern, könnten Sie vielleicht den Konservatismus zur | |
neuen Rebellion erklären … | |
Ich würde mich sehr scheuen, solche Begriffe zu verwenden. Aber da es in | |
einem durchflexibilisierten und megamobilen Kapitalismus sehr von Vorteil | |
ist, wenn man keine feste Bindungen eingeht, ist es vielleicht eine | |
Antihaltung, an solchen Bindungen festzuhalten und neue zu schaffen. | |
Zumindest gibt es etwas Freiraum in einer Welt, die von dir verlangt, immer | |
in einer perfekten Verfassung und auch jederzeit für das nächste Projekt | |
einsatzbereit zu sein. | |
Was Sie beschreiben, empfinden ja viele. Und es gibt durchaus auch diese | |
Sehnsucht nach Helden. Wäre in dieser Orientierungslosigkeit eine Figur wie | |
Rudi Dutschke ein Fixpunkt? Mit Megafon zur neuen Antidynamik? | |
Es gibt diese Figuren ja nicht mehr. Jemand wie Dutschke hat sehr davon | |
gelebt, dass es eine Bereitschaft gab ihn anzunehmen. Dutschke war für sehr | |
viele Menschen eine Projektionsfläche. Aber schon Dutschke wollte genau das | |
eigentlich nicht sein. Er wusste, dass es nicht gut ist, eine Bewegung auf | |
eine Figur zu zentrieren, da diese Bewegung dann mit einer Person steht und | |
fällt. Das ist doch ganz interessant: Da er diese Gefahren realisierte, hat | |
er zeitgleich an seiner eigenen Abschaffung gearbeitet. | |
Sie sagen: Die Zeit brauchte nie Helden und wird auch nie welche brauchen? | |
Ich denke, dass das Verlangen nach so einer Person Ausdruck einer diffusen | |
Sehnsucht ist. Vielleicht sollte man eher darüber nachdenken, dass es so | |
eine Person offensichtlich nicht gibt und was uns das erzählt. Wir sollten | |
uns fragen, ob es erstrebenswert ist, auf jemanden zu warten, der die Dinge | |
für uns regelt. Ich halte es für zeitgemäßer, unser Schicksal selbst in die | |
Hand zu nehmen und den Versuch zu wagen, die Zwänge selbst zu begreifen, in | |
die man eingelassen ist. | |
26 Apr 2010 | |
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